Ferdinand Marcos Zerstörung einer Heldenlegende
Der Bericht, den US-Oberst Russell Volckmann am 18. August 1945 auf seinem Schreibtisch vorfand, ließ die Wortgewandtheit eines eloquenten Anwalts erkennen und den unbändigen Ehrgeiz des Verfassers erahnen.
Volckmann, der als amerikanischer Befehlshaber nach der Befreiung der Philippinen von japanischer Besatzung über die weitere Verwendung der einheimischen Untergrundeinheiten wachte, las die »kurzgefaßte Geschichte« einer Guerilla-Einheit namens »Ang Mga Maharlika«, geschrieben von ihrem Anführer.
Die »Maharlika« (»Edelmänner«) seien, wie vier Jahrzehnte später der australische Historiker Alfred McCoy befand, »eine der bemerkenswertesten Guerilla-Armeen der Kriegsgeschichte« gewesen – vorausgesetzt, die Volckmann vorliegende »meisterhaft formulierte« (McCoy) 29-seitige Darstellung stimmte.
Die selbst ernannten philippinischen Edelmänner halten sich, so die Darstellung, nach dieser Version in einem japanischen Kriegsgefangenenlager nach der US-Niederlage auf den Philippinen im Dezember 1942 formiert. Getrieben von einem »Haß auf den Feind, der allein mit Blut gestillt werden konnte« (so der Autor), sei einem Major und einem Leutnant die Flucht gelungen. Die zwei hätten sich in die Hauptstadt Manila durchgeschlagen und dort die Guerilla-Einheit »Maharlika« aufgebaut. Sie »wurde schnell zur kampfstärksten Untergrund-Organisation in Manila«, heißt es rühmend in dem Schriftstück.
Als geheimes Hauptquartier diente den Partisanen eine Fabrik für Zahnbürsten, mit deren Verkauf sie ihren Kampf gegen die japanischen Besatzer und ihre Spionageaktionen für die künftigen Befreier, General McArthurs Truppen finanzierten.
Dabei vollbrachten sie wahre Heldentaten: Sie unterwanderten die von Japan eingesetzte Regierung, schmuggelten Waffen in die Stadt, organisierten »Erschießungskommandos«, deren Aufgabe es war, »besonders verruchte japanische Kriegsverbrecher« zu schnappen, die dann einem »durch Los bestimmten Henker überlassen wurden«.
Stenographen der »Maharlika« schrieben am Radio die Siegesberichte der US-Armee und -Marine mit. Sie wurden in einer Untergrundzeitung veröffentlicht, die dreimal täglich erschien. Überdies waren die etwa 100 »Maharlika«-Agenten unermüdlich damit beschäftigt, 17 Millionen Filipinos per Mundpropaganda einzuschärfen, die »Samurai-Moral des japanischen Soldaten« zu zerstören: »Bringt ihm bei zu trinken, seine Zeit zu vertrösten und sich dem Luxus hinzugeben, den er nicht kennt.«
Die Guerillakämpfer gaben sich nicht mit solchen subversiven Aktionen zufrieden, sie feierten auch militärische Erfolge: »Maharlika« versenkte im Hafen von Manila sechs japanische Schiffe, beschädigte einen Zerstörer und Truppentransporter. Andere »allgegenwärtige Saboteure« kappten Telephonleitungen, zerstörten Vorratslager brannten Werftanlagen nieder und mischten Wasser ins Flugbenzin japanischer Bomber. Damit nicht genug: In der Provinz Ilocos Norte stellte die »Maharlika« ein Regiment von 3500 Guerillakämpfern auf, unter ihnen ein gewisser Fabian Ver, damals Leutnant, heute zwielichtiger Stabschef der philippinischen Streitkräfte.
