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»Mein Freund ist ein Killer«

Jetzt setzt Kriegsherr Milosevic in der Kosovo-Hauptstadt Pristina seine schärfste Waffe ein: die »Tiger«-Truppe unter dem Kommando des berüchtigten Arkan.
Von Renate Flottau
aus DER SPIEGEL 14/1999

Vlora wollte nach ihren Verwandten im Nachbarhaus sehen, als sie die serbischen Soldaten entdeckt. Langsam, Gewehr im Anschlag, schlendern sie die enge Straße hinauf, die in das nur von Albanern bewohnte Viertel Pristinas führt. Sie zuckt zurück und wirft schnell die Tür vor sich zu.

Die Straße ist leer. Durch millimetergroße Löcher in den schweren Eisentoren beobachten die Albaner, wie immer mehr Uniformierte in kaum hundert Meter Entfernung in Stellung gehen. Gewehre und Pistolen liegen in Reichweite. Als zur Verstärkung das blaue gepanzerte Polizeifahrzeug anrollt, feuern einige Polizisten minutenlang begeistert in die Luft.

Am Abend röhrt plötzlich Kanonendonner vom Stadtrand herüber. Von irgendwoher antworten Pistolenschüsse und Salven aus Maschinengewehren. Der Gefechtslärm läßt sich nicht lokalisieren. Es kann sein, daß die Serben den ganzen Feuerzauber nur veranstalteten, um die allgemeine Panik anzuheizen.

Vlora duckt sich tief in die Deckung. Sie ist vor vier Tagen mit ihren Verwandten aus der rund zehn Kilometer entfernten Stadt Kosovo Polje nach Pristina gekommen. Die Armee hatte den albanischen Bewohnern des Mietshauses, in dem sie wohnten, nur eine halbe Stunde eingeräumt, um das Nötigste zu packen. Dann mußten sie raus aus der Stadt.

Niemand wagte Widerstand. Fast alle hatten von Erschießungen gehört, von Folter und Verschleppungen. Seit die Ausländer raus sind aus dem Kosovo, fühlen sich die Serben nicht mehr beobachtet. Sie haben jetzt keine Hemmungen mehr, ihren Besatzerallüren freien Lauf zu lassen.

Er habe mit seinem Bruder in Decani telefoniert, sagt Vloras Nachbar Fehmi. Dort seien 30 Albaner getötet worden, die für die OSZE gearbeitet hätten. Ganze Dörfer sollen von Panzern niedergewalzt, Tausende von Albanern sollen als Geiseln interniert worden sein. Man habe gedroht, sie im Fall eines Nato-Angriffs auf serbische Panzer zu töten. Später würde man dann behaupten, eine verirrte Nato-Rakete habe ihr Haus getroffen.

Immer wieder dröhnen während der Nacht Explosionen durch die Stadt. Dies sind keine Nato-Bomben. Um die ethnische Säuberung des Kosovo möglichst rasch zu vollenden, macht Milosevic nach bewährtem bosnischem Muster reinen Tisch. Die »Tiger-»Truppe« mit den kurzgeschorenen Schädeln leistet ganze Arbeit. Sie besteht hauptsächlich aus gewöhnlichen Kriminellen. Ihr Boß ist der berüchtigte Arkan, der wegen seiner Untaten in Bosnien vom Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gesucht wird. Wegen angeblicher Raubüberfälle in Westeuropa will ihn Interpol schnappen. Wo seine Handgranaten-Rambos durchziehen, bleibt nichts heil.

Die albanischen Geschäfte, Kioske und Cafés werden zerstört. Arkans »Tiger« verwandeln Pristina systematisch in einen Trümmerhaufen.

Für Vlora und ihre Familie ist es eine unendlich lange Nacht. Erst als um vier Uhr morgens, ohne vorherigen Luftalarm, der ohrenbetäubende Knall einer Nato-Rakete die Stadt erzittern läßt, rasen die Serben in ihr Hauptquartier zurück.

Die Serben haben mit der Liquidierung aller Kosovo-Politiker und ihrer Sympathisanten gedroht. Und niemand zweifelt daran, daß sie es ernst meinen. Der Fahrer von Ibrahim Rugova, dem Führer der Demokratischen Liga LDK, wurde bestialisch verprügelt, der LDK-Vorsitzende von Mitrovica, Berisha Lativ, am ersten Tag der Nato-Intervention ermordet, ebenso wie Rugova-Berater Bajram Kelmendi samt seinen beiden Söhnen.

Die drei Häuser, die Rugovas Haus am nächsten lagen, haben die Serben schon vergangene Woche mit Dynamit in die Luft gejagt. Vom LDK-Büro in der Innenstadt, die Baracke genannt, blieb nur eine verkohlte Ruine.

Die serbische Propaganda hat massenhaft falsche Flugblätter in Umlauf gebracht. Sie enthalten einen getürkten Aufruf von Rugova an seine Landsleute, das Land zu verlassen, weil man es nicht mehr verteidigen könne. Die serbischen Zeitungen veröffentlichen das Falsifikat, das auch Rugovas angebliche Unterschrift trägt, auf den Titelseiten. Die Nation soll glauben, die Albaner hätten aufgegeben.

Die Versorgungslage wird täglich schlechter. In den Regalen der wenigen noch geöffneten Supermärkte finden sich nur noch Kekse. Wenn gegen neun Uhr das Brot angeliefert wird, stehen die Menschen schon ein paar Stunden lang an. Es sind fast ausschließlich Serben. Die Albaner wagen sich kaum noch in die Innenstadt.

Lynchatmosphäre liegt in der Luft, die Emotionen kochen nach jedem Nato-Angriff über. Ein Kroate, der sich vor der Bäckerei verwegenerweise mit angestellt hat, wird von Serben zusammengeschlagen. »Hol dir dein Brot bei Tudjman«, schreit einer.

Eine Gruppe junger Soldaten steht unbeteiligt dabei. »Mein Freund ist ein Killer«, sagt einer und klopft sich dabei stolz auf die Brust. »Er schießt auf alle Albaner.« Jeder Tag, den die jugoslawische Armee länger dem Nato-Giganten trotzt, sei ein weiteres Ruhmesblatt in der serbischen Geschichte.

Egal, wie der Krieg ausgeht - die Serben werden daraus eine Siegeslegende flechten. Wie 1389 nach der Schlacht auf dem Amselfeld, als ihre Vorfahren den Türken trotzten. RENATE FLOTTAU

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