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Artikel 43 / 96

Markt der schönen Lügen

Wie Hollywood den Zweiten Weltkrieg erlebte (I) / Von Otto Friedrich _(1988 by Kiepenheuer & Witsch. ) *
aus DER SPIEGEL 13/1988

Hollywood war im Herbst 1939 wie immer hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt, mit Filmemachen und mit Geldmachen. Es war das Jahr, in dem es eine Million Menschen nach Atlanta zog, zur Premiere des Südstaatenepos »Vom Winde verweht«. Überall wehten die Fahnen der im Bürgerkrieg besiegten Südstaatenarmee.

Es war etwas ungeheuer Realitätsfremdes an all dieser Festlichkeit, an dieser Feier der Niederlage in einem längst beendeten Krieg, als ob niemand begreifen konnte, daß ein viel größerer Kampf schon begonnen hatte.

Am 3. September jenes Jahres, einem Sonntagmorgen, schlief David Niven an Bord einer Jacht, die Douglas Fairbanks junior für einen Törn vor Los Angeles gechartert hatte. Mit von der Partie waren Laurence Olivier und Vivien Leigh und eine Reihe weiterer Engländer. Beim Aufwachen hörten sie aus dem Radio, daß Großbritannien ein Ultimatum gestellt und Deutschland es zurückgewiesen hatte - daß beide Länder sich im Krieg befanden.

Fairbanks hob ein Glas, um auf den Sieg zu trinken. Olivier prostete mit und trank sich einen gewaltigen Rausch an. »Voll wie eine Haubitze«, wie Fairbanks es später ausdrückte, ruderte er zu einer anderen Jacht hinüber, kletterte an Bord und brüllte: »Das ist das Ende! Ihr seid erledigt, ihr alle! Erledigt! Ihr seid Überbleibsel! Genießt eure letzten Augenblicke! Es ist aus mit euch!«

Niven zog in den Krieg. Fairbanks gab für ihn eine Abschiedsparty mit vielen Stars der britischen Kolonie Hollywoods, die aber lieber in Hollywood blieben. Das war nichts Ehrenrühriges. Im Gegenteil, jede Hollywood-Berühmtheit, die bei der britischen Botschaft nachfragte, was sie tun sollte, bekam den Rat, zu bleiben, wo sie war, und ihre Arbeit fortzusetzen.

Eben das wünschte auch Hollywood. Der Produzent David O. Selznick faßte die Ansicht der Studios glänzend zusammen, als er die Frage stellte, was denn wäre, wenn Laurence Olivier und George Sanders bei seiner neuen Produktion »Rebecca« nicht dabeisein würden. »Wir wären in einem schönen Schlamassel, wenn sie mittendrin ausstiegen«, sagte er. »Nicht ganz so ein Schlamassel wie in Polen, das gebe ich zu, aber ein Schlamassel.«

So blieb Hollywood friedlich. Als die berühmte Mrs. Rathbone beschloß, ein

Galadiner zu Ehren Arthur Rubinsteins, Leopold Stokowskis und des tapferen polnischen Volkes zu geben, ließ sie die Wände ihres 20 Meter langen Speisesaales mit einem meterhohen Zellophanfries dekorieren, der die Noten zu Chopins »Polonaise Militaire« zeigte. Das Ganze wirkte, so ein zeitgenössischer Chronist, »ein bißchen wie ein Feuerwerk, exotisch, geistreich und außergewöhnlich«.

Vorboten der europäischen Katastrophe waren schon Jahre zuvor in Hollywood angekommen. Einer der ersten Einwanderer neuer Art, ein Flüchtling vor politischem Unheil, war Arnold Schönberg. Der Vater der Zwölftonmusik war beinahe 60 Jahre alt geworden, ohne je im Traum daran zu denken, in die Gegend von Los Angeles zu gehen.

Während seiner Ferien in Frankreich, im Sommer 1933, wurde er gewarnt, daß es gefährlich für ihn wäre, überhaupt nach Berlin zurückzukehren. Schönberg war entsetzt, empört. Obwohl er, von Geburt Jude, als junger Mann zur lutherischen Kirche übergetreten war, ging er in Paris in die Hauptsynagoge und verlangte noch einmal zu konvertieren, diesmal zurück zum Judentum. Dann trat er mit Frau und Tochter die Reise ins Exil an.

Klein, zerbrechlich, kahlköpfig und grummelig - »seine vorstehenden Augen waren explosiv, in ihnen lag die ganze Kraft des Mannes«, schrieb Strawinski einmal -, fand Schönberg schließlich in Los Angeles Zuflucht, als Professor an der Staatsuniversität von Kalifornien.

Irving Thalberg, der junge MGM-Produktionschef, hielt sich sowohl für einen Marktkenner als auch für einen Mann mit gutem Geschmack, und er lauschte, wie es viele Leute in diesen Tagen taten, dem wöchentlichen Rundfunkkonzert der New Yorker Philharmoniker. Das Orchester spielte »Verklärte Nacht«, das geradezu morbidsüße Notturno, das Schönberg vor fast vier Jahrzehnten geschrieben hatte. Thalberg war beeindruckt. Das war genau die Art von Musik, die er für seine neueste Produktion brauchte, für die Verfilmung von Pearl S. Bucks Bestseller über China, »Die gute Erde«.

