FAMILIENPOLITIK Mehr Geld, wenig Babys
Sechs Kinder haben Johannes und Ruth Singhammer gezeugt, zwei Mädel, vier Buben. Sie haben sie aufgezogen im Grünen, in München-Freimann, wo gleich nebenan die Heide blüht. Drei Kinder leben inzwischen woanders, aber immer wieder sonntags kehren sie zurück, zum Kochen, Essen, Reden. Johannes Singhammer, 55, freut sich, wenn er von diesen Treffen erzählt. Seine große Familie, sagt er, sei für ihn das Schönste.
Und weil es so schön ist, möchte Singhammer, Bundestagsabgeordneter der CSU, dass auch die anderen Deutschen wieder so leben dürfen wie im Märchen, im Kreise der Großfamilie. Als familienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion setzt sich der vielfache Vater seit Jahren für Kinderreiche ein.
Sein jüngster Vorstoß sieht ein Prämienmodell vor: Mit steigender Kinderzahl soll die Höhe des Kindergelds wachsen. Wer viele Babys kriegt, soll auch mehr Geld bekommen. Kein Wunder, dass Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (ein Kind mehr als Singhammer) den Vorschlag grundsätzlich unterstützt.
154 Euro im Monat zahlt der Staat derzeit ab dem ersten Kind, ab dem vierten gibt es 179 Euro. Während die SPD das Kindergeld
ab 2009 nur um voraussichtlich 10 Euro für alle erhöhen will, fordert Singhammer einen Aufschlag von 20 Euro für das dritte und 50 Euro ab dem vierten Kind.
Viele Großfamilien sind arm, dies sei eines der Argumente, die für eine solche Regelung sprechen, sagt Singhammer. Von der Leyen (CDU) sieht das genauso. »Mit wachsender Kinderzahl steigen die Fixkosten sprunghaft. Bei mehreren Kindern muss es eben die größere Wohnung sein, das größere Auto.«
Tatsächlich steigt das Armutsrisiko ab dem dritten Kind deutlich. Das Problem ist nur: Gegen die bereits bestehende Armut hilft die gewünschte Kindergelderhöhung kaum. »Diejenigen, die Hartz IV beziehen, bleiben auf der Strecke, weil das Kindergeld als Einkommen auf das Sozialgeld angerechnet wird«, sagt der Kölner Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge.
So liegt es nahe, dass Singhammer, von der Leyen und die anderen Freunde des gestaffelten Kindergeldes noch etwas anderes beabsichtigen: Sie wollen die Geburtenziffer in Deutschland endlich nach oben treiben, aus dem europäischen Keller an die europäische Spitze.
Dass Frauen hierzulande seit den siebziger Jahren im Schnitt nur noch 1,4 Kinder bekommen, liege nämlich nur zum Teil daran, dass es weniger Mütter gebe, argumentiert der Soziologe Hans Bertram. Heute ist in Mittelschichtsfamilien meist nach dem zweiten Baby Schluss. Nur 12 Prozent der Frauen des Jahrgangs 1960 haben drei Kinder, in Frankreich sind es 22 Prozent.
Doch ob staatliche Finanzspritzen zweifache Eltern tatsächlich zum Familienausbau ermuntern, ist unter Wissenschaftlern umstritten. Studien, die das Geburtenverhalten aus der Familienpolitik eines Landes erklären, sind rar. In einer Studie der Robert-Bosch-Stiftung findet sich immerhin ein Beleg, dass finanzielle Maßnahmen sich positiv auf die Zeugungslust auswirken können: Würde man das Kindergeld um zehn Prozent der Kinderkosten aufstocken, so die Rechnung, stiege die Geburtenziffer in Deutschland um 0,03 Kinder pro Frau. Ein Baby-Boom sieht anders aus.
Auch bei den Franzosen geht es weniger ums Geld. Entscheidender als sämtliche familienpolitische Maßnahmen sei die gesellschaftliche Mentalität, meint der Bevölkerungswissenschaftler Reiner Klingholz: »In Frankreich ist nicht nur die Kinderzahl, sondern auch der Kinderwunsch ausgeprägter als bei uns.« Drei Kinder sind nur für 13 Prozent der Deutschen das Ideal, aber für 38 Prozent der Franzosen.
»Wir haben seit den siebziger Jahren weniger Kinder, also seit über einer Generation«, sagt Klingholz. »In unseren Köpfen hat sich festgesetzt, dass wenige Kinder normal sind.« MERLIND THEILE
* Beim Besuch eines Mehrgenerationenhauses imrheinland-pfälzischen Limburgerhof im Juni.