»Mann ohne Heimat«
Der Notar hieß Giovanni Recco, und am 18. Januar 1455 stellte er einen Mietvertrag aus, der heute für die Stadt Genua ein zentrales Beweisstück im Fall Christoph Columbus ist. Recco schrieb:
Giacomo Fiesci, Bruder des hochwürdigen Bischofs Fiesci, vermietet dem Wollweber Domenico Colombo ein Haus im Vico Dritto, mit Hausfront gegen die Gasse.
Es geht um viel bei dem Namen des Mieters Colombo. Denn einer seiner Söhne, damals drei Jahre alt, soll auf den Namen Cristoforo gehört haben. Cristoforo Colombo - Christoph Columbus?
In einem kleinen Haus, das noch heute an dem Fußweg Vico Dritto steht, soll der Entdecker Amerikas als Kind gespielt haben. Mit seinem Bruder Bartolomeo, der später so etwas wie ein Gouverneur der Westindischen Inseln wurde, mit dem Nesthäkchen Giacomo und mit Schwester Bianchinetta, die dann einen Käsehändler heiratete.
Nur: Seit Jahrhunderten zweifeln immer wieder Columbus-Kenner unterschiedlicher Provenienz an dieser Version. Columbus soll aus Spanien stammen, behaupten manche. Es gibt aber auch einen Columbus aus Portugal, einen aus Calvi auf Korsika und sogar einen aus Griechenland.
Denn Columbus selbst hat seine Spuren verwischt, seine Herkunft verschleiert. Sein Sohn Fernando schrieb: »Der Admiral zog es vor, im Ungewissen zu belassen, was mit seinem Geburtsort und seiner Familie zu tun hat.«
Der amerikanische Columbus-Experte Kirkpatrick Sale meint, die Spuren seien »so verworren und lückenhaft, dass mehr dahinter stecken muss als der nachlässige Umgang mit Wahrheit und Erfindung, den man von ihm kennt. Die Dunkelheit über alldem legt nahe, dass Columbus ein Mann ohne Heimat, ohne Wurzeln, ohne Familie war«.
Nicht einmal seine Unterschrift, eine kryptische Buchstaben-Pyramide, konnten Wissenschaftler vollständig entschlüsseln. Und Historiker haben nur zwei Belege dafür gefunden, dass er das Italienische überhaupt beherrschte, Randnotizen in Büchern. Columbus schrieb schnell und schnörkellos. Er schrieb wie ein Händler. Das Problem: Er schrieb meist wie ein Händler aus Spanien und nicht wie einer aus Italien, Kastilisch, mit portugiesischem Einschlag.
DNA-Experten der Universität Granada haben im vergangenen Jahr Proben der angeblichen Knochen des Entdeckers entnommen. Sie wollen herausfinden, ob sein Leichnam, der in einer abenteuerlichen Reise um die halbe Welt verschifft wurde, nun tatsächlich in Sevilla liegt - und ob sein Erbgut zu dem des spanischen Prinzen Carlos de Viana passt, der, so Verfechter der Spanien-Theorie, sein heimlicher Vater gewesen sein soll.
Dabei führt eine breite Spur zu den Colombos von Genua und weiter zu jenem Cristóbal Colón, der für Spanien eine Neue Welt entdeckte. Sie beginnt hinter der Fassade eines alten Palais in Genua. Im »Archivio di Stato« sammelt die Stadt Akten seit dem Jahr 1200, tonnenweise Kaufverträge, Lehrlingsverträge, Lohnbescheide, Gerichtsurteile.
Die Archivarin Patrizia Schiappacasse hütet die Dokumente des Falls Columbus: Es sind zumeist längliche, in jahrhundertealtes Leder gebundene Urkundenbände von Notaren, mit Kordeln und Packpapier zusammengeschnürt.
Die Spur beginnt am 21. Februar 1429, jenem Tag, an dem ein Giovanni Colombo einen Vertrag mit einem Immigranten aus dem heutigen Deutschland besiegelt, der Colombos Sohn Domenico als Lehrling annimmt.
Um 1445 heiratet dieser Domenico dann ein Mädchen vom Land. Später geht es der jungen Familie schlecht, Domenico muss sich Geld leihen bei einem Genuesen namens Gerolamo del Porto. Und sein Sohn »cristoforus filius« muss mit ihm bürgen. Kurz danach müssen sie sich schon wieder Geld borgen. In der Schuldverschreibung, aufgesetzt am 31. Oktober 1470, heißt es, Sohn Christoph sei »über 19 Jahre alt«.
Die Kredite schlagen auch eine Brücke zum Entdecker Amerikas: Als Columbus kurz vor seinem Tod ein Testament aufsetzt, verfügt er, dass den Erben von Gerolamo del Porto aus Genua noch 20 Dukaten zu zahlen seien.
