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Man spürt nur

aus DER SPIEGEL 53/1970

Walter Steinhage, 44, Chefredakteur der »Bremer Nachrichten«, schrieb an einen alten Freund, mit dem er vor Jahren beim »Weser-Kurier« eine Redaktionsstube geteilt hatte. Vom »lieben Ernst« wollte er wissen, »ob ich die vertraute Form der Anrede überhaupt noch verwenden kann.

Der liebe Ernst, Dr. Müller-Hermann, CDU-MdB und bremischer Partei-Chef, hatte dem Zeltungsmann Grund zum Zweifel gegeben: Durch einen Steinhage-Kommentar zur Geldner-Affäre ("Schwarzer Freitag am Rhein") sah er seine CDU so heftig attackiert, daß er sich gar nicht erst an den alten Kollegen wandte, sondern ihn lieber gleich beim Verleger der »Bremer Nachrichten« (BN), Walther Schünemann, 74, anschwärzte.

Schünemann kam das gelegen. Spätestens seit dem Bundestagswahlkampf hatte sich der Verleger über seine Redaktion geärgert, die ihm zunehmend nach links abzugleiten schien: »Man kann das gar nicht immer greifen, man spürt nur, wie die Redakteure auf Gelegenheiten warten, wo sie der CDU eins auspulen können.«

Diesmal konnte Schünemann es wohl greifen -- Chefredakteur Steinhage hatte unmittelbar nach Bekanntwerden des Falls Geldner der CDU eins ausgepult: Die Christdemokraten, so schrieb er, setzten alles daran, »potentielle Überläuf er zu ködern, um sie in den Pferch nationalistischer Politik zu treiben, einer Politik, die so tut, als könnten wir den von uns angezettelten Krieg in Richtung Osten nachträglich gewinnen«.

Müller-Hermann reagierte prompt. »Diese Tonart«, so schrieb er dem »BN«-Verleger, »entspricht den Pöbeleien der kommunistischen Propaganda.« Schünemann sieht es genauso: »So was können die Kommunisten schreiben, aber nicht wir«, sagt er heute, und an Müller-Hermann (Beruf laut Bundestagshandbuch: Schriftleiter) richtete er eine Ergebenheitsadresse: »Ich selbst bedaure, daß die Neigung nach links bei uns ... auch auf den Chefredakteur übergegriffen hat«

Seither hat sich das Klima zwischen Redaktion und Verlag rapide verschlechtert. »So hart wie jetzt war es noch nie«, klagt Schünemann, der inzwischen seinen Chefredakteur aufgefordert hat, »seine Pflicht zu tun und dafür zu sorgen, daß dieser Linkskurs sofort abgestellt ... wird«.

Steinhages Pflicht, so findet der Verleger, wäre es beispielsweise, »nicht immer nur Karikaturen der CDU, sondern auch der SPD zu bringen« und nicht so oft die sozialliberale Bundesregierung, sondern öfter auch mal die Bonner Opposition zu Wort kommen zu lassen.

Präziser vermag Schünemann ("Ich habe nie SPD gewählt") seine Zielvorstellungen kaum zu erläutern, und so weiß denn sein Chefredakteur gar nicht so recht, was er nun eigentlich unternehmen soll. Steinhage: »Was in der Substanz der Vorwurf ist, links zu sein, das ist mir unerfindlich.«

Das ist es auch der Redaktion. Sie steht fast einhellig gegen den rechtschaffen biederen Verleger-Patriarchen, der seit Jahrzehnten mit seinem Bruder den Verlag führt. Schünemann sträubte sich Zeit seines Lebens, einer politischen Partei beizutreten, und wurde deshalb 1936 auch von den Nazis aus dem eigenen Haus gejagt. Gleichwohl verweigerten ihm die Amerikaner 1945 die Lizenz, und das hat der Hanseat bis heute nicht verwunden.

Erst vier Jahre später, als sich der neugegründete »Weser-Kurier« längst etabliert hatte, konnten die »Bremer Nachrichten«, eines der ältesten deutschen Blätter (heute im 228. Jahrgang), wieder erscheinen. Seitdem sind sie zweite Zeitung am Ort (Auflage: 50 000), freilich nicht ohne politisches Gewicht. Und das lag daran, daß der Rotarier Schünemann dem Blatt bislang meist freie Hand ließ.

Das eigene Blatt gefällt ihm erst seit der vergangenen Bundestagswahl nicht mehr so recht. »Ich möchte, daß die »Bremer Nachrichten« wieder das werden, was sie davor waren«, sagt er. Steinhages »politische Herren« (Schünemann) solidarisierten sich derweil mit ihrem Chefredakteur, der sich selbst als »liberal-fortschrittlich« einstuft.

Die Redaktionsvollversammlung verabschiedete letzte Woche eine Resolution an die Verlagsleitung ("Die vom Verlag gewünschte Kursänderung würde zwangsläufig einen Rechts-Ruck zur Folge haben") und schrieb einen offenen Brief an Müller-Hermann: »Die Redaktion ... Ist über Ihren Versuch, die ... garantierte Meinungs- und Pressefreiheit zu unterlaufen, empört.«

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