Zur Ausgabe
Artikel 22 / 52

AMATEURE / BEIHILFEN Marken für Medaillen

aus DER SPIEGEL 25/1967

Rechtzeitig vor den Olympischen Spielen 1972 in München rufen die bundesdeutschen Sportstrategen eine Millionen-Mannschaft von Mäzenen zur Kasse: die Briefmarkensammler.

Um ungefähr 800 Olympia-Talente wirksam zu unterstützen, verkauft die Bundespost vom Juni 1968 an Sport-Sondermarken. Den Millionen-Sprudel wird die am letzten Freitag im Mai gegründete »Stiftung Deutsche Sporthilfe« (Vorsitzender: Olympia-Sieger Josef Neckermann) auf die fruchtbarsten Trainingsfelder leiten. Die Sporthelfer rechnen mit einem verfügbaren Überschuß von 30 Millionen Mark.

Aus dem Olympia-Opfer der Philatelisten will die Stiftung aussichtsreichen Leistungssportlern die notwendige Kraftnahrung und kostspielige Trainingsgeräte bezahlen, ihnen Stipendien oder Unterhaltsbeihilfen zuschießen und ihren Verdienstausfall ersetzen.

»Wir wollen nicht den Staat, sondern den kleinen Mann um Olympia-Hilfe bitten«, begründete der deutsche Sportpräsident Willi Daume die kurzgeschlossene Verbindung zwischen Marken und Medaillen, die allerdings nicht den Amateurregeln aus dem letzten Jahrhundert« entspricht.

An die Bedingungen vor dem Zweiten Weltkrieg erinnert sich der Sportmediziner Dr. Adolf Metzner: »Wir haben uns noch auf das Training gefreut.« Er war 1934 Europameister im 400-Meter-Lauf geworden, obwohl er wie die meisten damaligen Spitzen-Athleten wöchentlich nur zweimal je eine bis anderthalb Stunden trainiert hatte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg trachteten immer mehr Staaten, ihr Prestige durch Goldmedaillen und Weltmeistertitel aufzuputzen. Folge: die Eskalation von Trainingsaufwand und Leistungen. In einer Woche legen die zur Zeit besten Mittel- und Langstreckler oft mehr als 100 Trainings-Kilometer zurück. Die meisten Weltklasse-Athleten üben Muskeln und Organe täglich zweimal.

»Lieber sechs Stunden arbeiten als eine Stunde hart trainieren«, klagte Harald Norpoth, der 5000-Meter-Olympiazweite. Er würde Nurmi überrunden.

Aber viele deutsche Spitzensportler mußten ihre Meisterleistungen gleichsam bar bezahlen: Studenten wie die Ruder-Olympiasieger Kraft und Frank Schepke mit zusätzlichen Studien-Semestern, Polizei-Beamte wie der 400-Meter-Olympiafünfte Manfred Kinder durch Verzicht auf frühzeitige Karriere, Lohnempfänger wie der Box-Olympiazweite Emil Schulz durch Verdienstausfall. Lehrgänge und internationale Wettkämpfe dauern zusammen oft zwei Monate im Jahr, weit länger als ein bezahlter Urlaub.

Außerdem setzen Höchstleistungen aufwendige Spezialverpflegung voraus. So kostet die Diät für den Nachwuchs-Gewichtheber Rudolf Mang bis 1972 etwa 43 000 Mark. Doch von allen Olympia-Teilnehmern vermögen in der Regel nur Fußballspieler, Boxer, Radfahrer oder Eiskunstläufer die investierten Mittel später als Berufssportler zu amortisieren.

Um dennoch genügend leistungsfähige Meistersportler zu unterhalten und auszubilden, erfanden die kommunistischen Länder den Staatsamateur. Andere Völker wie die Italiener führten den Industrie-Amateur ein. Frankreich steckte Medaillen-Anwärter in Uniform und sammelte sie im Sportbataillon Joinville. Allen ist gemeinsam, daß sie genügend Zeit für Training und Wettkampfreisen haben.

»Wir wollen keinen Sport auf öffentliche Kosten«, entschied dagegen der westdeutsche Sportchef Daume. 1962 gründete er eine private Hilfsgemeinschaft für Spitzensportler, für die er vor allem in der Industrie Geldgeber warb. Mini-Mäzene reihten sich schon für 25 Mark unter die »Freunde der Leichtathletik« ein. Die deutschen Zehnkämpfer versorgte ein betuchter Sportanhänger mit den nötigen Steaks.

Doch die vielen Kleckerbeträge reichten nicht an die 31 Millionen Mark heran, die im Olympiajahr 1964 etwa die DDR zur Leistungsförderung ausgab. Erst nachdem München die Olympischen Spiele für 1972 übertragen worden waren, schlug Daumes Olympia-Komitee vor, die Spitzensportler aus den Erträgen von Sondermarken zu unterstützen. Das Postministerium stimmte zu, im Jahresabstand vier Serien zu je vier Marken zu drucken, und beauftragte mehr als 20 Graphiker. Am 17. Juni entscheidet eine Jury über ihre Entwürfe.

Auf dem ersten Marken-Block erscheinen vier Köpfe: der Sport-Historiker und Sportabzeichen-Erfinder Carl Diem, der frühere Lauf-Weltrekordler Rudolf Harbig und Dressur-Olympiasieger Freiherr von Langen (das Vorbild für den Titelhelden des Films reitet für Deutschland"). Als viertes Marken-Muster wählte Daume die Fecht-Olympiasiegerin Helene Mayer aus, die als Nicht-Arierin 1937 auswandern mußte. Für die späteren Serien sind Sportsymbole, klassische Griechen-Stadien und Kinderzeichnungen mit olympischen Motiven vorgesehen.

Athleten, die sich durch international beachtliche Leistungen für einen Schlag aus der Post-Küche qualifiziert haben, erhalten ihren Zuschuß jedoch aus zweiter Hand. Um die Amateurgesetze einzuhalten und den Sportlern gleichsam einen Sozialhelfer beizugeben, zahlen die Stifter an Trainer, Funktionäre oder Vorgesetzte des unterstützungswürdigen Athleten.

Doch mit der Philatelisten-Quelle begnügt sich die Stiftung Deutsche Sporthilfe nicht. Sie zapft außerdem potente Mäzene an. Mit der ersten telegraphischen Spende -- 50 000 Mark vom Gerling-Konzern -- weckte ein Postbote Stiftungsgründer Daume nachts aus dem Tiefschlaf.

Zur Ausgabe
Artikel 22 / 52
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren