Unablässig redet der Mann mit dem schmuddeligen Haar und der Tätowierung auf dem linken Oberarm über den Krieg. Die Bedienung im Schnellrestaurant schenkt ihm Kaffee nach, Unruhe und Sorge zeichnen ihr Gesicht. »Mein Mann ist in Saudi-Arabien«, erklärt sie und glättet ihre Schürze, als wolle sie sich ablenken.
Im Städtchen Hinesville im Südstaat Georgia dem fernen Krieg am Golf zu entkommen ist unmöglich. Abschalten oder nur einige Stunden lang vergessen, was eine halbe Welt entfernt in der Wüste tobt, hieße 12 000 Mitbürger aus dem Gedächtnis streichen. So viele Soldaten hat die Stadt in die Schlacht um Kuweit geschickt.
Hinesville grenzt an Fort Stewart, Heimat der 24. Infanteriedivision, die seit August vorigen Jahres im mittleren Frontabschnitt nahe der kuweitischen Grenze in Saudi-Arabien in Stellung gebracht wurde. In den vergangenen Wochen rückte die Truppe Zug um Zug immer näher an den Feind heran.
»Unterstützt unsere Soldaten«, fordern vier Aufkleber auf dem Auto des Tätowierten, einem alten Dodge mit zerfetztem Vinyldach; an der Antenne flattert zum Gedenken an die fernen Krieger ein mit gelber Schleife drapiertes amerikanisches Fähnchen.
Goldgelbe Schleifchen an Laternenpfählen schmücken die kleine Innenstadt, die Türen der Einfamilienhäuser und Geschäfte. »Hier unten in Georgia«, sagt ein Feldwebel Miller, einer der wenigen in der Kaserne verbliebenen Soldaten, »ist der Patriotismus schon immer besonders stark gewesen.«
Gut leben kann die Stadt von diesem Patriotismus nicht; leerer als sonst sind die Straßen und schlecht die Geschäfte. An der Einfahrt zum Fort Stewart, wo in besseren Zeiten Lastwagenkolonnen und Schützenpanzer unter dem ausgemusterten Kriegsgerät vorbeirollten, das die Division dort drohend ausstellt, steht einsam ein Fernsehreporter. Die Stadt und mit ihr der Staat Georgia warten auf den Beginn des großen Landkriegs, in dessen Verlauf wohl auch die gefürchteten Verlustmeldungen eintreffen werden. Die Medien warten mit.
Niemand in Hinesville fiebert der kommenden Schlacht entgegen. Solange der Luftkrieg andauert, bleibt den Frauen und Kindern der Soldaten ein Rest Zuversicht.
»Vielleicht müssen sie doch nicht kämpfen«, beruhigen sich die Angehörigen gegenseitig, ohne wirklich an diese Hoffnung zu glauben. Jill McCaffrey, die Frau des Kommandierenden Generals der Division, drückt den bombenden US-Piloten den Daumen, »damit unsere Soldaten nur noch über die Grenze nach Kuweit spazieren müssen«.
Bürgermeister Buddy DeLoach hat andere Sorgen, er kümmert sich um die Sicherheit an der Heimatfront: In den Wohngebieten wurden die Polizeipatrouillen nach dem Ausrücken der Männer verstärkt, in den Schulen stehen Psychologen und Berater bereit. Der Schulrat beschloß, Journalisten den Zutritt zu den Schulen zu verwehren - Zensur auch in der Etappe.
»Felsenfest« stehe die Kommune »hinter den Truppen«, versichert das Stadtoberhaupt. Hinesville werde zu Ehren der heimkehrenden Helden »das größte Fest geben, das dieser Teil des Staates jemals gesehen hat«. Anders als nach Vietnam, möchte DeLoach wohl sagen.
Daß der Nachrichtenkanal CNN Hinesville nach dem Abzug der Division als »Geisterstadt« schilderte, regt den Bürgermeister nicht auf, wohl aber Gary Walker, den Vorsitzenden der Handelskammer. Die TV-Leute hätten »gemogelt« und ihren Film nach Geschäftsschluß gedreht, damit Hinesville ausgestorben erscheine, wirft er den Fernsehreportern vor.
Aber bereitwillig gibt er zu, daß der Krieg der Stadt »ganz schön hart« zugesetzt habe. Nachdem die Division im Spätsommer verlegt worden war, stand Walker eines Abends auf seiner Terrasse: »Mein Gott«, erinnerte er sich, »war das plötzlich still.« Der größte Schock stand Walker damals noch bevor: Seine Tochter unterrichtete ihn vor zwei Wochen, sie werde in die Kriegsmarine eintreten. Die Nachricht habe ihn »fast durch den Boden meines Wohnzimmers fallen« lassen.
