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»Mein Gott, was habe ich getan?«

Mit einem aufsehenerregenden Urteil fand der Streit um »Baby M.« ein vorläufiges Ende: Die Leihmutter muß ihren Vertrag erfüllen und das Kind, das sie behalten wollte, den Auftraggebern überlassen. Leihmütter und Retortenkinder, Samenbanken und Embryos im Tiefkühlschrank sind nur der Anfang einer fragwürdigen Entwicklung: Am Ende stehen der Eingriff ins menschliche Erbgut und die totale Maschinengeburt.
aus DER SPIEGEL 15/1987

_____« Bin ich wirklich der einzige Naturwissenschaftler, » _____« der ein Beben unter dem Boden spürt? Erwin Chargaff, » _____« Biochemiker »

In der nußbaumgetäfelten Kanzlei von Rechtsanwalt Noel Keane in Dearborn einem Vorort der Autostadt Detroit geht es zu wie in einem Kontakthof. Junge Frauen aus allen Teilen der USA kommen hierher, um ihre Dienste feilzubieten.

Für die anbahnenden Gespräche hat Vermittler Keane in seiner zweistöckigen Praxis eine Reihe von Einzelzimmern herrichten lassen. Dort sitzen Ehepaare und taxieren die Kandidatinnen, eine nach der anderen: Würde diese wohl zu uns passen? Wirkt jene ansprechend, sauber und gesund - geeignet, als Leihmutter »unser Kind« auszutragen? Die Anwaltskanzlei im US-Staat Michigan ist ein florierender Umschlagplatz für eine neue Dienstleistung, von der sich eine Generation zuvor noch niemand etwas hätte träumen lassen.

Viele der Frauen, die bereit sind, ihre Eizellen und ihren Gebärapparat gegen Entgelt für neun Monate in fremde Dienste zu stellen, werden von ihrem Freund oder ihrem Ehemann begleitet, manche haben eigene Kinder mitgebracht, als Beweis für ihre biologische Vollwertigkeit. Einer der Begleiter preist seine Frau wie eine Ware an: »Sehen Sie sie doch an, so flach wie jetzt war ihr Leib schon an dem Tag, als sie letztes Mal aus der Entbindungsklinik kam. Ich werde mich auch diesmal wieder um sie kümmern. Es ist, als ob man jemandes Auto für neun Monate versorgt. Es ist ein Geschäft - so sehen wir die Sache an.«

Da ist Lisa Spoor, 24, geschieden, Mutter zweier Kinder. »Ich tue es erstens fürs Geld«, sagt sie, »und zweitens um zu helfen.« Lisa ist Kellnerin mit einem Jahreseinkommen von 8000 Dollar. Mit dem Nebenverdienst will sie die Ausbildung ihrer Kinder bezahlen. Keane bringt Lisa Spoor mit dem kinderlosen New Yorker Ehepaar Gregory und Kathleen Zaccaria zusammen, beide Anfang 30, Doppelverdiener, Jahreseinkommen 100000 Dollar.

Eine Dreiviertelstunde moderiert der Anwalt das Kontaktgespräch, dann sind die Parteien handelseinig: Für ein Honorar von 10000 Dollar - der Vermittler bekommt noch einmal dieselbe Summe außerdem erhält die Leihmutter 5000 Dollar Spesen für Umstandskleider Arztkosten und ähnliches - will Lisa Spoor sich mit dem Samen Gregory Zaccarias künstlich befruchten lassen das Kind austragen und unmittelbar nach der Geburt an die Vertragspartner weggeben. Aufwachsen wird das Baby, so steht es in dem von Keane aufgesetzten Vertrag, bei den Zaccarias.

Daß derlei Abkommen, die dem Anwalt im vergangenen Jahr 600000 Dollar an Provisionen einbrachten, weder strafbar noch sittenwidrig oder sonstwie anrüchig sind, ist nun gerichtsamtlich.

