REGIERUNG »Manchmal wahnsinnig«
Man kann Friedel Drautzburg nicht vorwerfen, dass er nicht gekämpft hätte. 37 Jahre hat er in Bonn gelebt, 14 Lokale hat er in der ehemaligen Bundeshauptstadt unterhalten, und noch immer blinkt am Revers seines Jacketts ein Anstecker, der die Zwillingstürme des Kölner Doms zeigt.
Er gründete eine Initiative ("Ja zu Bonn"), er ließ Plakate drucken ("Umzug ist Unfug"), er organisierte sogar eine Anzeigenkampagne. Sein Schnauzbart hüpft vor Vergnügen, wenn er an die Tage des wilden Widerstands denkt.
Doch irgendwann kam ihm die Erkenntnis, dass ihm sein Revolutionsgeist viel Ruhm einbringt und wenig Reichtum. Es war der Moment, als der Geschäftssinn über das Heimatbewusstsein triumphierte. »Die Bonner Beamten mussten doch nicht auch noch bei Berliner Wirten Bier trinken«, sagt Drautzburg. Im September 1997 war es so weit, er eröffnete seine neue Kneipe, die »Ständige Vertretung« in Berlin. Drautzburg bereut den Entschluss nicht. Er steht am Tresen seiner Kneipe, um ihn herum schwirren seine Kellner, das Kölsch saugt sich in die Bierdeckel der Gäste. »Das war ein richtiger Wurf«, sagt er über seine Geschäftsidee.
Der Politik hätte bei der Bonn-Berlin-Debatte ein bisschen Drautzburgscher Realitätssinn gutgetan. Seit sechs Jahren ist der Bundestag in Berlin, aber regiert wird Deutschland immer noch aus zwei Städten. 6 von 14 Ministerien haben ihren Hauptsitz in Bonn, 8800 Beamte und Angestellte arbeiten in Berlin, 10 200 am Rhein.
Es ist ein teures und absurdes Konstrukt, das mit deutscher Gewissenhaftigkeit verwaltet wird. Kaum einer in der Regierung findet daran Gefallen. Kanzleramtschef Thomas de Maizière lässt intern keinen Zweifel daran, dass er lieber heute als morgen die gesamte Regierung in Berlin sähe.
Trotzdem sieht es so aus, als würden sich Union und SPD nur darauf einigen können, dass alles so schlecht bleibt, wie es ist. Wenn im März die Föderalismusreform in den Bundestag eingebracht wird, ist darin auch die Neufassung des Grundgesetz-Artikels 22 enthalten: »Die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist Berlin« wird es dort heißen. Doch der Begleittext zur Reform enthält die Zusicherung, dass Bonn seinen Sonderstatus behält.
Die Chance ist vertan, noch einmal über das Berlin-Bonn-Gesetz zu reden, in dem die Aufspaltung der Regierung zwischen Rhein und Spree festgeschrieben wird. »Die Mutter aller Reformen« (CSU-Chef Edmund Stoiber) sollte das deutsche Zuständigkeitswirrwarr auflösen; sie sollte dafür sorgen, dass aus der blockierten Republik ein effizient verwalteter Staat wird.
Jetzt gibt es eine Einigung, die typisch ist für die deutsche Politik. Sie sichert Privilegien, keiner steht düpiert da. Das Problem ist nur, dass nichts besser wird. Es ist der Sieg des Kompromisses über die Vernunft; ein Beleg für das Unvermögen der Politik, selbstgemachte Schwierigkeiten aus der Welt zu schaffen.
Einer der Hüter des Status quo ist Klaus Böttner. Der Personalratsvorsitzende des Bundesgesundheitsministeriums strahlt eine freundliche Behäbigkeit aus. Er sitzt in seinem Büro im Bonner Stadtteil Hardtberg, über seinen beeindruckenden Bauch spannt sich ein ausgewaschenes Flanellhemd, darüber trägt er eine abgewetzte Lederjacke. An der Wand hängt ein Foto seiner Hündin Ayka.