Da Schönberg keinen Agenten oder Manager hatte, wandte sich Thalberg an eine gemeinsame Bekannte, die Drehbuch-Autorin Salka Viertel. »Wieviel würden die zahlen?« fragte Schönberg, als sie ihm von Thalbergs Wunsch berichtete. »Ungefähr 25 000 Dollar, denke ich«, antwortete sie. Schönberg, der weniger als ein Fünftel dieser Summe für die Lehrtätigkeit eines ganzen Jahres verdiente, erklärte sich zu einem Gespräch bereit. Salka Viertel sollte für das Protokoll sorgen.

In Thalbergs imposantes Büro geleitet, nahm Schönberg vor dem Schreibtisch des Produzenten Platz. Mit beiden

Händen hielt er den Griff eines Schirms umklammert und weigerte sich, ihn loszulassen. Thalberg begann zu erklären, was er sich vorstellte.

»Letzten Sonntag, als ich die entzückende Musik hörte, die Sie geschrieben haben . . . »

»Ich schreibe keine ''entzückende'' Musik«, fiel ihm Schönberg ins Wort.

Thalberg blickte ihn einen Moment verblüfft an, dann lächelte er höflich und begann von vorn. »Die gute Erde« sei die Darstellung Chinas, sagte er, deshalb wolle er Musik mit entfernt orientalischem Klang. Chinesische Themen. Da Paul Muni und die übrigen Darsteller Bauern spielten, gebe es nicht viele Dialoge, aber sehr viel Action; zum Beispiel eine Szene, in der Heuschreckenschwärme in die Felder einfielen und alles kahlfräßen. Dafür brauche er eine bestimmte Art von Musik.

Salka Viertel bemühte sich, das alles ins Deutsche zu übersetzen, aber Schönberg unterbrach sie. Er verstehe vollkommen, sagte er. Und nun müsse er wohl einmal das Problem der Filmmusik erklären. Sie sei im allgemeinen ganz furchtbar, stumpfsinnig, inhaltslos. Im übrigen schienen die Produzenten gar nicht zu wissen, daß auch der Dialog an einer gewissen Monotonie kranke. Er werde, sagte er, nur dann an der »Guten Erde« mitarbeiten, wenn man ihm die volle Verantwortung für den gesamten Ton übertrage, den Dialog und die Musik.

»Wie meinen Sie das, die volle Verantwortung?« fragte Thalberg voll Verwunderung.

»Ich meine, daß ich mit den Schauspielern arbeiten müßte«, sagte Schönberg. »Sie müßten in genau der Tonlage und Tonart sprechen, die ich hineinkomponiere.«

Thalberg konnte nicht umhin, von Schönbergs Selbstsicherheit beeindruckt zu sein. Er gab dem Komponisten ein Exemplar des Drehbuchs mit und bat ihn, es zu lesen und darüber nachzudenken.

Natürlich setzte Thalberg voraus, daß niemand einen MGM-Auftrag ablehnen konnte. »Der wird die Musik zu meinen Bedingungen schreiben, ihr werdet sehen«, sagte er. Im Gegenteil, Schönberg änderte die Bedingungen. Am nächsten Tag ließ er seine Frau bei Salka Viertel anrufen und ausrichten, daß er nicht nur auf der vollen Verantwortung für Dialog und Musik bestehe, sondern daß auch der Preis verdoppelt werden müsse, auf 50 000 Dollar.

»Als ich Thalberg das überbrachte«, erinnert sich Salka Viertel, »zuckte er die Schultern und sagte, mittlerweile habe der chinesische Technikberater ein paar Volkslieder mitgebracht, die den Leiter des Tonstudios schon zu sehr hübscher Musik inspiriert hätten.«

Schönberg fand wohl, daß er Thalberg gerade noch entkommen sei. »Beinahe habe ich mich bereit erklärt, Musik für einen Film zu schreiben«, schrieb er an Alma Mahler-Werfel, »habe aber zum Glück 50 000 Dollar gefordert, was viel zu viel war, ebenfalls zum Glück, denn es wäre mein Ende gewesen . . . »

Hollywoods großes Musikereignis von 1940 war Walt Disneys großartiger Ausflug in die Kultur, »Fantasia«. Disney wollte die Popularität der Micky-Maus, die zu einer Gestalt von Weltruf geworden war, wieder aufleben lassen, indem er sie zum Star der Ballade vom »Zauberlehrling« machte, die der 1935 verstorbene Paul Dukas vertont hatte.

Stokowski kam ins Disney-Studio und war begeistert. Er spielte mit den Mischpulten und erklärte, damit sei das »elementare Dirigieren« möglich geworden. Er nahm die Dukas-Musik auf und begann dann Vorschläge zu machen, wie man dem Film mit anderen, von ihm dirigierten und von Disney illustrierten Stücken neue Dimensionen geben könnte. Mit seiner eigenen, etwas welken Orchesterfassung der Bachschen Orgeltoccata in d-Moll zum Beispiel. Jetzt war wiederum Disney hingerissen.

Disney hatte von Anfang an den Wunsch, auch eine Art Schöpfungsgeschichte darzustellen, Vulkane und Flutwellen und stampfende Dinosaurier. Er ließ nach der passenden Musik suchen, aber seine Fachberater konnten ihm nur Haydns »Schöpfung« bieten, und die schien irgendwie nicht episch genug. Stokowski schlug eine kühne Lösung vor.

»Warum machen wir nicht den Sacre?« sagte er.