Am Dienstag letzter Woche endete ein Prozeß, der unter dem Stichwort »Baby M.« weltweit Schlagzeilen machte und über dessen Grundfrage sich Frauenrechtlerinnen, Theologen und Philosophen ebenso wie Juristen und Mediziner tief zerstritten haben.

Drei Stunden lang verlas Harvey Sorkow, Richter am Gericht des District Bergen in Hackensack (US-Staat New Jersey), die 121 Seiten lange Begründung seines Urteils, das dem Biochemiker William Stern, 41, das ausschließliche Sorgerecht über das ein Jahr alte Baby M(elissa) zuerkennt. Mit dem Spruch war das Gezerre um das bislang prominenteste Kind, das seine Existenz einem Keane-Vertrag verdankt, vorläufig zum Abschluß gekommen. Der Fall könnte Rechtsgeschichte machen- nicht nur in den USA.

»Jede Frau«, so Richter Sorkow, »darf über ihre Gebärmutter frei verfügen - wie es auch jedem Mann freisteht seinen Samen zu verkaufen.« Die Leihmutter Mary Beth Whitehead, 29, die nach der Geburt das Kind nicht hatte hergeben wollen und es später vor dem Zugriff der Staatsmacht nach Florida _(Nach der Geburt in der Klinik. )

entführte, muß ihren Vertrag erfüllen. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung sorgte Richter Sorkow im Schnellverfahren dafür, daß Stern-Ehefrau Elizabeth, 41, das Kleinkind adoptierte und so dessen legale Mutter wurde.

Mit einem Sturm der Entrüstung reagierte halb Amerika auf den Urteilsspruch aus Hackensack. »Eine erschreckende Mißachtung von Grundrechten, die Frauen werden ihrer Menschenwürde beraubt«, erklärte Betty Friedan, Bestseller-Autorin ("Der Weiblichkeitswahn") und Mitbegründerin der Nationalen Frauenorganisation der USA.

Rechtsgelehrte wie Larry I. Palmer, Professor für Familienrecht an der Cornell University, übten Urteilsschelte: Richter Sorkow habe seine Entscheidung formal mit dem Vertragsrecht begründet, »aber wir haben in unserer Gesellschaft Grenzen gesetzt für die Dinge, die wir auf dem Markt feilbieten wollen«.

»In diesem Land haben wir uns vor 100 Jahren entschieden, daß wir Menschen nicht mehr kaufen oder verkaufen wollen«, erklärte William Pierce, Präsident des Nationalen Komitees für Adoption in den USA; genau dahin aber werde durch das Urteil der Weg eröffnet. »Babys und die Beziehungen zwischen Menschen«, hieß es in einem Kommentar der »Washington Post«, »werden zur Handelsware, vermittelt von Maklern, käuflich erworben von denen, die es sich leisten können.«

Begrüßt wurde das Urteil von der amerikanischen Vereinigung der Leihmütter. »Wir sind geradezu begeistert«, erklärte deren Sprecherin Harilyn Quill. Befriedigt äußerte sich Rechtsanwalt Keane: Endlich sei Klarheit geschaffen über Rechte und Pflichten von Leihmüttern - »sie müssen sich dessen bewußt sein, es ist nicht ihr Kind, das sie da austragen, und es wird keine Rolle spielen in ihrem Leben«.

»Ich halte Leihmutterschaft für legitim. Mutterschaft ist etwas, das sich wie jede andere Leistung auch in finanziellen Vorteilen niederschlagen darf.« Diese provokante These vertrat letzte Woche in der »Hamburger Morgenpost« die Rechtsexpertin und Journalistin Eva von Münch, Ehefrau des Hamburger FDP-Spitzenkandidaten. Leihmütter dürften nicht in die Illegalität gedrängt werden.

