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WAHLEN Mal zeigen

Ähnlich wie der niedersächsische CDU-Mann Albrecht holt sich jetzt auch der schleswig-holsteinische SPD-Oppositionschef Matthiesen eine politische Spitzenmannschaft von außerhalb.
aus DER SPIEGEL 8/1979

In Gastgeberrollen lange als knauserig verrufen, gaben sich Schleswig-Holsteins Sozialdemokraten diesmal spendabel: kaltes Büffet mit landestypischen Meeresfrüchten wie gerolltem Matjes und Krabben, angerichtet in geschälten Tomaten. Auch die Lokalität hatten die Gastgeber mit Bedacht gewählt das feine Hotel-Restaurant »Kieler Kaufmann« bevorzugtes Quartier für Regierungsgäste und häufig Schauplatz von Empfängen des Kieler Regierungschefs Gerhard Stoltenberg (CDU).

In so bezugsreichem Rahmen präsentierte der schleswig-holsteinische Oppositionsführer Klaus Matthiesen am Mittwoch letzter Woche den, wie er meint, »nachdrücklichen Beweis für die Regierungsfähigkeit der SPD«. Er stellte die, wie Genossen sich freuten, »apppetitliche« Mannschaft vor, mit der er zu regieren gedenkt, falls es ihm im Verein mit der FDP bei den Landtagswahlen am 29. April gelingt die inzwischen 29jährige CDU-Regentschaft im nördlichsten Bundesland zu brechen.

Aus der heimischen Fraktion kommt lediglich Kurt Hamer, 52, Realschuldirektor von Hause aus und Vizepräsident im Kieler Landtag. Die anderen holte Matthiesen wie letzthin der Berliner Stobbe (SPD) und der Niedersachse Albrecht (CDU) aus der Ferne: > Helmut Rohde, bis 1978 Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, derzeit Vorsitzender der in der SPD gewichtigen Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen;

* Heide Simonis, 35, Diplomvolkswirtin, Bundestagsabgeordnete seit 1976 und insbesondere von Herbert Wehner ästimiertes Nachwuchs-Talent der Fraktion, das sich bei den Haushaltberatungen mit einer über weite Strecken frei vorgetragenen Rede zum Thema Branchensubventionen »möglicherweise«, so die »Süddeutsche Zeitung«, den »Zutritt zur Sprecherriege in Sachen Wirtschaftspolitik« erwarb; > Björn Engholm, 39, gelernter Schriftsetzer und Diplom-Politologe, Bundestagsabgeordneter seit 1969 und Gründungsmitglied des »Leverkusener Kreises« linker SPD-Abgeordneter, Parlamentarischer Staatssekretär im Bildungsministerium mit Engagement für berufliche Bildung und Gesamtschule;

* Rudolf Wassermann, 54, Präsident des Oberlandesgerichts Braunschweig, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, ein Richter, der, so Wassermann über Wassermann, »weiß, daß er nicht nur Recht anwendet, sondern auch Politik macht, wenn er Bücher beschlagnahmt oder Demonstranten einsperrt«;

* Cornelie Sonntag, 36, Redakteurin beim Norddeutschen Rundfunk (NDR), bisher ohne Parteiämter und -funktionen, fixiert auf »Frauen-, Jugend-, Familien- und Kulturpolitik« und so eine potentielle Staatssekretärin für eines oder mehrere dieser Gebiete.

Die Bonner Jungtalente stammen beide aus Schleswig-Holstein -- Engholm war einst Juso-Vorsitzender in Lübeck, Heide Simonis Ratsherrin in der Landeshauptstadt Kiel. Jurist Wassermann gehörte schon zum wissenschaftlichen Beraterstab des Matthiesen-Vorgängers Jochen Steffen, als dieser 1971 gegegen Stoltenberg antrat -- und Stoltenberg dann erstmals eine absolute CDU-Mehrheit errang. Diesmal soll Wassermann dem Spitzenkandidaten »als profilierter Vertreter des Reformbürgertums« von Nutzen sein, ein Typus, den die Sozialdemokraten im Lande nicht vorzuweisen haben. Er möchte gern »mal zeigen, was rechtspolitisch und justizpolitisch bewegt werden kann«.

Der Hannoveraner Rohde, in seiner breiten Niedersachsenart gut vorstellbar auch zwischen holsteinischen Knicks, lernte Matthiesen als Mann »gleicher Wellenlänge« im Parteivorstand kennen. Lediglich die Journalistin und der Spitzenkandidat machten erst kurz vor Weihnachten Bekanntschaft: aufgrund landespolitischer Sonntag-Funkkommentare, die Matthiesen gefallen hatten, und eines Tips vom Hamburger Bürgermeister Klose.