»Sacker?« fragte Disney. »Was ist denn das?«

»''Le Sacre du Printemps'' - das ''Frühlingsopfer'' von Strawinski«, sagte Stokowski.

Er erzählte Disney von dem berühmten Ballett. Wenn Strawinskis Werk auch nicht gerade von Dinosauriern handelte, nun, wer fragte schon danach.

Das Disney-Studio sandte ein Schreiben nach Frankreich und bot dem Komponisten 5000 Dollar für das Recht, »Le Sacre« in dem geplanten Film zu verwenden. Das Angebot war, erzählte Strawinski später etwas verbittert, »begleitet von der sanften Mahnung, daß die Musik, auch wenn die Genehmigung nicht gegeben würde, auf alle Fälle benutzt werde«, da die vorrevolutionären russischen Urheberrechte es nicht mehr schützten.

Die angebotenen 5000 Dollar waren gewiß bescheiden bei Produktionskosten von 2 280 000 Dollar für »Fantasia«, aber Strawinski hatte andere Dinge im Kopf - seinen Kampf mit der Tuberkulose, den Tod von Frau und Tochter, den drohenden Krieg -, also nahm er das Geld und unterschrieb den Vertrag.

Strawinski hatte in den dreißiger Jahren gelegentlich schon Abstecher ins ferne Amerika gemacht und war 1937 auch bis Los Angeles gekommen. Nun, im Dezember 1939, kam er wieder nach Hollywood, um zu sehen, was Disney mit »Le Sacre« gemacht hatte. Das Studio gab für ihn eine Privatvorstellung von »Fantasia«. »Ich erinnere mich, daß mir jemand eine Partitur in die Hand drückte«, erzählte Strawinski später, »und als ich sagte, ich hätte meine eigene mit, sagte der Jemand: ''Aber es ist doch alles anders.''«

»Und das war es in der Tat. Die Instrumentierung war durch Kunststückchen aufgebessert worden, zum Beispiel ließ man im ''Danse de la Terre'' die Hörner ihre Glissandi eine Oktave höher spielen. Auch die Reihenfolge der Stücke hatte man umgestellt und die schwierigsten ganz gestrichen.«

Anders als Schönberg war Strawinski an das Exil beinahe gewöhnt - niemand wird sich je vollkommen daran gewöhnen -, und diese Hollywoodjahre, die Sechziger seines Lebens, erwiesen sich als äußerst fruchtbar. Hier vollendete er die wundervolle Symphonie in C, die er in Paris begonnen hatte, während seine erste Frau im Sterben lag.

Allerdings war Strawinski stets in Versuchung - auch da anders als Schönberg -, einiges von dem Geld aufzuheben, das überall herumzuliegen schien. »Ich wüßte gern, ob du nicht ein kleines Ballett machen möchtest«, fragte George Balanchine fernmündlich bei ihm an. »Eine Polka vielleicht.«

»Für wen?« fragte Strawinski.

»Für Elefanten.«

Pause.

»Wie alt?« fragte Strawinski.

»Ganz jung«, sagte Balanchine.

Wieder Pause.

»In Ordnung«, sagte Strawinski. »Wenn es ganz junge Elefanten sind, mache ich es.«

So wurde die »Zirkus-Polka« geboren, die 1942 von einer Truppe von fünf Elefanten des Ringling Brothers Circus tatsächlich aufgeführt wurde. Dann kam das »Ebony Concerto«, das der Jazzklarinettist Woody Herman bestellt hatte. Und »The Star Spangled Banner«, das Strawinski 1941 für Chor und Orchester einrichtete und später in Boston dirigierte, wo er, wie er erzählt, »mit dem Rücken zum Orchester stand und das Publikum dirigierte, das eigentlich mitsingen sollte, es aber nicht tat«. Aber es war der Film, der die große Versuchung darstellte, der Film, der ständig mit Reichtümern lockte, wenn man sich nur über die Bedingungen verständigen konnte.

Ein Bericht über ein Gespräch mit Sam Goldwyn hält fest, der Produzent habe zur Kenntnis genommen, daß der Preis des Komponisten 25 000 Dollar betrage, und führt dann aus, daß die Unterhaltung »ungefähr so verlief":

Goldwyn: Also, Sie brauchen einen Arrangeur.

Strawinski: Was ist das, ein Arrangeur?

Goldwyn: Ein Arrangeur eben! Das ist der Mann, der Ihre Musik arrangieren muß, der sie den Instrumenten anpassen muß.

Strawinski: Aha. Goldwyn: Na sicher. Das kostet Sie 6000 Dollar. Und das geht von Ihren 20 000 ab.

Strawinski: Ich dachte, es wären 25 000?

Goldwyn: Na ja, was immer es sei.

Daraufhin stand Strawinski auf, stopfte seine schwarze Zigarettenspitze in die Tasche, rammte sich den Hut auf den Kopf und marschierte hinaus. So wurde man nicht handelseinig. Strawinski hat denn auch für keinen einzigen Hollywoodfilm wirklich die Musik geschrieben.

Am 23. Oktober 1940 meldeten sich zwei von Disneys Assistenten bei Strawinski, um mit ihm über eine Zeichentrick-Version seines musikalischen Volksmärchens »Renard« zu sprechen, und eine Woche später verkaufte er ihnen die Option nicht nur für »Renard«, sondern obendrein noch für den »Feuervogel«.