Oberamtsrat Böttner besitzt seit 16 Jahren ein Häuschen in Meckenheim bei Bonn, und er sieht nicht ein, warum er mit seiner Familie weg sollte. »Ich kann doch nicht einfach sagen: einsteigen, fahren.«
Weil er weiß, dass es vielen seiner Kollegen ähnlich geht, sorgt er dafür, dass nichts ins Rutschen kommt bei der Personalverteilung zwischen Bonn und Berlin. Bisher mit einigem Erfolg. Nur 120 der insgesamt 560 Ministeriumsbediensteten arbeiten in Berlin. Wenn irgendein Ministeriumsoberer auf die Idee kommt, vorschnell eine Stelle in Berlin auszuschreiben, spricht er mit seinem Staatssekretär und sagt, er könne das »nicht nachvollziehen«.
Böttner will nicht, dass schleichend immer mehr Beamte aus Bonn abgezogen werden und es am Ende heißt, der Standort am Rhein müsse leider geschlossen werden, weil er zu klein geworden sei. Deswegen sieht er es auch mit Wohlwollen, dass nur ein paar Schritte von seinem Büro entfernt eine Grube für einen Neubau des Gesundheitsministeriums ausgehoben wurde. »Ich bin ein Verfechter des Berlin-Bonn-Gesetzes«, sagt Böttner.
Das kann man von Gerd Hoofe nicht behaupten, der seit November Staatssekretär bei Familienministerin Ursula von der Leyen ist. Hoofe ist ein Verwaltungsfachmann mit dem festen Glauben, dass man mit gesundem Menschenverstand jedem Problem beikommen kann. Seit kurzem hat dieser Glaube Risse bekommen.
Mindestens einmal in der Woche sitzt er im Saal 8112A des Berliner Familienministeriums, es ist ein Raum ohne Fenster, alles ist ausgekleidet mit dunkelblauem gewelltem Tuch. An der Wand hängt ein großer schwarzer Flachbildschirm, darüber thront eine Videokamera. Es ist ein Bild wie aus einer Verfilmung des Romans »1984« von George Orwell.
Wenn Hoofe auf die Schnelle mit seinen Beamten in Bonn reden will, muss er hierherkommen, es ist der Videosaal seines Ministeriums. Hoofe hat schon alles Mögliche versucht, um eine vernünftige Arbeitsatmosphäre in diesen Schaltkonferenzen hinzubekommen. Er hat sich angewöhnt, laut und deutlich zu sprechen, er blickt immer gerade in die Kamera.
Trotzdem bleiben diese Sitzungen seltsam unergiebig. Mal macht einer einen Scherz, weil die Übertragung hakelt, mal fehlt die Gelegenheit, ein verfahrenes Gespräch
mit einer Kaffeepause voranzubringen. »Es macht einen manchmal wahnsinnig«, sagt Hoofe.
1999 wurde wegen des geteilten Regierungssitzes eigens der »Informationsverbund Berlin/Bonn« eingerichtet, der nach Berechnungen des Bundesrechnungshofs bis 2008 über 500 Millionen Euro kosten wird. Dank der neuen Technik haben alle Ministerien die einheitliche Vorwahl 01888. Den Bürgern wird damit vorgegegaukelt, Deutschland werde von einem Ort aus regiert. Die Beamten hat die Technik aber kaum einander nähergebracht.
Hoofe hat sich deshalb angewöhnt, einmal in der Woche nach Bonn zu fliegen. Von dort kommen ihm Kollegen entgegen. Wer am Montagmorgen am Köln-Bonner Flughafen steht, der kann beobachten, wie Herren mit schwarzen Aktenkoffern und Damen in grauen Kostümen Billigflieger besteigen. Es sieht aus, als wäre Ausflugstag in Behördendeutschland. 5500 Staatsdiener pendeln jeden Monat zwischen Bonn und Berlin, allein das kostet rund eine Million Euro.
