Umwelt Manschen und panschen
Vorsichtig tastete er sich, Schritt für Schritt, voran. Plötzlich sackte Ulrich Brinkmann, 47, bis zum Knie in eine sumpfige, übelriechende Masse.
Brinkmann, SPD-Abgeordneter im Stuttgarter Landtag, hatte sich detektivisch betätigt und in der Nähe des belgischen Ortes Brennhag in einer Sandgrube schwäbischen Giftmüll aufgespürt: Kadaver aus einer Tierkörperbeseitigungsanstalt, aufgelöst in scharfen Chemikalien, vermischt mit Bauschutt.
Am Export der ätzenden Pampe war ein Giftmüll-Schieber beteiligt, der seit Jahren durch eigenwillige und auch illegale Methoden auffällt: Walter Reinger, 52, Inhaber eines verschachtelten Firmenimperiums mit mehreren Auslandsfilialen und mit einer Briefkastenfirma in der Schweiz an der Spitze (siehe Schaubild Seite 42).
Reinger gilt in Baden-Württemberg, wo Giftmüll-Notstand herrscht, häufig als Retter in der Not. Bis zu 100 000 Tonnen Müll schafft er jährlich ins Ausland. Wegen seiner internationalen Verbindungen hat die CDU-Landesregierung unter Ministerpräsident Lothar Späth eine gemeinsame Firma mit dem Abfallhändler gegründet, um gefährlichen Unrat außer Landes zu bringen.
Zur vereinfachten Abwicklung der Transporte ins Ausland will Reinger jetzt ein Sondermüll-Zwischenlager einrichten, in dem, bundesweit einmalig, Chemieabfälle eigens für den Export gesammelt und aufbereitet werden sollen: etwa Schmierfette, Galvanik- und Lackschlämme, täglich 100 Tonnen. _(* Die stellvertretende SPD-Vorsitzende ) _(Herta Däubler-Gmelin (3. v. l.) bei der ) _(Besichtigung eines bereits genehmigten ) _(Betriebsteils im März. )
Gegen das geplante Zwischenlager in der 3300-Einwohner-Gemeinde Nehren bei Tübingen kämpfen Umweltschützer und Lokalpolitiker, weil sie eine Belästigung der Anwohner und benachbarter Unternehmen befürchten, beispielsweise einer Schokoladenfabrik.
Darüber hinaus könnte das Lager, wie Experten vom Hamburger Umweltinstitut Epea glauben, als »Giftmüll-Panschanlage« Pilotfunktion bekommen. Wenn es erst einmal genehmigt sei, meint Institutschemiker Michael Braungart, 32, werde es Folgetäter ermutigen, die in weiteren Zwischenlagern Abfälle vermischen und unkontrolliert ins Ausland verschieben. Damit »bricht die ganze Abfallüberwachung zusammen«, prophezeit Braungart.
Besonders bedenklich sei, meinen Kritiker wie Braungart, daß beim ohnehin fragwürdigen Export von umweltgefährdenden Abfällen mit Reinger »der Bock zum Gärtner« gemacht werde. Denn der »Giftmüllkönig von Süddeutschland« war, wie das Schweizer Boulevardblatt Blick schon 1987 resümierte, »in fast jeden Schweizer Giftmüllskandal der letzten Jahre verwickelt«. Reingers Müll machte auch anderswo Ärger: *___An deutschen Zollstellen und bei Polizeikontrollen ____wurden Reinger-Lastwagen mehrfach gestoppt, weil die ____Gift-Transporter falsche Papiere dabeihatten, weil die ____Müllkutscher nicht genehmigte Abkürzungen gefahren oder ____mit defekten Lkws unterwegs waren. *___1983 kündigte die Schweizer Gemeinde Würenlingen ihren ____Vertrag mit Reinger: Er hatte allein 1982 über 5000 ____Tonnen Sonderabfälle auf die Hausmülldeponie ____"Bärengraben« gekippt. Reinger mußte zudem zugeben, daß ____er - »versehentlich« - auf der schweizerischen ____Sondermülldeponie Kölliken ohne Genehmigung 200 Tonnen ____Lack- und Tankreinigungsschlämme abgeladen hatte. *___Im Jahr 1986 entzog das Hessische Landesbergamt der ____Firma Reinger die Genehmigung zur Nutzung der ____Untertagedeponie Herfa-Neurode, weil der angelieferte ____Abfall nicht ordnungsgemäß verpackt war. *___Im Mai 1987 startete Greenpeace eine Aktion gegen die ____von Reinger gegründete Chiresa im aargauischen ____Spreitenbach. Die Firma hatte auf einem Kiesparkplatz ____ohne Genehmigung hochgiftige Chemikalien gelagert, ____darunter Tetrachlor-Kohlenstoff, der in der Schweiz auf ____einer Liste verbotener Stoffe steht. *___An Bord der Passagierfähre »Herald of Free Enterprise«, ____die 1987 im Ärmelkanal versank, war ebenfalls ____Reinger-Giftmüll, nach Ansicht des belgischen ____Toxikologen Aubin Heyndrickxs eine »brisante Fracht« ____aus fast 100 Chemikalien von Benzol bis Zyankali, die ____im Falle eines Brandes Auswirkungen wie bei der ____Chemiekatastrophe im indischen Bhopal gehabt hätte.