»Sie wollen meinen Namen, nicht meine Musik«, klagte er. »Man hat mir sogar 100 000 Dollar dafür geboten, daß ich einen Film mit Musik polstere, und als ich das ablehnte, hieß es, ich könnte denselben Betrag bekommen, wenn ich bereit wäre, einen anderen die Musik in meinem Namen komponieren zu lassen.«

Es war ganz natürlich, daß die Filmproduzenten große Komponisten wie Lohnsklaven behandelten, denn sie behandelten jedermann so. Die meisten Komponisten, mit denen sie zu tun hatten, standen bereits auf der Gehaltsliste,

und dementsprechend verhielten sich alle.

Dimitri Tiomkin zum Beispiel war bei Petersburg geboren, wie Strawinski; er spielte Klavier und komponierte Ballettmusik, genau wie Strawinski. Aber er kam schon 1929 nach Hollywood und brachte es dort auf mehr als 160 Filmpartituren.

Der Produzent David Selznick bestellte Tiomkin eines Tages zu sich ins Studio und bat ihn, als siebter Komponist den Versuch zu machen, für »Duell in der Sonne« die Musik zu schreiben. Er wünsche elf Hauptthemen: ein spanisches Thema, ein Rancherthema, ein Liebesthema, ein Orgasmusthema . . .

»Orgasmus?« fragte Tiomkin. »Wie instrumentiert man denn einen Orgasmus?«

»Versuchen Sie es«, meinte Selznick. »Ich will ein richtig gutes Heiwumm.«

Tiomkin rackerte sich wochenlang an seinen elf Themen ab, dann holte er ein Orchester zusammen und spielte sie Selznick vor. Selznick war zufrieden. Tiomkin arbeitete wieder Wochen an der kompletten Partitur. Sie sah 41 Trommeln und einen Chor von 100 Stimmen vor. Selznick bat Tiomkin, ihm das Liebesthema vorzupfeifen. Tiomkin pfiff.

»Schön, schön«, fand Selznick. »Jetzt das Orgasmusthema.« Tiomkin pfiff. Selznick schüttelte bekümmert den Kopf. »Das ist es nicht«, jammerte er. »Das ist einfach kein Orgasmus.«

Tiomkin ging noch einmal an die Arbeit. Er vereinte das Seufzen der Celli mit der blechernen Erregung der Posaunen, alles, wie er später beschrieb, in einem Rhythmus, als wenn man mit einer Handsäge Holz zersägt.

Noch einmal wurde er in Selznicks Studio zitiert, noch einmal wurde das Orchester zusammengeholt, und diesmal ordnete Selznick an, daß Tiomkins Musik zu einer stürmischen Liebeszene zwischen Gregory Peck und Jennifer Jones (die Selznick drei Jahre später heiratete) auf der Leinwand gespielt wurde. Alles schien glänzend zu laufen, bis das Orgasmusthema kam; Selznick ließ es wiederholen, dann noch einmal wiederholen.

»Sie werden mir böse sein, aber so geht''s nicht«, sagte er endlich zu Tiomkin. »Es ist zu schön.«

»Was haben Sie denn, Mr. Selznick?« protestierte Tiomkin. »Was gefällt Ihnen daran nicht?«

»Es gefällt mir ja, aber es ist keine Orgasmusmusik«, erwiderte Selznick. »Es ist nicht Heiwumm. So ficke ich nicht.«

»Mr. Selznick, Sie ficken auf Ihre Art, ich ficke auf meine Art«, schrie Tiomkin. »Für mich ist das Fickmusik!«

Diesmal gab Selznick nach, und es ging nach Tiomkins Nase. In der Regel aber mußte stur befolgt werden, was die Produzenten anordneten. Hanns Eisler, der die Musik zu vielen Brecht-Stücken geschrieben hatte, staunte bei seinem ersten Besuch in Hollywood im Jahre 1935, wie das System funktionierte.

»Jede Fabrik hat fünf bis sechs bestimmte Musikspezialisten, die pünktlich ihre Bürostunden einhalten müssen«, schrieb Eisler. »Nummer eins ist Spezialist für Militärmärsche, Nummer zwei für sentimentale Liebeslieder, Nummer drei ist ein mehr gründlicher, geschulter Komponist für die Symphonie, für Vor- und Zwischenspiele, Nummer vier ist Spezialist für die Wiener Operette, Nummer fünf für Jazzmusik. Wird jetzt Musik für einen Film gebraucht, dann bekommt jeder Komponist eine bestimmte Stelle, die seiner Spezialität entspricht, zur Bearbeitung zugewiesen. Die Komponisten wissen gar nicht, was in dem Film sonst vorgeht.«

Als die MGM-Fabrikation Mitte der vierziger Jahre ihren Höhepunkt erreichte, waren jeden Tag rund 15 Filme gleichzeitig in Arbeit. Die Musikabteilung der MGM, Hollywoods größte, konnte 20 Vollzeitkomponisten auf ihrer Gehaltsliste vorweisen, dazu noch 25 Arrangeure/Orchestrierer und 40 Kopisten.

