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EWG Mal Vati, mal Mutti

Europas Chef-Bürokrat Malfatti, der die EWG-Beamten mit primadonnenhaften Extravaganzen verstörte, zieht Aldi vorzeitig nach Italien zurück.
aus DER SPIEGEL 11/1972

Er war von Rom nach Brüssel gekommen, um in der EWG-Kommission zu zeigen, »wer ich bin -- nicht mehr«. 21 Monate nach seinem Amtsantritt als Präsident der EWG-Kornmission empfand Franco Maria Malfatti, 44, Ende vergangener Woche die Notwendigkeit, »auf die Ausübung meines Mandats bis zu seinem Auslaufen zu verzichten«.

Der christdemokratische Karrierepolitiker, der bis Ende Juni als Chef der Eurokraten amtieren sollte, hatte guten Grund, sich übereilt vom Europa-Geschäft zurückzuziehen. Malfatti, vor seiner Berufung nach Brüssel Chef der italienischen Post ("The Guardian": »Nicht die effizientoste"), will bei den italienischen Parlamentswahlen am 7. Mai in seinem alten, sicheren Wahlkreis Perugia-Terni für die Democrazia Cristiana kandidieren. Aber erst nach dem Wahlkampf, so Malfatti am Freitagmorgen, »werde ich mein Amt als Präsident der Kommission niederlegen«.

Denn Amt und Würde eines Europa-Chefs sollen dem gewieften Politiker im italienischen Wahlkampf Stimmen bringen. Auch auf die Weiterzahlung seines Gehalts (Monatsbezüge über 14 000 Mark) glaubte er, bis nach dem Wahlkampf nicht verzichten zu können.

Der »kleine Napoleon« (so ein EWG-Beamter) hatte allerdings schon vor seiner Anreise nach Brüssel deutlich gemacht, daß er die Europazentrale lediglich als Parkplatz für seine innenpolitischen Ambitionen betrachte. Die Brüsseler Beamten hatten alle Mühe, dem Neuling aus Rom das »italienische Primadonnen-Denken« (rein Kommissionsmitglied) abzugewöhnen.

Noch von Rom aus forderte Malfatti zum Beispiel, seinen engsten Mitarbeiterstab um ihn herum in der Chef-Etage des Kommissionshochhauses Berlaymont zu installieren. Die Eurokraten entsandten einen Beamten nach Rom, der Malfatti umstimmen konnte.

Während der erste Präsident der EWG-Kommission, Walter Hallstein. das Amt mit teutonisch steifer Würde verwaltet hatte, verblüffte der Italiener die Brüsseler Beamten mit seinen Extravaganzen: Er erwarte, daß man in seinem Büro ein Spezialbad installiere. Überdies könne er verlangen, daß ihm von der Europabehörde neben seinem Dienstwagen ein Sportwagen zur Verfügung gestellt werde.

Doch die Brüsseler blockten ihren künftigen Präsidenten ab: Für solche Ausgaben stünden keine Mittel zur Verfügung.

Endlich in Brüssel angekommen, empfand sich Malfatti bald von der italienischen Presse nicht ausreichend gewürdigt. Unter Einsatz seines politischen Gewichts in Italien versuchte er, die Abberufung mißliebiger italienischer Journalisten aus Brüssel durchzusetzen -- offenbar mit Erfolg.

So wurde dem RAI-Fernsehkorrespondenten Cortese, der das Mißfallen des Römers Malfatti erweckt hatte, nach einem Heimaturlaub von seiner Redaktion bedeutet: »Du arbeitest nicht mehr in Brüssel.«

Schon wenige Monate nach dem Amtsantritt der neuen Kommission urteilte die Londoner »Times« über Malfatti: »Es mangelt ihm offensichtlich an Dynamik.« Der Italiener hatte sich als farblos und als Meister von Gemeinplätzen erwiesen. Typische Malfatti-Äußerung: »Die Probleme der Gegenwart sind anders als die der Vergangenheit.« Deutsche EWG-Beamte kalauerten: »Mal Vati, mal Mutti.«

Die -- schwierige -- Position der EWG-Kommission gegenüber dem Ministerrat der sechs Gemeinschaftsländer sah Malfatti nur dann gefährdet, wenn er sich persönlich übergangen fühlte. Ein Beamter der Brüsseler Zentrale: »Dann kam Farbe in den Mann.«

So reagierte Malfatti verärgert, als die Minister der Gemeinschaft Anfang dieses Jahres bei der Unterzeichnung der Beitrittsverträge mit Großbritannien, Irland, Norwegen und Dänemark auf die Unterschrift des Kommissionspräsidenten verzichteten.

Und er geriet außer sich, als die EWG-Außenminister ihn Anfang vergangener Woche in Brüssel nicht zu einem Arbeits-Mittagessen einluden. Wütend ließ sich der Italiener zum luxemburgischen Außenminister Gaston Thorn, dem turnusmäßigen Präsidenten des Rates, fahren und protestierte.

Als die Diva aus Rom nun ihren übereilten Rückzug in die Heimat bekanntgab -- bis zur endgültigen Niederlegung seines Amtes wird Malfatti von dem deutschen Eurokraten Wilhelm Haferkamp vertreten -, war denn auch in Brüssel kaum Bestürzung oder gar Trauer zu verspüren.

Maifatti, selbstbewußt wie je, über seine Zukunft in Italien: »Ich stütze mich dabei auf die unersetzlichen Erfahrungen, die ich in Brüssel sammeln konnte.«

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