MEINUNGSFORSCHUNG Mehrheit nach Wunsch
Am Dienstag vergangener Woche war die Mehrheit der Bundesbürger dagegen, am Mittwoch war sie dafür, daß amerikanische Mittelstreckenraketen in Westeuropa aufgestellt werden.
Die Contra-Mehrheit von 66 Prozent meldete das Fernsehmagazin »Panorama«, die Pro-Mehrheit von 58 Prozent das Bundesverteidigungsministerium. Und sie beriefen sich beide auf dieselbe Quelle: auf das Bielefelder Emnid-Institut, das vom 25. August bis 8. September für das Fernsehen und vom 10. bis 14. September für das Ministerium tätig gewesen war.
Minister Manfred Wörner selbst wollte in einem »Bild«-Kommentar für »Klarheit« sorgen und verkündete: »Vier von fünf befragten Deutschen sind der Meinung, die Bundesrepublik müsse sich verteidigen, wenn sie angegriffen wird.« Doch nach dem etwaigen Verhalten im Kriegsfall hatte »Panorama« gar nicht fragen lassen.
Auf einen Meinungsumschwung nach dem sowjetischen Abschuß des südkoreanischen Jumbo-Jets am 31. August lassen sich die wechselnden Mehrheiten nicht zurückführen. Bis zu diesem Tage hatte Emnid etwa die Hälfte der 2000 Interviews für »Panorama« erledigt, und das Institut zählte später aus, daß sich nach dem Abschuß die Zahl der Raketengegner und -befürworter nur um je zwei Prozent vermindert habe.
Wer nach den Gründen für die Diskrepanz sucht, wird nicht im Fernen Osten, sondern in Bielefeld fündig. Denn dort ist man allzu gern bereit, Fragen so zu stellen, wie es den Auftraggebern gefällt, auch wenn es denen darum geht, in den Tabellen die gewünschte Mehrheit zu finden. Motto, laut »Hamburger Abendblatt": »Wie man ins Volk hineinfragt, so schallt es wieder heraus.«
Allerdings sind die methodischen Emnid-Sünden von Laien kaum zu erkennen. Für »Panorama« fragte das Institut: _____« Wenn die (Genfer) Verhandlungen zwischen den USA und » _____« der Sowjet-Union erfolglos bleiben, sollen demnächst auch » _____« bei uns in der Bundesrepublik neue Atomraketen » _____« aufgestellt werden. Sind Sie für oder gegen diese » _____« Aufstellung neuer Raketen? »
Eine solche Frage mag für einen intensiven Zeitungsleser genügen, für den politisch weniger kundigen Durchschnittsbürger ist sie gar zu sehr aus dem Kontext gelöst. Ebensogut könnte man, zum Beispiel, isoliert fragen, wer für oder gegen Medikamente mit starken Nebenwirkungen sei. Die Mehrheit, die sich dagegen ausspräche, wäre noch größer und wäre noch weniger wert. Erst wenn in dem Fragentext gesagt würde, wogegen ein solches Medikament helfen solle, könnten Risiken abgewogen und sinnvolle Antworten gegeben werden.
Bei der Umfrage für das Wörner-Ministerium gab Emnid die Marschrichtung allzu deutlich an. Der Text, den die Interviewer verlasen: _____« Der Westen muß gegenüber der Sowjet-Union stark genug » _____« bleiben. Deshalb ist es nötig, in Westeuropa moderne » _____« Atomwaffen aufzustellen, wenn die Sowjet-Union ihre neuen » _____« Mittelstreckenraketen nicht abbaut. »
Die Befragten sollten erklären, ob sie dieser Meinung »eher zustimmen oder eher nicht zustimmen«.
Solche Fragen können dann Sinn haben, wenn es davon eine ganze »Batterie« gibt und wenn positive mit negativen gemischt werden. Hier aber war nur die Meinung des Auftraggebers einseitig formuliert, da wurde die Zustimmung gar zu sehr nahegelegt. Korrekt wäre es gewesen, die Befragten zwischen zwei Argumenten wählen zu lassen.
Allensbach-Chefin Elisabeth Noelle-Neumann führte jüngst in der »FAZ« an Beispielen aus ihrem eigenen Institut vor, wie durch entsprechende Fragestellung eine Anti-Raketen-Mehrheit von 72 Prozent zu einer Minderheit von 40 oder sogar nur von 22 Prozent schrumpfen kann. Zuletzt allerdings mit Hilfe einer abstrusen Alternative: _____« Angenommen, wir haben nur die Wahl, aus der Nato » _____« auszutreten oder die neuen amerikanischen Raketen bei uns » _____« aufzustellen. Was sollten wir dann tun, aus der Nato » _____« austreten oder die neuen Raketen aufstellen? »
Fast wie eine Bankrotterklärung für die Demoskopen-Branche klingt es, wenn die Allensbach-Chefin solche Zahlenspiele kommentiert: »Der Berichterstatter kann sich praktisch auswählen, welches Bild von der Einstellung der Bevölkerung er geben will.«
Doch ausgerechnet das Emnid-Institut, das jetzt ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ist, hat vor zwei Jahren einen Gegenbeweis zu dieser Noelle-These geliefert: mit einer SPIEGEL-Umfrage, die ein zwar differenziertes, aber durchweg widerspruchsfreies Stimmungs- und Meinungsbild über Raketen und Rüstung brachte (SPIEGEL 48 bis 50/ 1981). Bis heute ist keine andere Untersuchung veröffentlicht worden, die vergleichbar fundierte Daten gebracht hat.
Offenbar liefert Emnid solide Zahlen, wenn einem Auftraggeber daran liegt, läßt aber schon mal fünfe grade sein, wenn es anders ist. Daß auch andere Institute sich bei Raketenumfragen schon ähnlich willfährig verhalten haben, macht die Sache nicht besser.
Wörners Leute vermieden jeden Vergleich mit den 1981er SPIEGEL-Zahlen, und zwar aus plausiblem Grund: Der Vergleich zeigt, daß der Trend nicht so läuft, wie Wörner es wünscht, sondern genau umgekehrt. Beispiel: Noch immer sprechen sich die meisten Bundesbürger für ein militärisches Gleichgewicht zwischen Ost und West aus, aber verdoppelt (von 9 auf 20 Prozent) hat sich die Zahl derjenigen, die eine Überlegenheit des Ostens in Kauf nehmen würden.
Die Demoskopin Noelle-Neumann sagt es denn auch offen: »Die Anhänger der Regierungspolitik, die Befürworter des Nachrüstungsbeschlusses, stehen deutlich unter Meinungsklimadruck.«