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Briefe

MANIPULIERT
aus DER SPIEGEL 16/1968

MANIPULIERT

(Nr. 12/1968, Weiss-Interview)

Ich habe es immer als ein Glück empfunden, daß unsere Dichter sich nach dem Weltkrieg endlich mehr mit Politik befaßten. Jedoch bei Vietnam nimmt der Amateur-Betrieb jetzt überhand. Peter Weiss zeigt sich ein weiteres Mal schlecht informiert, wenn er der Vietnam-Berichterstattung unserer Massenmedien in Bausch und Bogen eine parteiische und einseitige Sprache unterstellt. Lassen Sie mich nur vom Fernsehen reden: Wann hätten Vietnam-Reporter wie Scholl-Latour und Ruge vom WDR, Berg vom NDR oder ich sich auf die Weitergabe von Informationen beschränkt, »die dem Establishment nicht zuwiderlaufen«? Ich könnte allein fünf Spalten mit der Begründung füllen, warum ich mich noch nicht dazu entschließen kann, den Vietcong eine »Nationale Befreiungsfront« zu nennen. Die Sorge, eine ZDF-Redaktion könnte mir dieses Wort aus dem Tonband schneiden, ist nicht darunter. Für wie primitiv halten Dichter eigentlich die Journalisten? Glaubt Peter Weiss ernstlich, wir Asienkorrespondenten, die wir Vietnam schon seit den Zeiten Diems erleben. hätten beim Schreiben noch nie über die Gefahren und die Ambiguität jener Klischees und Formeln nachgedacht, aus denen die Sprache des Vietnamkriegs besteht? Kann sich in Deutschland ein Dichter nicht zu etwas mehr Respekt verstehen vor der unmittelbaren Erfahrung? Wäre es denkbar im englischen oder französischen Sprachgebiet, daß einer über Zeitgeschichte schreibt, ohne sie miterlebt zu haben? Steinbeck und Mary McCarthy haben ihre entgegengesetzten Vorurteile wenigstens an Ort und Stelle gepflegt.

Hongkong CARL Weiss*

Herr Weiss beweist uns endlich deutlich, was wir lange nicht glauben wollten: Objektivität ist möglich. Objektivität ist die Herausstellung der Manipulation der einen Seite, die die Manipulation zugunsten der anderen rechtfertigt. Objektiv kann man die Handlungen der einen Seite sogar »aus einer Parteilichkeit beurteilen«; daß Herr Weiss genügend Abstand zu den Vorgängen in Vietnam hat, beweist ja die Tatsache, daß er noch nicht dort war und somit seine Meinung nicht manipuliert werden konnte.

Die Schuldfrage im Vietnam-Krieg ist dem unvoreingenommenen Betrachter schon längere Zeit klar; nur den Unterschied zwischen Mord und Mord und den Unterschied zwischen Manipulation und Manipulation hat Herr Weiss in seiner Weisheit jetzt endlich klargemacht.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß das sozialistische Bürgertum, dem Herr Weiss huldigt, und das ihm so angenehme, ruhige Lebensbedingungen gewährt, aus einem einst guten Stückeschreiber einen traurigen Naivling gemacht hat, dessen herrliche Äußerungen in einer ideologisch andersgerichteten »Bild«-Zeitung hübsch die rosa Kästen füllen würden.

Karlsruhe PETER F. BRINGMANN

Herr Weiss möchte mit seinem Stück das Gewissen aufrütteln. Das kann er nur, wenn er den Krieg schlechthin verdammt und nicht, wenn er wie ein Politiker argumentiert. Er sollte sich als ein Verfechter für die Menschlichkeit betrachten, zum Beispiel wie ein politisch nicht engagierter Theologe. Der Krieg in Vietnam ist zu verurteilen. Die Frage nach der Schuld stellt sich hier nicht mehr. Herr Weiss glaubt, der Vietcong kämpfe für eine gerechte Sache, doch muß ich Herrn Weiss die Frage stellen, gibt es überhaupt eine politische Idee, die einen Krieg rechtfertigt?

Essen HANS-ULRICH FREUDENBERGER

Meines Erachtens dürfte es kaum ein Dokument geben, welches treffender und deutlicher eine Charakterisierung des Herrn Weiss abgibt, als das in Ihrem Interview mit seinen eigenen Worten gezeichnete Selbstbildnis. Badenweiler (Bad.-Württ.)

EBERHARD SCHÄFER

Leiter des Studios Hongkong des Zweiten Deutschen Fernsehens.

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