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EWG Manie dieser Leute

aus DER SPIEGEL 14/1964

Bonns Bauern - Minister Werner Schwarz spielte den steinernen Gast mit Routine. Er hatte den anderen Agrarministern der EWG am Dienstag letzter Woche im Brüsseler Konferenzraum zum Thema Getreidepreis wieder einmal nichts zu sagen.

Diesmal wußten die europäischen Kollegen jedoch, daß Schwarz mit allerhöchster Genehmigung mauerte. Ludwig Erhard hatte seiner besseren Einsicht ein Staatsbegräbnis zuteil werden lassen und der Grünen Lobby im Bundestag öffentlich zugesichert, der westdeutsche Getreidepreis werde jedenfalls bis Ende 1966 auf seiner einsamen Höhe bleiben.

Das Werbegeschenk an drei Millionen Bauern-Wähler ist teuer. Außer der Bundesrepublik stimmen alle EWG-Länder dem Vorschlag des holländischen EWG-Kommissars Sicco Mansholt zu, die Sechs sollten ihre unterschiedlichen Getreidepreise möglichst bald bei einem mittleren Wert angleichen. Ein Beschluß über die künftige Höhe dieses Preises ist auch die Voraussetzung dafür, daß mit den Amerikanern in der bevorstehenden Kennedy-Runde erfolgreich über gegenseitige Zollsenkungen verhandelt werden kann.

Dennoch ließ sich der Kanzler kurz vor den entscheidenden Preisgesprächen in Brüssel von den Grünen Kriegern der Bonner Koalition über den Haufen rennen.

Schon auf dem CDU -Parteitag in Hannover hatten die Bauern Detlef Struve und Bernhard Bauknecht Anlauf genommen. Ein mittlerer Getreidepreis sei für Westdeutschlands Landwirte unzumutbar. Bauknecht über die Brüsseler: »Der Plan ist eine Manie dieser Leute da.«

Das wahlfiebrige Parteitagsplenum beschloß ein »Agrarpolitisches Programm«, dessen Kernsatz lautet: »Die Erhaltung des

deutschen Agrarpreisniveaus in der EWG ist die entscheidende Voraussetzung für die Existenz der bäuerlichen Betriebe.« Der Programm-Autor, Nordrhein-Westfalens Landwirtschaftsminister Niermann, beschwor seine Parteifreunde: »Nur wenn wir dieses Programm beschließen, können wir die absolute Mehrheit zurückgewinnen.«

Die Agrar-Trommler wußten, daß Gefahr im Verzuge war. Auf Erhards Tisch lag ein Gutachten zum EWG-Getreidepreis, das er von den Staatssekretären Hüttebräuker (Landwirtschaft), Lahr (Auswärtiges Amt), Neef (Wirtschaft) und Grund (Finanzen) eingefordert hatte. Die vier erklärten sachgerecht: Bonn solle sich jetzt schon verpflichten, den Europapreis im Jahre 1967 zu akzeptieren; vom 1. Januar 1966 an könne die Bundesrepublik im Brüsseler Ministerrat ohnehin durch einfache Mehrheit dazu gezwungen werden, und es sei fraglich, ob sich die Partner dann noch zu EWG-Subventionen für die deutschen Bauern bereitfinden würden.

Das Staatssekretärspapier (Struve: »Das sind Sandkastenspiele") pusteten die Agrarier vom Tisch. Am Mittwochabend vorletzter Woche, einen Tag vor der landwirtschaftlichen Plenarsitzung des Bundestags, marschierten die Bauern beider Koalitionsparteien ins Palais Schaumburg.

Zuerst sprachen die Christdemokraten allein mit ihrem Kanzler. Erhard wand sich: »Meine Herren, ich weise Sie darauf hin, daß wir große Schwierigkeiten in der Kennedy-Runde bekommen.« Als aber schließlich noch die FDP-Verstärkung anrückte, ergab sich der Regierungschef.

Tags darauf gelobte er im Bundestagsplenum dem deutschen Nährstand, er werde am Getreidepreis bis 1966 getreulich festhalten und sich bis dahin auch nicht auf spätere Preissenkungen festlegen lassen. Der Kanzler weigerte sich lediglich, den Getreidepreis gleich bis zum Ende der EWG-Aufbauzeit im Jahre 1970 zu garantieren.

Vorsorglich hatten aber die Grünen eine Stunde, vor Beginn der Plenarsitzung einen Antrag formuliert, der die Regierung dennoch bis 1970 festnageln soll. Der Bundestag beschloß folgsam: »Die Festsetzung eines gemeinsamen

Getreidepreises vor dem

Ende der Übergangszeit wird abgelehnt.«

Des Kanzlers Preis-Böller im Bundestag zündete, wie zu erwarten war, in Brüssel sogleich weitere Detonationen. De Gaulle, der im Gegensatz zum liberalen Erhard für Zollkonzessionen an die USA nie viel übrig hatte, ließ seinen Agrarminister Edgard Pisani mitteilen: Wenn Bonn beim Getreidepreis kein Entgegenkommen zeige und über Agrarzölle deshalb mit den Amerikanern nicht zu verhandeln sei, werde Frankreich auch über Industriezölle nicht reden.

Somit geriet die Kennedy-Runde in Gefahr, und Bonn war der Sündenbock. Werner Schwarz jedoch blieb unerschütterlich: »Das ist eine Angelegenheit von Herrn Schmücker. Dazu kann ich nichts sagen.«

Pisani nach der Sitzung: »Er tut so, als ob er der deutschen Bundesregierung nicht angehört.«

Frankfurter Allgemeine

»Wie ich schon neulich in Holland sagte, lieber Schröder, der Europa-Zug ist abgefahren, und niemand kann ihn aufhalten - auch der de Gaulle nicht, der immer aus Eigennutz handelt«

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