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BONN / MENDE Mein Boß heißt Cornfeld

aus DER SPIEGEL 38/1967

An der Bar des italienischen Prominenten-Restaurants »Chez Ernesto« auf der Godesberger Cäcilienhöhe vertrieben sich acht Freie Demokraten die Zeit bis zum Mittagessen mit Aperitifs.

Da brachte Erich Mende, Präses der Runde, ein Thema auf, das zu den Parteisorgen, die man bislang erörtert hatte, schlecht zu passen schien. Unvermittelt fragte der FDP-Chef seine Vorstandskameraden: »Was haltet ihr eigentlich von IOS?«

Überrascht erkundigte sich FDP-Schatzmeister Rubin, börsenerfahrener Ruhrindustrieller und mit den Praktiken der amerikanischen Investmentfirma IOS (Investors Overseas Services) bestens vertraut: »Um Gottes willen, was haben Sie denn mit denen vor? Wollen Sie Geld anlegen?«

Mende: »Ich weiß, die werden von allen schlechtgemacht. Aber das stimmt nicht.«

Doch Rubin warnte weiter: »Ich spekuliere ja auch mal mit Wertpapieren. Aber da würde ich doch sehr raten. vorher genau zu überlegen, wo man das macht.«

Erich Mende wich aus: »Nein, nein, es handelt sich um andere Sachen.«

Um was für Sachen es sich handelte, das ahnte zu dieser Stunde, am vorletzten Mittwoch, noch keiner von Mendes Parteigenossen in Ernestos Bar: Bonns Oppositionsführer hatte sich zwei Tage zuvor am Genfer See der amerikanischen IOS als Deutschland-Manager verdingt.

Was weder Parteireformer noch Jungdemokraten, weder Führungsrivalen noch liberale Publizisten geschafft hatten -- Mendes Sturz von der FDP-Spitze -, das schaffte nun der amerikanische Manager Bernard Cornfeld, Gründer und Präsident der IOS*.

Im Chefzimmer der europäischen IOS-Zentrale in Ferney-Voltaire auf der französischen Seite des Genfer Sees unterschrieb Mende am Montag

* Die IOS Ist ein in Panama registrierter Internationaler Finanztrust (88 Tochter- und Beteiligungsfirmen in 19 Ländern), der für eine halbe Million Kunden Papiere Im wert von mehr als drei Milliarden Mark verwaltet.

der vorletzten Woche einen Fünfjahresvertrag als Vorsitzender des Verwaltungsrates der IOS Deutschland GmbH

Gegen ein Jahressalär von 30 000 Dollar (120 000 Mark) verpflichtete sich der deutsche Ex-Vizekanzler:

> die Vertriebsorganisation in der

Bundesrepublik zu straffen;

> 2500 deutsche IOS-Vertreter zu

schulen und einzuweisen;

> die Öffentlichkeitsarbeit zu beaufsichtigen.

Ohne Hoffnung auf ein Comeback als Minister in Bonn, beschloß der allzeit dienstbereite oberschlesische Ritterkreuzträger, Businessman zu werden.

Erich Mendes politische Karriere war mit dem Sturz seines Wunschkanzlers Ludwig Erhard im vorigen Herbst zu Ende gegangen. Seine Hoffnungen, als Professor an eine Universität berufen zu werden, scheiterten am mangelnden Interesse der deutschen Wissenschaft.

Von Sorge um die Zukunft geplagt, griff Mende kurz entschlossen zu, als Ihn in diesem Sommer die rettende IOS-Offerte erreichte. Er machte sich bereit, vom 1. September an für eine amerikanische Börsenfirma zu wirken, die in den USA gar nicht zugelassen Ist, weil ihre Geschäftspraktiken den US-Gesetzen nicht entsprechen, und die auch in Deutschland wegen ihrer harten Verkaufstaktik als umstritten gilt.

Freilich plagte den FDP-Chef das schlechte Gewissen. Als er zwei Tage nach dem Vertragsabschluß seinen Parteifreunden auf der Cäcilienhöhe gegenübertrat, flunkerte er wortreich, er habe in der Uno-Stadt Genf mit mehreren Konferenzdiplomatin hochinteressante Abrüstungsgespräche geführt.