In den Sitzungswochen lungern Abteilungsleiter und Referenten stundenlang in den schwarzen Ledersofas im Berliner Paul-Löbe-Haus, bevor sie den Bundestagsabgeordneten Fachfragen beantworten können. Oft dauert ihr Auftritt nur ein paar Minuten, dann dürfen sie sich wieder ins Flugzeug zurück nach Bonn setzen.
Bärbel Dieckmann ist die Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn. Sie ist eine schlanke blonde Frau von 56 Jahren. Als sie an diesem Mittwoch das Dienstzimmer des Bonner Rokoko-Rathauses betritt, trägt sie ein dunkelbraunes Kostüm, sie kommt gerade vom Neujahrsempfang des Bundespräsidenten in Berlin. Am Morgen durfte sie als eine der Ersten Horst Köhler die Hand schütteln, ein Privileg, das dem Bonner Stadtoberhaupt immer noch zusteht.
Dieckmann ist seit 1994 im Amt, und seither kämpft sie dafür, dass die Ministerien in Bonn bleiben. Wenn man ihr von den Klagen der Beamten über den schwierigen Regierungsalltag zwischen Bonn und Berlin erzählt, schüttelt sie unwillig den Kopf und sagt: »Ich kann nicht erkennen, dass es größere Probleme gibt.« Für sie ist das Thema damit erledigt.
Es ist ihr egal, dass ihre Stadt die Unterstützung aus Berlin nicht braucht. Kaum eine Stadt in Nordrhein-Westfalen hat eine höhere Kaufkraft als Bonn, zwei Dax-Unternehmen haben hier ihren Sitz, die Arbeitslosenquote liegt mit 8,8 Prozent weit unter dem Bundesdurchschnitt.
Bescheidenheit wird in der Politik nicht honoriert. Es geht darum, herauszuschlagen, was möglich ist. Nur so kann man sich vor dem Vorwurf schützen, die eigenen Wähler zu vernachlässigen. Da zählt es nicht, dass der Bund in den vergangenen Jahren schon 1,43 Milliarden Euro gezahlt hat, dass er die Bonner Kunsthalle finanziert und das Haus der Geschichte. Es kann immer noch ein bisschen mehr sein.
Man kann Dieckmann ihre Lobbyarbeit nicht einmal vorwerfen. Sie ist gewählt worden, um die Interessen ihrer Stadt zu vertreten. Ärgerlich ist nur, wie leicht es ihr fällt, den Sonderstatus für Bonn zu konservieren.
Auf den ersten Blick scheint es, als hinge Dieckmanns Erfolg damit zusammen, dass sie Mitglied der SPD ist und in Berlin in den vergangenen sieben Jahren ein sozialdemokratischer Kanzler regierte. Aber das täuscht. Bonn hat seine Privilegien weder der SPD noch der CDU zu verdanken, sondern einer Partei, die 130 Abgeordnete im Bundestag stellt und über 6 Stimmen im Bundesrat verfügt. Diese Partei heißt NRW.
Die nordrhein-westfälischen Politiker Franz Müntefering (SPD) und Guido Westerwelle (FDP) und Jürgen Rüttgers (CDU) mögen sich über Atomenergie streiten, über das Verhältnis zu den USA und den richtigen Weg in der Gesundheitsreform; beim Thema Berlin-Bonn-Gesetz sind sie sich schnell einig. Wenn Westerwelle vor einer »zweiten Umzugskarawane« warnt, dann nicken alle.
Die Macht ist so groß, dass nicht einmal mehr Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit dagegen aufbegehren mag. Klar, die Aufteilung zwischen Berlin und Bonn sei unsinnig, sagt er. »Aber wir wissen doch alle, wie stark das Land NRW im Bundestag ist.« RENÉ PFISTER