BUNDESWEHR Massiver Verstoß
Oberstleutnant Günter Noseck, Kommandeur des Sanitätsbataillons 1 in Hildesheim, sah sich veranlaßt, »ein Exempel zu statuieren«. Der »Delinquent« solle schon mal »Zahnbürste und Rasierapparat« zusammenpacken, um ab in den Bau zu marschieren.
Der »Übeltäter«, Oberfeldwebel Martin Müller, hatte gegen die Ausbildung des chilenischen Oberstleutnants Helmut Kraushaar in der Hildesheimer Mackensen-Kaserne protestiert -- öffentlich, mit Unterschrift, gemeinsam mit dem Stabsunteroffizier Malte Douglas und rund 40 Zivilisten. Die »Ausbildung von Eliteoffizieren der faschistischen chilenischen Militärdiktatur«, so der Aufruf, werteten sie als eine »direkte Unterstützung des chilenischen Terrorsystems«, damit müsse »Schluß gemacht« werden.
Das war, ärgert sich ein Müller-Vorgesetzter, »verleumderisch und diffamierend« gegen Kamerad Kraushaar gerichtet. »Durch Bekanntmachung vor der Truppe« wurden deshalb Disziplinarmaßnahmen -- zwar kein Bau, aber ein »Verweis« für Douglas und ein »strenger Verweis« für Müller -- vollstreckt.
Seither sind fast zehn Monate vergangen. und seither mühen sich die beiden Soldaten um ihre Rehabilitierung. Das zuständige Truppendienstgericht in Hannover hat die Beschwerde zwar schon abgewiesen, aber mit der Begründung tut es sich schwer; sie soll erst im September vorgelegt werden. Dann wollen Müller und Douglas überlegen, ob sie Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einlegen.
Vergeblich hat Müller gegenüber seinen Disziplinarvorgesetzten darauf verwiesen. daß andere Soldaten sich schon stärkeres geleistet haben. So hat der Malor -- inzwischen zum Oberstleutnant beförderte -- Wolfram Freiherr von Strachwitz einst ungestraft den Bundeskanzler beschimpft; Brandt habe es erreicht, »daß man im Lager der Kritiker wieder von vaterlandslosen Gesellen sprechen kann«. Denn die SPD habe »einen Kurs ihrer Parteiführung zugelassen, der gegen Deutschland gerichtet erscheint«.
Offenbar macht es einen Unterschied. ob ein Stabsoffizier einen Sozi schmäht oder ob Unteroffiziere (beide Sozialdemokraten) einen Junta-Offizier attackieren.
Oberstleutnant Kraushaar ist unterdessen längst wieder bei seinen Kameraden in Übersee, und Bundesverteidigungsminister Leber dämmert inzwischen. daß der Chilene vor der Bundeswehr-Führungsakademie in Hamburg keineswegs eine »geographisch-kulturelle Darstellung« seines Landes, sondern ein Bekenntnis zum Putsch der Militär-Junta abgelegt hat.
Ursprünglich wollte der Chilene seinen Vortrag »Chile, mein Heimatland« schon in Hildesheim halten. Aber dann mußte der abgesetzt werden, »um keine weiteren polemischen Reaktionen der Öffentlichkeit zu provozieren« -- so sieht es der Brigadegeneral Wolfram von Eichel-Streiber, stellvertretender Kommandeur der 1. Panzergrenadier-Division.
Aber es kam trotzdem noch zu Reaktionen in der Öffentlichkeit. Denn der Chilenen-Offizier war -- »selbstverständliche Gastgeberpflicht«, sagt der General -- zum Ball der Brigade im Hildesheimer Offiziersheim geladen, just am Jahrestag der Ermordung Allendes.
Auch dagegen protestierten die beiden Soldaten. »Als Stabsunteroffizier«, mußte sieh Douglas deshalb von seinem Bataillonskommandeur belehren lassen. hätte er wissen müssen, daß er auch außerhalb des Dienstes politische Zurückhaltung zu üben habe, »um das Vertrauen in Sie als Vorgesetzten zu erhalten«,
Und Strafe muß sein. »Das Absehen von einer Disziplinarmaßnahme«. so General von Eichel-Streiber, »hätte unabsehbare Folgen für die Disziplin« nicht nur der einzelnen Soldaten, sondern »der Truppe« schlechthin gehabt.