Wenn diese Musiker nach Hause gingen, sehnten sie sich danach, andere Musik zu spielen. Leonard Slatkin, Leiter des Symphonieorchesters von St. Louis, berichtete von seinen Eltern - der Vater war Geiger im Dienste der Twentieth Century-Fox, die Mutter Cellistin bei der Warner Bros. -, die das »Hollywood String Quartet« gegründet hatten. »Sie kamen um fünf nach Hause und musizierten die ganze Nacht hindurch«, erzählte Slatkin. »Sie kannten jeden, und man konnte nie wissen, wer vorbeischauen würde, alle kamen, von Schönberg bis Sinatra.«

Der Schriftsteller und Drehbuchautor Ben Hecht spielte Geige mit dem Wohlbehagen des Amateurs, und so beschloß er, die sogenannte Ben-Hecht-Symphonietta zu gründen, die sich jeden Donnerstagabend in Hechts Villa zum Konzertieren treffen sollte. Er warb ein eigenartiges Bündel von Talenten an. Charles MacArthur spielte Klarinette, Harpo Marx die Harfe, aber nur in A-Dur. George Antheil, ein Komponist, sollte vom Klavier aus so etwas wie Ordnung halten.

Groucho Marx wollte gern mitmachen, aber die anderen entschieden, daß das nicht ginge, weil er nur Mandoline spielen konnte, und die hielten sie für unter der Würde der Ben-Hecht-Symphonietta. Das Ganze war ein Witz, aber

irgendwo nehmen alle Kammermusiker ihre Obsession ernst.

Bei ihrer ersten Probe in einem der oberen Räume des Hechtschen Hauses hatten die Musiker gerade zu spielen begonnen, als lautes Klopfen an der Tür ertönte. Plötzlich flog die Tür auf, und auf der Schwelle erschien Groucho Marx. »Ruhe bitte!« rief er, dann verschwand er wieder und knallte die Tür hinter sich zu.

Die versammelten Musiker blickten einander ziemlich ratlos an. »Groucho ist eifersüchtig«, erklärte Harpo Marx. Sie fingen wieder an zu spielen. Und wieder klopfte es an der Tür. Wieder erschien Groucho Marx. »Ruhe, ihr lausigen Amateure!« schrie er.

Als die Musiker ihn immer noch ignorierten, drehte Groucho sich um und stampfte die Treppe hinunter. Erneut wandten sich die Musiker ihren Instrumenten zu. Da kam von unten ein donnernder Orchestertusch. Es war die Ouvertüre zu Tannhäuser.

»Wie vom Donner gerührt«, erzählte Antheil, »krabbelten wir alle die Treppe hinunter, um zu sehen, was los war. Und da stand Groucho und dirigierte mit großen, fledermausartigen Bewegungen das Symphonieorchester von Los Angeles. Mindestens hundert Mann hatten sich in das Wohnzimmer gequetscht. Groucho hatte sie angeheuert, weil es ihn, wie er später erklärte, verletzt habe, daß wir ihn nicht in unsere Symphonietta aufnehmen wollten. Wir nahmen ihn auf.«

Die Machtergreifung Hitlers verhalf Amerika zu einigen seiner besten Filmemacher, desgleichen zu hervorragenden Komponisten, Pädagogen, Atomphysikern. Amerika begrüßte sie meistens mit Gleichgültigkeit und Abneigung unterschiedlicher Ausprägung.

Samuel Wilder, geboren in einer galizischen Kleinstadt bei Krakau, mit Spitznamen Billy genannt, weil seine Mutter für Buffalo Bill schwärmte, kam Anfang 1934 nach Hollywood. Columbia hatte Wilder eine Passage nach Hollywood ohne Rückfahrt und einen Sechsmonatsvertrag für 150 Dollar pro Woche geboten. Und erst dann entdeckten die Filmleute, daß die Neuerwerbung kaum Englisch konnte.

Zu Weihnachten 1935 lebte Wilder in einem Vorraum der Damentoilette im Keller des legendären Hollywood-Hotels Chateau Marmont. »Dieses Weihnachten 1935«, sagte er später, »als ich nicht schlafen konnte, als Frauen hereinkamen und pinkelten und mich komisch anguckten, als ich . . . wußte, daß für Europa Krieg heraufzog, da war ich plötzlich im Zweifel, ob ich hierher paßte nach Hollywood. Ich hatte das Gefühl, ich sei nicht im richtigen Land, und ich wußte nicht, ob es für mich ein richtiges Land gäbe. Das hier war der Tiefpunkt meines Lebens.«

Im Gegensatz zu ihm war Fritz Lang als Regisseur bereits berühmt, lange bevor er Deutschland verließ. David Selznick, damals noch bei der MGM, holte Lang mit einem persönlichen Vertrag nach Hollywood, hatte aber für den Schöpfer von »M« und »Dr. Mabuse« keine Beschäftigung. Lang lernte Englisch und weigerte sich, noch ein Wort Deutsch zu sprechen oder zu schreiben.

Als David Selznick schließlich der MGM den Rücken kehrte, um eine eigene Produktionsfirma zu gründen, ließ er den arbeitslosen Fritz Lang zurück. Die MGM gab dem berühmten Emigranten pünktlich Bescheid, daß sein Vertrag nicht erneuert werde.

»Das können Sie mir doch nicht antun, ich bin der erste Regisseur Europas«, protestierte Lang bei Eddie Mannix, dem Generaldirektor der MGM. Mannix hatte offenbar Mitleid. So kam es, daß Lang schließlich »Fury«, einen Film über Lynchjustiz, drehen durfte.