»Einem einzigen Bataillon dieser Truppe«, so das Papier, sei es später gelungen, »die Provinz zu befreien, und das ohne Hilfe der US-Truppen.«
Laut »Maharlika-Kurzgeschichte« war vor allem der Anführer der 8300 Mann starken Untergrundeinheit höchsten Gefahren ausgesetzt. »Es schien«, konnte Oberst Volckmann dem Bericht entnehmen, »daß die Japaner hinter ihm her waren und hinter keinem anderen.«
Der Mann, der aus der selbstverfaßten »Maharlika«-Saga als strahlender und wagemutiger Kriegsheld hervorstach, sollte es weit bringen. Der Name des Ex-Guerillaführers, der sich nach der Befreiung bescheiden als Verwaltungsoffizier in die US-Armee einreihen ließ: Ferdinand E. Marcos, seit 25 Jahren Herrscher über 50 Millionen Filipinos.
Die dürfen übernächste Woche abstimmen, ob sie wieder Marcos oder seine Herausforderin Corazon Aquino zum Präsidenten haben wollen. Und es könnte durchaus sein, daß Marcos jetzt im Wahlkampf über seine tolle Kriegslegende stolpert.
Denn der Geschichtsprofessor McCoy entdeckte durch Zufall offizielle Dokumente, die Marcos als Schwindler und Aufschneider entlarven. Für ein geplantes Buch über die Philippinen im Zweiten Weltkrieg hatte McCoy im Sommer vorigen Jahres in den Nationalarchiven in Washington Akten über die »Maharlika« kopieren dürfen.
Seine Analyse des rund 400 Seiten starken Materials schien ihm so brisant, daß er sie vorletzte Woche der »New York Times« übergab. Die beauftragte zwei Reporter, die Erkenntnisse des Geschichtsprofessors nachzuprüfen. Vorigen Donnerstag veröffentlichten Jeff Gerth und Joel Brinkley ihren Bericht, der McCoy bestätigt.
Fazit: Marcos hat gelogen – die angeblich erfolgreiche, vieltausendköpfige Guerillatruppe »Maharlika« ist eine Erfindung des gelernten Rechtsanwalts Marcos, der in den Nachkriegswirren mit seiner Heldenlegende den Grundstock für seine Karriere legen wollte.
»Eine Einheit dieses Namens hat niemals existiert«, zitiert McCoy aus einem Untersuchungsbericht, den ein Expertenteam der US-Armee nach Lektüre und Prüfung von Marcos' kurzgefaßter »Maharlika«-Geschichte niederschrieb. Sieben weitere Untersuchungen durch andere Armee-Spezialisten folgten, mit demselben Fazit: Marcos Anspruch, die »Maharlika« organisiert und angeführt zu haben, sei »betrügerisch«, »unbelegbar«, »praktisch unmöglich«.
Mit seiner Petition hatte Marcos für sich und seine Edelmänner von den Amerikanern die Anerkennung als Guerillakämpfer erreichen wollen. Ein positiver Bescheid hätte die »Maharlika«-Angehörigen für die Zeit der japanischen Besatzung als Armee-Mitglieder anerkannt, dafür hätten sie rückwirkend Sold erhalten. Rund einer halben Million Filipinos billigten die Amerikaner auf diese Weise den Guerilla-Status zu.
Auch Marcos und 111 seiner Leute gerieten auf die Sold-Listen der Armee, aber eben nicht rückwirkend, sondern nur für ihre Dienste bei der Ersten Kavallerie-Division nach deren Landung 1944 auf den Philippinen. Dort wirkten sie als Wachpersonal und Lagerarbeiter wie die Unterlagen ausweisen. Marcos allerdings erinnert sich anders; in seiner Selbstdarstellung kämpften Angehörige der »Maharlika« als »Spione« und auf »Patrouillen« bis zur Befreiung Manilas.
Die Negativ-Bescheide zu seiner Guerilla-Vergangenheit durch die amerikanischen Befreier bezeichnete Marcos als »schweres Unrecht«, ließ sich aber ansonsten nicht beirren. Im Gegenteil: »Schritt für Schritt«, so Legenden-Zerstörer McCoy, bauschte Marcos seine Vergangenheit im Untergrund zu einem bombastischen Selbstbildnis auf, bis er schließlich das »Image von nahezu übermenschlichem Heldentum« erlangt hatte.
