Wahlen »MAN WIRD UNS DEN FEHLSCHLAG ANLASTEN«
SPIEGEL: Herr Voigt, Sie sind bei den hessischen Landtagswahlen durchgefallen -- in einem Wahlkreis, in dem es letzthin heftige sozialpolitische Auseinandersetzungen gegeben hat. Waren Sie selbst für die Kleinbürger, Angestellten und Studenten im Frankfurter Westend zu links?
VOIGT: Leider konnte trotz linker Profilierung der allgemeine Trend linker Wähler zur FDP nicht durchbrochen werden.
SPIEGEL: Mit Ihren Forderungen -- etwa Kommunalisierung von Grund und Boden, Nachahmung der Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien und erweiterte Mitbestimmung in den Betrieben -- haben Sie bei den Wählern aber doch offensichtlich wenig Eindruck gemacht.
VOIGT: Kandidaten der Jungsozialisten haben nicht größere Verluste einstecken müssen als konservative Genossen. Von den 17 Wahlkreisen, die Sozialdemokraten nicht gewinnen konnten, gehen nur zwei auf das Konto von Jungsozialisten.
SPIEGEL: Immerhin haben gerade Sie besonders schlecht abgeschnitten. Die Sozialdemokraten büßten In Ihrem Wahlkreis 8,9 Prozent ein, die SPD-Verluste im Landesdurchschnitt liegen aber nur bei 5,1 Prozent.
VOIGT: SPD-Verluste und FDP-Gewinne sind trotz Westend in meinem Wahlkreis nicht die höchsten in Frankfurt. Ansonsten stieg In dem bürgerlichen und von der Universität geprägten Westend im Gegensatz zu anderen Teilen des Wahlkreises die Wahlbeteiligung um 12,5 Prozent.
SPIEGEL: Und Sie waren nicht imstande, davon zu profitieren, weil Sie die bürgerlichen Wähler verschreckt haben?
VOIGT: Wenn das so wäre, wenn also die CDU gegen mich besondere Erfolge gehabt hätte, dann müßte vor allem in Südhessen und in meinem Wahlkreis die CDU erheblich hinzugewonnen haben. Tatsächlich aber liegen die Gewinne der Christdemokraten in meinem Wahlkreis 2,2 Prozent unter CDU-Landesdurchschnitt.
SPIEGEL: Sie haben ja auch nicht an die CDU abgegeben, sondern vorwiegend an die FDP. Die Freien Demokraten gewannen in Ihrem Wahlkreis 8,5 Prozent. Viele Wähler wollten nicht gleich ganz nach rechts abziehen.
VOIGT: Hier wurde tatsächlich sogar von Linken Wahlpropaganda für die FDP gemacht. Sogar Cohn-Bendit soll das für richtig gehalten haben. Mir selber haben ehemalige SDS-Mitglieder vor der Wahl gesagt, ich käme sowieso sicher durch, und ein größerer Wahlerfolg für mich sei nicht so wichtig wie die Rettung der Bonner SPD/FDP-Koalition.
SPIEGEL: Warum haben Sie Im Wahlkampf die verfehlte Stadtplanung und die lässige Sozialpolitik im Westend nicht stärker angegriffen?
VOIGT: Der Ortsverein Westend und ich haben die Zustände und ihre Ursachen angegriffen, jedoch hätten wir unsere Kritik an der Stadtplanung, die lange Zeit zur Verödung dieses Viertels beigetragen hat, intensiver vorbringen müssen. Aber ich bezweifle, ob die Bevölkerung zwischen kritischen Landtagskandidaten und Stadtplanung dann differenziert hätte.
SPIEGEL: Richter Pulch, Ihr Gegenkandidat von der FDP, hatte eine bessere Hand und kassierte mit 19,1 Prozent die höchsten Stimmenanteile für seine Partei in ganz Hessen.
VOIGT: Wir haben die FDP gesellschaftspolitisch nicht attackiert. Das war ein Fehler der SPD in Bonn und Wiesbaden. Aber der Fehler Ist erklärbar: Weil man in Bonn die Spannung in der Koalition nicht verstärken und in Wiesbaden die Bonner Koalition fördern wollte. So haben wir es SPD-Anhängern leichter gemacht, zur FDP überzuwechseln.
SPIEGEL: Die Jungsozialisten werden im neuen Landtag mit sieben Abgeordneten vertreten sein; die beiden profiliertesten, Voigt in Frankfurt und Jordan in Wiesbaden, sind allerdings nicht dabei. Reicht Ihnen das?
VOIGT: Uns reicht's durchaus nicht, wir wollen uns ja nicht in die eigene Tasche lügen. Wir wollten mit mehr Leuten in den Landtag ziehen. Nun wird man versuchen, uns moralisch fertigzumachen und den Fehlschlag den Jusos anzulasten. Bestimmte Gruppen der Öffentlichkeit, aber auch in der SPD ...
SPIEGEL: ... Herbert Wehner beispielsweise ...
VOIGT: ... haben ein Interesse daran. Von Herbert Wehner erwarte ich weniger einseitige Kritik. Aber lassen Sie mich noch eines sagen: Wenn das anhält, was In Hessen begonnen hat, daß FDP-Wähler künftig nicht bürgerliche, sondern vor allem sozialdemokratische Stimmen binden, dann hat im nächsten Bundestag die CDU die absolute Mehrheit, zumal wenn es der CDU wieder gelingt, alle reaktionären und viele rechtsradikale Wähler an sich zu ziehen.
SPIEGEL: Es sei denn, der SPD gelänge in kommenden Wahlen, was bei der Hessenwahl nicht gelang -- der CDU Arbeitnehmerstimmen abzunehmen.
VOIGT: Das kann ihr nur gelingen, wenn sie ihre sozialreformerischen Forderungen konsequenter verfolgt ...
SPIEGEL: ... was beispielsweise Im neuen hessischen Landtag wegen des FDP-Koalitionspartners nicht ganz einfach sein dürfte.
VOIGT: Die Rücksicht, die wir im Wahlkampf auf die FDP genommen haben, darf nicht dazu führen, daß vielleicht notwendige Koalitionskompromisse als Inhalt der SPD-Politik erscheinen können. Das könnte die SPD weitere Stimmen kosten.
SPIEGEL: Werden die Jungsozialisten ideologische Hilfestellung leisten, um die SPD wieder stärker als Arbeitnehmerpartei zu konturieren?
VOIGT: Wenn's geht, nicht nur theoretische, sondern auch praktische. Aber natürlich ist das auch eine Mehrheitsfrage. Und gerade jetzt sollten wir Jungsozialisten unseren Einfluß nicht überschätzen.
SPIEGEL: Jungsozialisten in Nordrhein-Westfalen schufen ein neues Emblem, die geballte Faust. Die Faust in der Tasche?
VOIGT: Halten Sie von dem Faust-Emblem, was Sie wollen. Sie ist als Ironie am Cäsaren-Daumen des Ministerpräsidenten Kühn entstanden und als Faust gegen Unternehmermacht interpretiert worden. Aber eines ist wichtig: Einen Finger kann man brechen, aber fünf Finger sind eine Faust.