Joseph Ruttenberg, der Kameramann, der den Film wirklich drehte, beschrieb Lang als einen »gemeinen, schäbigen Deutschen, arrogant und herrschsüchtig«. Vielleicht war Lang das alles wirklich, vielleicht versuchte er aber auch, tief verschreckt, die Rolle zu spielen, die man seiner Meinung nach von ihm erwartete; vielleicht war er auch einfach _(Auf der Leinwand: »Duell in der Sonne« ) _(mit Jennifer Jones und Gregory Peck. )

völlig von seiner Arbeit in Anspruch genommen.

Lang drehte seinen Film ab, weigerte sich, irgend etwas daran ändern zu lassen, und wurde gefeuert. Joseph Mankiewicz redigierte, was Lang geschaffen hatte, und jeder im Studio war verblüfft, als »Fury« zu einem großen Erfolg wurde.

Der Erfolg von »Fury« zeigte, daß ein deutscher Regisseur durchaus Action-Filme im Stil Hollywoods machen konnte. Das brachte neue Aufträge. 1940 ließ Darryl F. Zanuck Lang an »Rache für Jesse James« arbeiten, kurz darauf produzierte Lang seinen nächsten Western »Überfall der Ogalalla«. »Der Western«, sagte Lang, der 1924 das Epos »Die Nibelungen« gedreht hatte, »ist nicht nur die Geschichte dieses Landes. Er ist das, was für die Europäer die Nibelungensage ist.«

Es fällt auf, daß keiner dieser begabten Emigranten so recht versuchte, Filme gegen den Nazismus zu machen. Ein Grund war wohl einfach Angst.

Jeder Flüchtling hatte die Angst im Koffer - weit mehr, als ihm später im Gedächtnis bleiben würde. Angst vor Arbeitslosigkeit und Verbannung, vor Hunger, vor Schande, Angst auch vor der Vergeltung des bösen Regimes, dem er entflohen war.

»Sei sehr vorsichtig«, schrieb Schönberg seinem Schwiegersohn Felix Greissle zu dessen Ankunft in New York. »Hier legen sie viel mehr Wert auf Höflichkeit als wir. Vor allen Dingen macht man niemals eine Szene; man widerspricht nicht . . . Etwas sehr Wichtiges: Sage nichts, was du nicht sagen mußt, über deine Erlebnisse der letzten Wochen. Besonders nicht zu Presseleuten oder Leuten, die es an sie weitergeben könnten. Du weißt ja, die Nazis nehmen Rache an Angehörigen und Freunden, die sich noch in ihrer Gewalt befinden. Also sei sehr zurückhaltend und mische dich nicht in die Politik ein.«

Noch wichtiger war allerdings, daß Hollywood selbst nicht erpicht war, sich mit dem Nazismus anzulegen. Eine Auswahl wackerer Liberaler und Linker hatte sich 1936 zusammengetan, um die »Anti-Nazi-League« zu gründen; sie bemühten sich, Vorträge zu halten, Spenden zu sammeln und einen Boykott deutscher Waren zu organisieren. Leider dauerte das nur bis zum Hitler-Stalin-Pakt; dann änderte die Gruppe plötzlich ihren Namen in »Hollywood League for Democratic Action« und unterstützte eine Politik der Neutralität.

Auf der anderen Seite hatte Harry Cohn, der Duce der Columbia Pictures, 1933 einen Dokumentarfilm mit dem Titel »Mussolini Speaks« gemacht, war nach Rom gefahren, um eine Medaille für seine Verdienste in Empfang zu nehmen, und war von Mussolini so beeindruckt gewesen, daß er nicht nur ein signiertes Photo des Diktators an seine Bürowand hängte, sondern auch das Büro selbst im Mussolini-Stil umbauen ließ - sein Schreibtisch wurde auf ein Podest gestellt, so daß er auf seine Besucher hinabsehen konnte.

Dies alles waren individuelle Reaktionen. Hollywood als Ganzes machte nur Filme für den Profit, und es verdiente etwa ein Drittel seines Einkommens im Ausland. Die Studios wollten es mit niemandem verderben, weder mit den Faschisten noch mit den Antifaschisten.

Louis B. Mayer, der Präsident der MGM, machte sich Sorgen darüber, was das Hitler-Regime wohl von seinem neuen Film »Drei Kameraden« halten würde, der sich auf Erich Maria Remarques Roman stützte. Das Skript, von F. Scott Fitzgerald geschrieben (und von Joseph L. Mankiewicz umgeschrieben), verschleierte die Identität der politischen Gruppen bei den Straßenkämpfen, zeigte aber trotzdem klar, daß die Nazis Nazis waren. Mayer lud einen Vertreter des deutschen Konsulats in Los Angeles zu einer Privatvorstellung ein. Der Deutsche kam, sah und mißbilligte.

Mayer war offenbar durchaus bereit, Änderungen zu machen. Mankiewicz jedoch weigerte sich. Joseph I. Breen, Leiter der Hollywooder Selbstzensur (des sogenannten Hays-Büros), bot eine Lösung an: Die Unruhestifter sollten klar als Kommunisten erkennbar sein. Mayer ordnete die Änderung an. Mankiewicz drohte, er werde kündigen und seine Gründe der »New York Times« erklären. Mayer zuckte die Schultern und beschloß, den Film liegen zu lassen.

»Die MGM hat ihre Filme in Nazi-Deutschland gezeigt, bis Hitler sie schließlich hinauswarf«, erinnerte sich Mankiewicz. »Ja, ein Produzent hatte den Auftrag, aus einem Film jeden Namen zu entfernen, der jüdisch klang.« Noch 1941 ließ Mayer den Regisseur William Wyler kommen, um sich zu beschweren, die ersten Szenen für »Mrs. Miniver« zeigten eine antideutsche Tendenz. So porträtiere eine Szene einen abgeschossenen deutschen Piloten als fanatischen Nazi.