Der engere FDP-Vorstand war auf Drängen des sogenannten Reformerflügels auf der Cäcilienhöhe zusammengekommen: Vorsitzender Mende, Vize Weyer, Ex-Minister Bucher, Fraktionsvize Mischnick, Ex-Minister Scheel, Schatzmeister Rubin, Bundesgeschäftsführer Genscher.

Spätestens seit dem letzten FDP-Parteitag in Hannover betrieben die Reformer -- im engeren Vorstand vertreten vor allem durch Hans Wolfgang Rubin -- Erich Mendes Ablösung durch den ehemaligen Entwicklungsminister Walter Scheel. Der Plan der Mende-Gegner: den bisherigen Parteichef mit dem seit Thomas Dehlers Tod Vakanten Sessel des Bundestagsvizepräsidenten zu entschädigen.

Doch ehe eine Unterhaltung über die Thronfolge überhaupt in Gang kommen konnte, verwirrte Taktiker Mende den FDP-Stab durch einen Präventiv-Schlag.

Den eben abgeschlossenen IOS-Vertrag in der Tasche, der ihn schon zwei Tage darauf den amerikanischen Interessen verpflichten sollte, verkündete er ohne Umschweife: »Ich werde im Januar auf dem Freiburger Parteitag wieder für den Vorsitz kandidieren.«

Mendes Vorwärtsverteidigung, so schien es, hatte Erfolg. Rivale Scheel kapitulierte kampflos. Frisch gebräunt aus seinem Alpenhaus im Salzburger Hinterthal zurück, gab sich Scheel mit dem eigentlich Mende zugedachten Trostpreis der Dehler-Nachfolge zufrieden.

Einträchtig stiegen Mende und Scheel, eskortiert vom FDP-Politruk Genscher, am Nachmittag in den Partei-Mercedes 250 SE und fuhren direkt von Ernestos Ristorante über Godesberg zum Baumannshof bei Kleve, dem Gut des niederrheinischen FDP-Bezirksvorsitzenden, der für den Abend ein Polit-Happening mit Hammelbraten, Bier und Genever arrangiert hatte.

In der hereinbrechenden Abenddämmerung unter den rauschenden Buchen des Baumannshofes ließ Mende den Parteifreund Scheel als ersten etwas von seinem Berufsgeheimnis wissen: »Ich habe ein Angebot von 105 für eine weltweite finanzpolitische Tätigkeit.«

Scheel spitzte die Ohren. Anerkennend klopfte er dem Parteichef auf die Schulter und riet ihm, diese Chance gut zu bedenken. Daß die Chance schon Vertragsform angenommen hatte, ahnte er freilich nicht.

Als Anfang letzter Woche der SPIEGEL (37/1967) Erich Mendes geheimes Spiel an den Tag brachte, ging in der FDP das Donnerwetter los.

Für Dienstagabend hatte FDP-Vize Weyer, Landesvorsitzender der nordrhein-westfälischen Partei -- Kerntruppe, die Bundestagsabgeordneten seines Landes ins NRW-Haus an der Bonner Görresstraße eingeladen.

Dort hielten aufgebrachte Weyer-Männer ihrem Gastgeber die Monde-Meldung vor. Der wollte es nicht wahrhaben: »Da ist doch nichts dran. Das glaube ich nicht.

Er wollte es vor allem deshalb nicht glauben, weil diese Wendung der Ereignisse Willi Weyers gerade entworfenes Konzept für die Zukunft der Partei und der eigenen Person zu zerstören drohte. Just zur selben Abendstunde nämlich lief über die Rotationsmaschinen mehrerer Lokalzeitungen an Rhein und Ruhr ein Interview, in dem Weyer seinen Rückzug vom Posten des Partei-Vize zugunsten von Scheel ankündigte und Mendes Wiederwahl auf dem Freiburger Parteitag empfahl.

Mißtrauisch geworden, wollte Weyer sich nun bei Freund Mende selber Gewißheit verschaffen. Am Mittwoch rief er ihn an und verlangte Bescheid, ob die IOS-Gerüchte stimmten.