Zweifel, ob der Krieg gegen Saddam Hussein richtig und notwendig sei, hegt Walker jedoch nicht. In Hinesville wacht Amerika selbstlos über eine Welt, in der dem Bösen immer mal wieder das Haupt zertreten werden muß. Geschäfte locken mit patriotischen Gesten: Soldatenfamilien erhalten Rabatte. Kirchen schicken Freiwillige zum Rasenmähen oder für Hausreparaturen. Den Truppen in der Wüste sandten Firmen und Privatleute so viele Liebesgaben hinterher - »500 Pfund Plätzchen«, staunt Feldwebel Miller -, daß »wir ihnen sagen mußten, sie sollten aufhören, weil wir nichts mehr transportieren konnten«.
Vor Ausbruch der Kämpfe hatten noch zwei Gruppen von Soldatenfrauen für den Frieden demonstriert, weil sie nicht einsehen konnten, warum ein Krieg so schnell begonnen werden müsse. Deutsche Frauen, verheiratet mit amerikanischen Soldaten, waren die Wortführerinnen der einen Gruppe. Sie drängten die Hinesviller, nicht erst über den Krieg nachzudenken, wenn die Toten nach Hause gebracht würden. Jetzt behaupten die Frauen, die Armee habe sie eingeschüchtert, worauf sie - nach Kriegsausbruch - die Demonstrationen einstellten.
Wie eine schwarze Wolke hängt die Erinnerung an die trostlose Heimkehr der Vietnamveteranen über der Stadt. Pam Campbell, deren Verlobter in Saudi-Arabien ist, wird deshalb »ärgerlich, wenn ich Antikriegsdemonstrationen sehe«. In Fort Stewart leitet sie das Hilfsprogramm für Soldatenfamilien. Ihre Freundin Margot Hall, Frau eines in Saudi-Arabien stationierten Divisionsarztes und Mutter von vier Kindern, pflichtet ihr bei, obwohl sie einst selber gegen den Vietnamkrieg protestierte. »Naiv« sei sie damals gewesen, entschuldigt sie sich.
Daß Soldatenfrauen gegen den Krieg demonstrieren, will ihr schon deshalb nicht in den Kopf, weil dies doch eine Freiwilligenarmee sei. »Die wußten doch, was vielleicht auf sie zukommen würde, als sie den Vertrag unterzeichneten«, wundert sich Margot Hall.
Merkwürdig doppelköpfig erscheint die amerikanische Armee des Irakkriegs aus der Sicht der Heimatfront. Ihre Freiwilligen sind Helden und zugleich Arbeitnehmer, wogegen die Wehrpflichtigen des Vietnamkriegs entweder Helden oder Idioten waren. Der Krieg am Golf sei »ein Job«, eine Arbeit, die eben verrichtet werden müsse, erwidert die Armee den Soldatenfrauen manchmal auf deren Ängste und Zweifel. Viele Frauen, sagt Karin Chavez, eine Deutsche, die vorigen Sommer einen GI geheiratet hat, »werden mit diesem Zwiespalt nicht fertig«. Nur Wochen nach der Hochzeit wurde der Gefreite Chavez an den Golf beordert.
Seit dem Tag, an dem George Bush die Mobilmachung der 24. Infanteriedivision angeordnet hat, sind die Frauen von Fort Stewart durch eine Achterbahn der Gefühle gesaust. Manche waren von ihren Ehemännern so abhängig, daß sie nicht wußten, wie bestimmte Formulare ausgefüllt werden mußten. Andere konnten nicht Auto fahren, am Steuer hatte stets der Ehemann gesessen.
Pam Campbell hat erlebt, wie diese Frauen durch den Krieg »emanzipierter wurden«. Bevor die Division nach Hinesville zurückkehrt, werden die Soldaten deshalb ein »Wiedersehenstraining« absolvieren müssen - damit die Heimkehr nicht zu einem Schock wird für Krieger und Zuhausegebliebene. Werden die Frauen ein Stück ihrer neugewonnenen Unabhängigkeit bewahren können? Oder werden sie sich wie vor ihnen die Soldatenfrauen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder geräuschlos in die Familien zurückziehen, um zu den Helden des Golfkriegs aufzuschauen?
Am Abend lädt Garnisonskommandant Oberst Frank Miller die Familien und Bürger der Stadt zu einer »Mahnwache im Kerzenschein« ein. »Laßt uns einen wundervoll patriotischen Abend feiern«, begrüßt der Offizier die Gäste auf den Tribünen. »Ich bin stolz darauf, Amerikaner zu sein«, plärren die Lautsprecher, während Frauen und Kinder Leuchtstäbe in den Farben Rot, Weiß und Blau schwenken.
Es folgen Gebete für alle Konfessionen, für Katholiken, Baptisten und Methodisten. Der Herr, verspricht Kaplan Robert Blais, »wird uns vor der tödlichen Pestilenz chemischer Waffen schützen« und die Republikanische Garde Saddam Husseins »zerschmettern« - zuviel kämpferische Religion für Karin Chavez. Sie ist zu Hause geblieben: »Ich sitze hier und warte auf meinen Mann.«