Unter dem Präsidenten Marcos wurde der Name »Maharlika« zum Sinnwort alles Großen: Der staatliche Rundfunk, die 2000 Kilometer lange Autobahn auf der Insel Luzon, eine Halle im Präsidentenpalast wurden nach »Maharlika« benannt. Nur die Eingabe der Marcos-Partei, die Philippinen zu Ehren der fiktiven Partisanen »Maharlika« zu benennen, lehnte das Parlament 1978 ab.
Unbehelligt hingegen verlief die Hochstilisierung des Ferdinand Marcos zum »größten Kriegshelden« und »meistdekorierten Soldaten in der Geschichte der Philippinen«. »Seinen Heroismus und seine Tapferkeit« habe »kein anderer seiner Generation übertroffen«, dichtete 1983 der stellvertretende Verteidigungsminister über seinen Chef. In einer frühen Biographie heißt es, daß Marcos zu Heldentaten fähig gewesen sei, weil »ein magischer Talisman in seinem Rücken stecke, der ihn unverwundbar« mache.
Den philippinischen Übermann hob Präsidenten-Gattin Imelda in himmlische Sphären. Ein 400-seitiges Lobgedicht ist illustriert mit einem Bildnis, das ihn als Wiedergeburt der alten Philippinen-Gottheit »Malakas« (Stärke) zeigt.
Die Heroen-Legende gewann Glaubwürdigkeit, weil sie ständig wiederholt wurde. Bei seinem letzten Staatsbesuch in Washington lobte beispielsweise US-Präsident Ronald Reagan die Tapferkeit des Kollegen aus Manila. Papst Johannes Paul II. erhörte die Bitte des Katholiken und weihte ein Kriegsdenkmal in Form eines riesigen Kreuzes auf dem Gipfel des Berges Samat. Als New Yorks Schickimicki-Kaufhaus Bloomingdale''s 1982 philippinische Waren in einer Sonderaktion verkaufte, wurden alle 32 Orden, die Marcos auszeichnen, gleich mit zur Schau gestellt.
Marcos' militärische Vergangenheit, sagt der amerikanische Philippinen-Experte Richard Kessler, sei »einer der zentralen Faktoren seiner politischen Macht«. Keiner weiß das besser als Marcos, der auch im gegenwärtigen Wahlkampf gegen die Witwe des ermordeten Oppositionsführers Aquino mit seinen militärischen Taten wirbt.
»Unsere Gegner sagen, Marcos war kein richtiger Guerrillero«, griff Marcos vorige Woche die Berichte über seine Vergangenheit in einer Wahlkampfrede auf, »ihr, die ihr hier seid und unter mir gekämpft habt und Teil meiner Guerilla-Organisation wart, antwortet ihnen!« Seine Gegner aber hätten »mit dem Feind gemeinsame Sache gemacht«.
Die von McCoy und den »Times«-Reportern gesichteten Armee-Unterlagen ergeben ein anderes Bild. Darin enthalten sind Berichte der amerikanischen Veteranenbehörde, wonach die philippinische Dorfbevölkerung »in steter Furcht vor zwei Gruppen lebte – den Japanern und der Guerrilla«.
Die philippinischen Untergrundkämpfer hatten nämlich eine lohnende Einnahmequelle entdeckt. Sie plünderten Goldminen, die vor der japanischen Invasion von Amerikanern bewirtschaftet worden waren und verkauften die zurückgelassenen Maschinen als Altmetall. Von den Schrotthändlern trieben die Guerrilleros im Mafia-Stil ihren »Armeeanteil in Höhe von 20 Prozent« ein.
Als Verbindungsmann zu den Bergpartisanen kassierte Marcos in Manila ab. Der findige Anwalt reiste zudem über Land und trieb bei den Bauern Geld für den Bau einer Flugpiste ein.
Der für die Guerilla-Aktivitäten zuständige US-Captain Ray Hunt ordnete in den letzten Kriegsmonaten einen sofortigen Stopp an und erließ Haftbefehle gegen alle »illegalen Guerillaführer, besonders Ferdinand Marcos«.
Hunt heute: »Niemals war Marcos der Anführer einer großen Guerilla-Einheit. Dies ist einfach nicht wahr. Dies alles ist eine komplette Fälschung.«