»Wir befinden uns nicht im Krieg«, erklärte Mayer. »Dieser Film zeigt nur, wie schwer es diese (englischen) Menschen haben, und er hat sehr viel Mitgefühl für sie, aber er richtet sich nicht gegen die Deutschen.«

»Mr. Mayer, Sie wissen doch, was vor sich geht, oder?« protestierte Wyler.

»Dies ist ein großes Unternehmen«, sagte Mayer. »Ich bin meinen Aktionären gegenüber verantwortlich. Wir haben Filmtheater überall in der Welt, auch ein paar in Berlin. Wir machen keine Haßfilme. Wir hassen niemanden. Wir befinden uns nicht im Krieg.«

Die Warners hatten da einen viel besseren Ruf. »Warner Brothers hatten Mumm«, berichtete Mankiewicz. »Ihr Haß auf die Nazis war größer als ihr _(Bei den Dreharbeiten zu »Überfall der ) _(Ogalalla«. )

Interesse am deutschen Geld.« Die Warners hatten auch einen besonderen Grund, gegen die Nazis zu sein: Der Berliner Vertreter des Studios, Joe Kauffman, wurde von randalierenden Nazihorden zusammengeschlagen und starb an seinen Verletzungen. Die Warners schlossen ihr Berliner Büro.

Sie begannen auch, offenbar auf Drängen des FBI-Direktors J. Edgar Hoover, an einem Film mit dem Titel »Ich war ein Spion der Nazis« (Confession of a Nazi Spy) zu arbeiten, in dem Edward G. Robinson einen FBI-Agenten namens Leon Turrou verkörperte; dieser Agent war in die Unterwelt der Propaganda und Spionage der Deutschen in Amerika eingedrungen. Rückblickend kommt einem das Expose doch recht maßvoll vor, aber die deutsche Botschaft reagierte mit gewohnten Protesten und Drohungen. Und Hollywood war von Drohungen immer beeindruckt.

»Schau mal, Jack, viele von uns bringen immer noch Filme in Deutschland unter und holen dort Geld«, zitierte Jack Warner später einen seiner Kollegen. »Wir führen keinen Krieg gegen Deutschland, und du wirst doch nicht unsere eigenen Leute schädigen.« Dann zitierte Warner sich selbst mit seiner zutiefst entrüsteten Erwiderung: »Was denn schädigen? Ihre Brieftaschen? Hör zu, diese mörderischen Schweine haben unseren Mann in Deutschland erschlagen, weil er nicht Heil-Hitlern wollte! Die Silberhemden und die Bundisten und das ganze Lumpenpack marschieren schon in Los Angeles. Es gibt Schulkinder mit Hakenkreuzen am Ärmel ein paar Straßen weiter. Ist es das, was du im Austausch gegen ein paar miese Filmtantiemen aus Deutschland haben möchtest?«

Der »Nazispion« wurde nicht gerade ein Meilenstein der Filmgeschichte, der Film rief aber einige Aufregung hervor, als er 1939 herauskam, der erste offen nazifeindliche Film, den Hollywood produzierte.

Nicht nur legte die deutsche Regierung Beschwerde beim State Department ein, sondern der German-American Bund erhob auch Schadenersatzklage über 500 000 Dollar. Anonyme Briefe mit Morddrohungen erreichten Jack Warner, Produktionschef Hal Wallis, den Produzenten Robert Lord und Edward G. Robinson.

Das war genau die Art von Agitation, die andere Produzenten nervös machte. Auch Charlie Chaplin fürchtete feindselige Reaktionen auf den »Großen Diktator«. Als sein Film 1940 endlich herauskam, waren die Amerikaner allerdings schon ziemlich gewöhnt an Hohn und Spott für Hitler und seinen albernen Schnurrbart, seinen angeblichen Namen Schicklgruber, seine Karriere als Postkartenmaler. Die New Yorker Premiere des »Großen Dikators« wurde ein Riesenerfolg.

Die Hollywooder Selbstzensur blieb jedoch dabei, daß die Filmindustrie nicht die Verwicklung Amerikas in den Krieg fördern dürfe. Aber die amerikanischen Isolationisten waren natürlich keine arglosen Unschuldslämmer. Sie repräsentierten bis zu einem gewissen Grade all die unangenehmen amerikanischen Eigenschaften wie Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und eine allgemeine

Feindseligkeit gegenüber allem Östlichen und Kosmopolitischen.

Senator Burton Wheeler, ein Demokrat aus Montana und prominentes Mitglied des »America First Committee«, beschuldigte die Filmindustrie der Konspiration mit der Roosevelt-Administration, um mit einer »wüsten Propagandakampagne das amerikanische Volk so weit aufzustacheln, daß es sich in diesen Krieg hineinziehen läßt«. Ein anderer isolationistischer Senator, Gerald Nye aus North Dakota, teilte Wheelers Verdacht, daß Hollywood »Kriegsfieber in Amerika hervorrufen und die Nation in den Untergang treiben« wolle.