Matthiesen will seine Mannschaft nicht als Schattenkabinett verstanden wissen: Ministerposten und Ressorts sollen erst nach gewonnenem Gang zusammen mit dem potentiellen Koalitionspartner FDP ausgeguckt werden, denn zwei, drei Ressorts reklamieren die Freidemokraten bereits für sich -- darunter ein um die gesamte Umwelt-Zuständigkeit erweitertes Landwirtschaftsressort oder aber das Innenministerium für den Landesvorsitzenden und stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzenden Uwe Ronneburger.

Die Liberalen halten Matthiesens Auswärts-Mannschaft für eine »überzeugende Alternative« zum Kabinett Stoltenberg -- und zudem für einen Beleg, so ein FDP-Mann, »daß Matthiesen stärker ist, als man manchmal glauben könnte«.

Der Stärkebeweis war fällig. Denn seit sich Jochen Steffen, einst Personifizierung der schleswig-holsteinischen SPD als festgeschlossener linker Trupp der deutschen Sozialdemokraten, allmählich zurückzog, war bisweilen unklar, wer in der Nordland-SPD eher das Sagen hatte: Günther Jansen, Steffen-Nachfolger im Parteivorsitz, kompromißloser Theoretiker wie sein Vorgänger, aber ein paar Nummern kleiner und um vieles weniger amüsant, oder Klaus Matthiesen, Steffen-Nachfolger im Fraktionsvorsitz, zwar auch Verfechter »linker Politik«, aber eher Pragmatiker, der sich als Spitzenkandidat nun zum zweitenmal versucht.

Jansen-Schimpf auf die Bonner sozialliberale Koalition brachte wiederholt Matthiesens Chance auf ein erneutes Wahlbündnis mit der FDP in Gefahr, mit deren Hilfe er Stoltenberg vor vier Jahren schon fast um die absolute Mehrheit gebracht hätte. Jansen-Schimpf auf den Kanzler -- »Ein paarmal zuviel mit Industriellen und Bankiers auf Auslandsreise gegangen -- brachten Helmut Schmidt so auf, daß er am liebsten nicht wieder zum Landeswahlkampf nach Schleswig-Holstein gereist wäre. Mit privaten Interpretationen von Parteibeschlüssen verwirrte er Genossen und Wähler und lieferte den Stoltenbergs ohne Not Argumente.

Dabei war die Gelegenheit, die CDU nun einmal abzulösen, nach Meinung der Sozialdemokraten noch nie so günstig wie jetzt, war die Bedeutung einer Schleswig-Holstein-Wahl aber auchnoch nie für die Bonner Sozialliberalen so wichtig. Umrechnungen von bundesweiten Trenderhebungen des Bundespresseamtes vom letzten Herbst auf schleswig-holsteinische Landtagswahlen ergaben ein Stimmenverhältnis von 48 Prozent für die CDU, 42 Prozent für die SPD und sieben Prozent für die FDP -- gegenüber 50,4 zu 40,1 zu 7,1 bei den Wahlen 1975.

Eine vom Bonner SPD-Vorstand in Auftrag gegebene Umfrage vom Dezember, bei der allerdings der ungewöhnlich hohe »Kanzlerbonus« vom Jahresende durchschlägt, kommt sogar auf ein Prozentverhältnis von 46 (CDU) zu 43 (SPD) zu sieben (FDP).

Im Bundesrat, wo die Unions-regierten Länder zur Zeit eine Mehrheit von 26 zu 15 Stimmen (ohne Berlin) haben, würde ein Wachwechsel in Kiel die Lage für die Sozialliberalen schon zum Besseren wenden: Nach Verlust der vier Schleswig-Holstein-Stimmen betrüge das Verhältnis zwar immer noch 22 zu 19, aber unter den verbleibenden 22 sind drei aus dem Saarland, wo die CDU auf das Wohlverhalten ihres Koalitionspartners FDP angewiesen ist. Im Gegengeschäft könnte die Saar dann Unionsgesetzesblockaden im Bundesrat brechen.

Für mindestens ebenso wichtig aber dünkt Sozialdemokraten wie Matthiesen die »Signalwirkung«, die im Falle eines Wahlsieges der linken Schleswig-Holsteiner vom Norden her für die »reformerischen Kräfte in der SPD« im ganzen Staat ausginge.

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