Genua also? Äußerst wahrscheinlich. Nur vielleicht war es nicht das, was Columbus verschleiern wollte.
Es gibt eine Theorie. Sie ist abenteuerlich. Aber es existieren Indizien: Vorfahren von Columbus sollen Juden gewesen sein. Und weil das Königshaus zudem alle Juden aus Spanien vertrieb, sollen die auf Columbus gesetzt haben - in der Hoffnung, er könne neue Länder finden, auch für Vertriebene.
In den Jahren um 1970 macht sich der jüdische Nazi-Jäger Simon Wiesenthal auf die Suche. Er findet Mosaiksteine. Keiner davon beweist etwas. Aber es sind eine Menge Mosaiksteine. Den Namen Colombo etwa führten in Norditalien viele jüdische Familien. Und Columbus' Mutter hieß Susanna, ihr Vater Jacobo - beides jüdische Vornamen, wenngleich Christen ebenfalls so getauft wurden.
Dann stieß Wiesenthal darauf, dass Columbus sich sehr gut in der jüdischen Gedankenwelt auskannte. In einer Notiz etwa überträgt er das Jahr 1481 mal eben in die jüdische Zeitrechnung. »Es kann sehr gut sein, dass Columbus jüdischer Abstammung war«, sagt der Columbus-Experte Juan Gil, Professor in Sevilla.
Und: Die »katholischen Könige«, wie Ferdinand und Isabella genannt wurden, hatten angeordnet, dass sich bei Todesstrafe am 3. August 1492 kein Jude mehr in Spanien aufhalten dürfe - am 3. August in den frühen Morgenstunden verließ Columbus' erste Flotte Spanien.
Ein Rätsel ist auch das Wunder von Santa Fe: Acht Jahre lang hatte Columbus bei Hofe antichambriert, um sein Projekt durchzusetzen, die Suche nach einer Westroute Richtung Indien. Immer wurde er vertröstet, erst müsse man die Mauren aus dem Land vertreiben.
Als deren letzte Festung Granada am 2. Januar 1492 fiel, glaubte er sich kurz vor dem Ziel - und stellte ungeheuerliche Forderungen: Vizekönig aller neuen Länder wollte er werden. Königin Isabella musste, noch im Feldlager von Santa Fe, ablehnen. Endgültig. Geschlagen sattelte Columbus sein Maultier und ritt, so Columbus' Sohn Fernando, »Richtung Córdoba, um seine Reise nach Frankreich vorzubereiten«, wo er nun Unterstützung suchen wollte.
Er kam aber nicht weit, dann holte ihn ein Bote zu Pferd ein: Columbus möge umkehren. Seine Bedingungen seien nun doch akzeptiert. Der Mann, der das Wunder vollbrachte, die Königin umstimmte, hieß Luis de Santángel, Privatschatzmeister des Königs. Und er hängte sich, so Fernando, gefährlich weit aus dem Fenster:
An jenem Tag, an dem der Admiral Santa Fe verließ, stellte sich Santángel vor die Königin. Er sprach zu ihr mit Worten, die sein starkes Verlangen demonstrierten, sie zu überzeugen. Er sagte ihr, er sei verblüfft, dass Ihre Hoheit, die sonst so resolut handele, es jetzt daran mangeln lasse. Zudem sei das Unterfangen dergestalt, dass es ihrem Wohlergehen schaden würde, falls ein anderer Machthaber wagen würde, was der Admiral anbot.
Santángel , den das Ganze eigentlich nichts anging, erbot sich auch, einen großen Teil der Expedition zu finanzieren. Warum? Der Mann war ein »Converso«, einer jener 300 000 spanischen Juden, die sich aus Angst hatten taufen lassen, die sich trotzdem noch vor der Inquisition fürchten mussten. Columbus' Pläne, meint Wiesenthal, »weckten Hoffnungen bei den Verfolgten. Damit öffnete sich eine Perspektive eines Auswanderungslandes«. Außerdem habe es diese alte jüdische Legende von verlorenen Stämmen Israels gegeben, die irgendwo ein jüdisches Reich gegründet hätten: »Wenn es eine Brücke zwischen Columbus und den Juden gegeben hat, dann war es die Möglichkeit, solche Länder zu entdecken.«
Columbus nahm auf seiner Entdeckungsreise als einzigen Dolmetscher einen Mann namens Luis de Torres mit. Der beherrschte Arabisch, eine Sprache, die Menschen in Indien womöglich verstehen würden. Aber: Auch de Torres war ein getaufter Jude und hätte sich wohl auf Hebräisch verständigen können.