Walter Reinger sieht sich zu Unrecht bezichtigt: »Alles, was wir gemacht haben, war in Ordnung.« Mit Ausnahme einer Geldbuße von 5000 Mark wegen falsch ausgestellter Abfall-Begleitscheine und einer Geldbuße von 12 500 Mark wegen Verschmutzung des Flüßchens Wutach sei er nie belangt worden, sagt Reinger. In der Tat: Meist billigten die Behörden seine Praktiken - schließlich schafft er lästigen Giftmüll beiseite.
Für die Stuttgarter Regierung ist der Mann besonders wichtig. Mangels ausreichender Entsorgungsmöglichkeiten ist Baden-Württemberg der Abfallexport-Champion unter den Bundesländern. Von einer Million Tonnen Giftmüll, die jährlich ins Ausland gehen, stammen 300 000 Tonnen aus Lothar Späths Musterländle.
Und nur Reinger weiß offenbar, wohin damit: Er hat sich exklusive Abnahmeverträge beschafft. Nach eigenen Angaben kann er bei französischen Deponien mehr als 250 000 Tonnen Haus- und Sondermüll im Jahr unterbringen. »Es gab keine Alternative« zu Reinger, sagt der Stuttgarter Umwelt-Staatssekretär Werner Baumhauer - der Giftmüll-Exporteur wurde zum Partner erkoren.
Im Januar 1990 gründete die landeseigene »Sonderabfallentsorgung Baden-Württemberg« zusammen mit Reingers Reko die »Sonderabfallentsorgung Hafen Stuttgart GmbH«; die Landesgesellschaft begnügte sich mit einem Minderheitsanteil von 49 Prozent. Seither ist das Land mit Reingers weitverzweigtem Imperium verbunden, zu dem auch Filialen in Österreich und Ungarn gehören.
Daß obenan eine dubiose Schweizer Briefkastenfirma namens Bio-Terra AG steht (Adresse: Seestraße 7a, Hergiswil am Vierwaldstätter See), stört den Umwelt-Staatssekretär wenig: »Das ist nicht unser Problem.«
Immerhin schaffen Reingers Firmen dank internationaler Verbindungen alljährlich bis zu 100 000 Tonnen Sondermüll über die Grenze - in die Schweiz, nach Großbritannien, Frankreich, Ungarn oder Belgien.
Kritiker argwöhnen, daß über ausländische Geschäftspartner Giftmüll aus Baden-Württemberg umdeklariert und beispielsweise in Entwicklungsländer verschoben werden könnte. »Wenn das Zeug erst mal in Belgien angekommen ist«, sagt Umweltchemiker Braungart, »ist das gewissermaßen vogelfrei.«
Das geplante Zwischenlager im württembergischen Nehren könnte Möglichkeiten eröffnen, auf legalem Wege Abfälle für den Weitertransport zu präparieren. In der »Mansch- und Panschanlage«, vermutet Braungart, ließen sich brennbare Abfälle wie Lackschlämme oder Schmierfette etwa mit Sägemehl vermischen und so, zu »Wirtschaftsgut« veredelt, problemlos exportieren.
Bislang geschieht das illegal. 1,1 Millionen Tonnen gehen nach Schätzungen des Umweltbundesamtes auf diese Weise jährlich ins Ausland und werden, etwa in belgischen Zementwerken, ohne die in Giftmüll-Öfen nötigen Sicherheitseinrichtungen verbrannt.
Die neue »Technische Anleitung Sonderabfall«, die für den Herbst geplant ist, soll Exportlager jedenfalls für solchen Giftmüll verhindern, der sich auch im Inland schadlos beseitigen läßt. Im Genehmigungsverfahren hat das Land Baden-Württemberg jedoch bislang keine Anstalten gemacht, die künftig geltenden Bestimmungen gegen das Projekt seines Partners Reingers in Nehren anzuwenden - was rechtlich durchaus möglich wäre.
Umweltminister Erwin Vetter gibt sich derweil öffentlich als Gegner jeglicher Giftmüll-Exporte. Das sei, verkündete er in einer Umweltschutz-Regierungserklärung im Mai, eine »grausliche, nicht mehr länger akzeptable Lösung«.
* Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin (3. v.l.) bei der Besichtigung eines bereits genehmigten Betriebsteils imMärz.