Jetzt endlich schenkte Mende reinen Wein aus. Die Gerüchte stimmten. Der Stellvertreter war bestürzt: »Tu"s nicht, Erich! Schlaf noch mal 24 Stunden drüber. Das kannst du uns nicht antun!« Da bekannte Mende, der Vertrag mit den Amerikanern sei längst unterschrieben.

Mit den härtesten Worten hielt Weyer nun dem Parteichef vor, daß zumindest er als Stellvertreter und enger Vertrauter schon während Mendes Verhandlungen mit 105 hätte ins Bild gesetzt werden müssen.

Im Kreise seiner Landesoberen, am Mittwochnachmittag letzter Woche, bezog Weyer Position: »Der IOS-Job und der FDP-Vorsitz sind unvereinbar miteinander.«

Zur gleichen Zeit bedrängten im Bonner Plenarsaal während der Mifrifi-Debatte des Bundestags aufgescheuchte Freidemokraten ihren Parteichef.

Um 16.45 Uhr fragte auch der von Mende halbwegs ins Vertrauen gezogene Walter Scheel: »Erich, hast du nun unterschrieben oder nicht?« Mende: »Das entscheidet sich in der nächsten Viertelstunde.«

Punkt 17 Uhr verbreitete IOS das offizielle Kommunique über das Mende-Engagement. Als Einstandspräsent schickte das Unternehmen Stefan Zweigs Buch »Sternstunden der Menschheit«. Widmung: »Möge Ihre Begegnung mit IOS für Sie eine Sternstunde sein.«

Mit dem Parteivorsitz, so fand Mende, sei seine neue Tätigkeit durchaus vereinbar: »Wenn der Rubin Ostgeschäfte macht, werde ich wohl Westgeschäfte machen dürfen.«

Dem SPIEGEL eröffnete er: »Mein künftiger Boß heißt Bernard Cornfeld und sitzt am Genfer See.«

Anderntags aber mußte Erich Mende einsehen, daß Deutschlands liberale Partei nicht gewillt war, an ihrer Spitze eine amerikanisch bezahlte Repräsentationsfigur amten zu lassen.

Am Donnerstagmittag konfrontierte Fraktionsgeschäftsführer Genscher den IOS-Mende telephonisch der Tatsache, daß ebenso wie Weyer nun auch die Bundestagsfraktion und die Landesverbände der Partei eine Koppelung von IOS- und FDP-Posten für unvereinbar hielten. Genschers Rat Mende möge im Januar 1968 nicht wieder für den FDP-Vorsitz kandidieren.

Erich Mende nahm seine siebenjährige deutsche Schäferhündin Assi an die Leine und meditierte mit ihr im Godesberger Stadtwald. Doch erst auf der Autofahrt von seiner Wüstenrot-Villa in Godesberg-Schweinheim zum Bundeshaus in Bonn rang Mende sich schließlich zu einem einsamen Entschluß durch: Der konsternierten Fraktion, die sich auf einen zähen Kampf mit dem Parteichef präpariert hatte, teilte er seine Abdankung mit.

Die Schuld schob Mende den anderen zu: »Ich habe es nicht nötig, mich nach acht Jahren als Vorsitzender von meinen eigenen Freunden so behandeln zu lassen.«

Doch die Freunde behandelten ihn weiter so. Am Freitagnachmittag stellte der FDP-Bundesvorstand seinen abgedankten Parteichef förmlich unter Kuratel. Da Mende bereits seit 1. September in IOS-Diensten steht, hielten es die Vorstandsherren für angebracht, ihn von der Parteiführung zu entlasten und dem Vize Weyer die Wahrnehmung der laufenden Geschäfte zu übertragen.

Im Kampf um die Mende-Nachfolge ging nun Willi Weyer in Führung. Vorsichtig gab er zu erkennen, daß mit seiner Kandidatur zu rechnen sei und daß er sich Hoffnungen mache.

Um eine Hoffnung ärmer, aber seit Freitagmittag um die Würde eines Bundestags-Vizepräsidenten reicher, stieg der bisherige FDP-Thronprätendent Walter Scheel abends in den Schlafwagen nach München. Von dort fuhr er heim ins Hinterthal.

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