NIXON Man muß sich kümmern
Seit Eisenhowers Schlaganfall wird im Washingtoner Weißen Haus um Macht und Prestige gekämpft. Hauptakteure sind Vizepräsident Nixon und Chefberater Sherman Adams. Nixon eröffnete den mit lächelnden Gesichtern geführten Kampf unmittelbar nach Eisenhowers Erkrankung durch einen blitzschnellen Schachzug. Anders als bei früheren Krankheiten des Präsidenten, sicherte sich Nixon diesmal von vornherein eine vorteilhaftere Ausgangsposition.
Als Eisenhower am 24. September 1955 im Haus seiner Schwiegermutter in Denver an einem Herzinfarkt erkrankt war, hatte sich der gerade in Europa weilende Sherman Adams sofort in ein Flugzeug geschwungen und 48 Stunden später vor der Tür des Krankenzimmers in Denver Posten bezogen. Er allein hatte Zugang zum Präsidenten.
Diesmal - am 26. November 1957 - war Nixon schneller. Kaum hatte er die Nachricht von Eisenhowers Erkrankung erhalten, als er schon im Weißen Haus erschien. Acht Stunden lang blieb er an diesem Tag im Weißen Haus. Auch an den folgenden Tagen hielt er sich dort auf, um - wie er der Presse zutraulich sagte - »nachzusehen, ob da ein paar lose Enden sind, um die ich mich kümmern könnte«.
Sogleich begann es auch in der komplizierten Befehlsmaschinerie des Weißen Hauses zu knirschen. Am 28. November also drei Tage nach Eisenhowers Erkrankung - sagte Nixon der Presse, er sei bereit, als Vertreter Eisenhowers am 16. Dezember zur großen Pariser Nato-Konferenz zu reisen. Am gleichen Tage erklärte die amerikanische Nato-Mission in Paris, Nixon werde den Präsidenten vertreten. Doch wenige Stunden später tat das Weiße Haus verwundert: Man wisse nicht, wie die Pariser Mission zu dieser Meldung gekommen sei. Der Präsident habe sich jedenfalls noch nicht endgültig entschieden. Bis Ende der letzten Woche war nicht geklärt, ob vielleicht Vizepräsident Nixon selbst es war, der die Pariser Mission über Eisenhowers Fernbleiben und sein eigenes Auftreten in Paris unterrichtet hatte.
Nixons Pressekonferenz am 27. im Weißen Haus war ein Novum. Durch die Tatsache, daß er sie einberief, offenbarte der amerikanische Vizepräsident Ansprüche, die er allerdings in seinen Worten kaschieren mußte, wenn er sich nicht den vernichtenden Vorwurf der Taktlosigkeit gegenüber dem angeblich schnell genesenden Vater-Präsidenten zuziehen wollte. Dabei war er vorsichtig genug, die Konferenz nicht in Eisenhowers Zimmer, sondern in einem kleinen Büro des Pressechefs Hagerty abzuhalten. Sie wurde gleichwohl für den Vizepräsidenten zu einem viel beachteten Prestige-Erfolg.
Der Raum war mit Reportern vollgestopft. Alle Augenblicke blendeten die Blitzlichter der Photoberichterstatter auf. Die Luft war stickig, und dem Vizepräsidenten brach der Schweiß aus, da er stehend über eine Stunde lang die Fragen der Reporter beantworten mußte. Stellte die Konferenz schon physisch harte Anforderungen, so war die psychische Belastung noch größer, denn die im schnellen Fragespiel trainierten Reporter waren entschlossen, aus der Pressekonferenz eine Sensation zu machen und den Vizepräsidenten zu einer Äußerung zu provozieren, die seinen Machtanspruch erkennen lassen würde. Es war ein erbarmungsloses Gefecht zwischen der Reporter-Meute und dem Vizepräsidenten.