Nye hatte auch eine Erklärung dafür anzubieten. »In jedem dieser Unternehmen«, sagte er in einer Rede, »gibt es eine Reihe von Produktionsdirektoren, die aus Rußland, Ungarn, Deutschland und den Balkanstaaten gekommen sind . . . Ihr Interesse gilt den Problemen anderer Länder.« Draußen im Lande drückte Charles Lindbergh sich deutlicher aus, wenn er die Juden als die »Hauptkriegshetzer« bezeichnete. Die »größte Gefahr für dieses Land«, sagte er vor einer 8000köpfigen Menge in Des Moines im September 1941, »liegt in ihrem großen Besitztum und Einfluß im Bereich unseres Films, unserer Presse, unseres Rundfunks und unserer Regierung«.

Nye legte eine Resolution vor, die eine amtliche Untersuchung der »kriegvorbereitenden« Propaganda verlangte. Der Senat billigte sie, und so begann ein Senat-Unterausschuß, 48 angeblich kriegfördernde Filme zu prüfen. Dazu gehörten so unterschiedliche Produkte wie »Ich war ein Spion der Nazis« und »Sergeant York« (mit dem Gary Cooper einen Oscar gewann) bis hin zu zehn »March of Time«-Wochenschauen.

Immer mehr Flüchtlinge kamen. Die Kapitulation Frankreichs im Sommer 1940 scheuchte einen ganzen Schwarm Pariser Filmemacher auf - Rene Clair, Max Ophüls, Julien Duvivier und Jean Renoir. Sie trieb auch all die deutschen Antinazis, die zuvor westlich des Rheins Zuflucht gesucht hatten, in ein neues Exil.

Thomas Manns älterer Bruder Heinrich zum Beispiel hatte sich in Nizza niedergelassen. Franz Werfel lebte in der Nähe von Toulon, als die französische Regierung Paris verließ, und auch er begab sich auf die für Emigranten typische ziellose Flucht. Er und seine Frau Alma, die berühmte Alma Mahler, die eine Art Karriere daraus gemacht hatte, daß sie zuerst Gustav Mahler, dann Walter Gropius und nun Werfel geheiratet hatte.

Lion Feuchtwanger wurde 1939 als feindlicher Ausländer von den Franzosen interniert, dann auf britischen Druck hin freigelassen, im Mai 1940 aber wieder interniert. Ein Zeitungsphoto des elend aussehenden Feuchtwanger, der durch Stacheldraht starrt, veranlaßte seinen amerikanischen Verleger zu einem Protest bei Präsident Roosevelt, und dieser bat das State Department um behutsame Hilfe.

Das hatte zur Folge, daß der US-Vizekonsul in Marseille für den gefangenen Schriftsteller eine regelrechte Entführung organisierte. Das Konsulat legte das ganze Problem dann in die Hände eines tapferen jungen Quäkers namens Varian Fry, der die Aufgabe übernommen hatte, eine ganze Schar namhafter deutscher Emigranten über die spanische Grenze zu bringen (am Ende hatte er fast 2000 von ihnen gerettet).

Es war keine schwerbewachte Grenze, dennoch - der Trupp, den Fry in diesem September in zwei Gruppen in den Nachtzug zur Grenzstadt Cerbere setzte, bestand nicht aus Jugendlichen. Es waren der flüchtige Feuchtwanger, seine Frau Marta, die sich aus dem Internierungslager Gurs befreit hatte, Heinrich Mann, nahezu 70, und seine trunksüchtige Frau Nelly, Neffe Golo Mann und die Werfels.

Von Spanien aus gelangten sie nach Lissabon. Dort lagen die letzten Schiffe, die noch regulären Liniendienst nach New York fuhren.

Heinrich Mann dachte mit wenig Begeisterung an seine Zukunft in Amerika. »Er blieb in seiner Kabine, da er seekrank war«, schrieb Frau Werfel in ihr Tagebuch. »Er war auch böse mit der Welt. Als sein Neffe ihn besuchen ging, lag er im Bett. Er zeichnete Frauen mit großen Brüsten, manchmal auch nur die Brüste.«

Bei der Ankunft Mitte Oktober 1940 wartete Thomas Mann am Dock, um seinen Bruder zu begrüßen. Er half auch, einen Job in Hollywood zu besorgen. Das ging mit Hilfe des »European Film Fund« vor sich, den Ernst Lubitsch, Salka Viertel und der Agent Paul Kohner 1939 geschaffen hatten, um den vor Hitler Emigrierten eine Art Arbeit zu geben.

Und während Thomas Manns Romane über Joseph sich in hohen Auflagen verkauften, was ihn in die Lage versetzte, sich am San Remo Drive in Pacific Palisades ein neues Haus zu bauen, diente nun sein älterer Bruder für 125 Dollar die Woche bei Warner Bros. als Skriptschreiber. Heinrich Mann bekam sehr wenig zu tun, unter anderem, weil er kaum Englisch konnte. Aber man erwartete von ihm, wie von allen Skriptschreibern bei Warner, daß er jeden Morgen um neun im Büro erschien.

Im nächsten Heft

Nach dem Schock von Pearl Harbor: Hollywoods Japaner werden in Konzentrationslager gebracht - Bert Brecht scheitert als Drehbuchautor - In einem Film über die Nazis dürfen keine Juden vorkommen _(Nach seiner Ankunft in New York im ) _(Oktober 1940. )

Auf der Leinwand: »Duell in der Sonne« mit Jennifer Jones undGregory Peck.Bei den Dreharbeiten zu »Überfall der Ogalalla«.Nach seiner Ankunft in New York im Oktober 1940.

Otto Friedrich
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