Hagerty eröffnete die Pressekonferenz mit der Ankündigung, daß er »eine Person« (einen Geheimpolizisten) vor die Tür beordert habe, damit niemand den Raum vor Ende der Konferenz verlasse. (Nach den Regeln des Weißen Hauses soll jeder Reporter die gleiche Chance haben, eine Nachricht möglichst schnell an seine Redaktion zu geben.) Dann begannen die Reporter zu fragen:
- »Herr Vizepräsident betrachten Sie sich jetzt als Vertreter des Präsidenten?«
- »Ist diese Pressekonferenz nicht ein Zeichen dafür, daß jetzt manches anders ist als 1955?« (Nixon zu Hagerty: »Jim, erinnerst du dich, ob ich damals eine Pressekonferenz abgehalten habe?« Hagerty erinnerte sich, daß Nixon damals keine Konferenz einberufen hatte.)
- »Entschuldigen Sie, Herr Vizepräsident, wer präsidierte über die Konferenz gestern abend hier im Weißen Haus?« (Anspielung auf eine Konferenz von
acht Ministern und hohen Beamten, die über das amerikanische Raketenprogramm entschied.) Nixon: »Da war keiner, der präsidierte.«
- »War es vielleicht Sherman Adams, der
präsidierte?« Nixon: »Nein.«
Nixon entwand sich allen Schlingen, die ihm die Reporter in der mörderischen Stunde legten. Ein Reporter: »Eine formidable Leistung!«
Die Chance, die dem Vizepräsidenten durch die dritte und endgültig entmutigende Krankheit Eisenhowers zufiel, ist eindeutig: Wenn Eisenhower sich jetzt gezwungen sieht, dem Vizepräsidenten entweder einen Teil seiner Präsidentenmacht oder gar das Präsidentenamt abzutreten, dann dürfte sich daraus ergeben, daß Nixon von den Republikanern auch im Jahre 1960 als Präsidentschaftskandidat gekürt wird. Das Beispiel Trumans (der
1945 den verstorbenen Präsidenten Roosevelt ablöste und dann 1948 überraschend wieder gewählt wurde) zeigt überdies, daß ein durch Nachfolge in das höchste Amt aufgestiegener Vizepräsident eine große Chance hat, im nächsten Wahlgang vom Volke gewählt zu werden. Um diese Chance kämpft jetzt Nixon.
Er hatte schon vor Eisenhowers Schlaganfall taktische Manöver eingeleitet, um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner im Jahre 1960 zu erreichen. Dabei war er offenkundig zu dem Schluß gelangt, es sei für ihn vorteilhaft, sich nach und nach von Eisenhower zu distanzieren. Die zwar immer noch große, aber doch abnehmende Popularität Eisenhowers soll ihn dazu veranlaßt haben. Jedenfalls ist das die Meinung, die das offizielle Organ der Demokratischen Partei, der« Democratic Digest«, in einem Aufsatz der vorletzten Woche vertrat.
Seit Frühjahr 1957, so meinte der »Democratic Digest«, zeige Nixon Neigung, »aus der Persönlichkeit Eisenhower auszusteigen«. Der Vizepräsident habe sich unter dem Eindruck von Eisenhowers Popularitätsschwund entschlossen, das sinkende Schiff zu verlassen: »Doch tut er das so, als ob er eben mal ein bißchen baden will.«
Der Schlaganfall Eisenhowers dürfte dieses taktische Konzept Nixons nur insofern verändert haben, als sich der Vizepräsident auf keinen Fall menschlich von dem kranken Eisenhower distanzieren kann. Das würde man ihm als Charakterfehler ankreiden. Dennoch darf er seinen Machtanspruch geltend machen. Das Unbehagen der Öffentlichkeit über die Ungeklärtheit der Führungsverhältnisse im Weißen Haus und über alle daraus folgenden Schwächen der amerikanischen Politik kommt ihm dabei zustatten.
Eisenhower hatte am 7. März vorigen Jahres in einer Pressekonferenz erklärt, er werde »nicht in dem Job bleiben«, wenn er sich den Pflichten eines Präsidenten nicht »absolut gewachsen« fühle. Die herzzerreißende Frage aber lautet, ob sich die Pflicht des Präsidenten der USA darin erschöpft, Unterschriften zu leisten, oder ob er die Nation wirklich führen muß.
Vizepräsident Nixon: Es ist Zeit, baden zu gehen
Amerikas Eisenhower
An Krankenbetten ...