Eine Ausbreitung des Geschäfts mit dem Uterus aber, vergleichbar den Zuständen in den USA, wollen Bonner Politiker, quer durch die Parteien, verhindern. Mit einem eigenen Gesetz, so bekräftigte letzte Woche die Bonner Gesundheitsministerin Rita Süssmuth, wolle die Regierung die Vermittlung von Ersatzmüttern unter Strafe stellen.

Einen wahren Boom im Leihmuttergeschäft erwarten jetzt, nach dem bestätigenden Urteilsspruch des Richters Sorkow, die Amerikaner. Bei 15 Prozent der amerikanischen Ehepaare ist einer der Partner unfruchtbar. Mehr als 500 von Leihmüttern ausgetragene Kinder sind in den USA schon geboren worden. Allein in den zwei Vermittlungszentren des Anwalts Keane sind noch 30 weitere Miet-Mütter bereits schwanger, 150 Neuverträge unter Dach und Fach, wie Keane letzte Woche mitteilte.

Das Drama, daß sich nach der Geburt die Mutter-Kind-Bindung als stärker erweist - daß die Leihmutter aus dem Vertrag aussteigen und das Kind behalten will -, hat sich in Amerika außer bei Baby M. noch viermal abgespielt. In allen Fällen wurde die Sache außergerichtlich geregelt.

Die Auseinandersetzung um das Leihmutter-Kind Melissa, das am Freitag vorletzter Woche ein Jahr alt wurde, steht beispielhaft für die schier unlösbaren sozialen und psychologischen Probleme, die sich die Gesellschaft mit diesem neuen Dienstleistungszweig auflädt. Die Vorgeschichte des Prozesses reicht mehr als zwei Jahre zurück.

Um das »überwältigende Bedürfnis« des Ehemannes nach einem Kind zu erfüllen, mietete das Ehepaar Stern, am 6. Februar 1985, durch Vermittlung des Anwalts Keane die verheiratete Mrs. Whitehead, Frau eines Müllfahrers, als Leihmutter an.

Mr. und Mrs. Stern, mit seinem Verdienst als Wissenschaftler und ihrem Einkommen als Kinderärztin finanziell beweglich, schlossen mit der jungen Frau einen detaillierten Vertrag. Elizabeth Stern gab an, sie sei unfruchtbar - was sich später als falsch erwies. Sie leide an _(Mit ihren Kindern Ryan und Tuesday. )

einer milden Form von Multipler Sklerose und habe befürchtet, ihr Leiden werde sich durch eine Schwangerschaft verschlimmern, erklärte sie vor Gericht.

Die bei Vertragsabschluß 27jährige Leihmutter ließ sich mit Sterns Sperma künstlich befruchten. 15 Tage vor ihrer Niederkunft bestätigte sie vereinbarungsgemäß, daß Stern der natürliche Vater sei (Ehemann Richard Whitehead hatte sich nach der Geburt des zweiten Whitehead-Kindes sterilisieren lassen).

Am 27. März 1986 wurde Baby M. geboren. Noch im Kreißsaal verriet die Mutter dem anwesenden Ehemann, sie wolle das Kind behalten. Drei Tage später holten die Sterns das Baby aus der Klinik ab.

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus gebärdete sich Mary Beth wie hysterisch: »Mein Gott, was habe ich getan?« Um sie zu beruhigen, riet Ehemann Richard: »Los, hol dir dein Kind.« Die Sterns übergaben Mary Beth, die mit Selbstmord drohte, Melissa »für eine Woche«. Die Whiteheads aber weigerten sich nach Ablauf dieser Frist, das Kind wieder herauszugeben.

Elizabeth Stern drohte an, sie werde die plötzlich ihrem mütterlichen Instinkt gehorchende Leihmutter - die nun auch kein Honorar mehr haben wollte - »durch den Schlamm« der Gerichte ziehen. Die Kinderärztin erwirkte eine gerichtliche Verfügung zur Herausgabe von Baby M.

Doch während die Vollstreckungsbeamten an der Haustür der Whiteheads warteten, reichte Mary Beth das Kind durch ein rückwärtiges Fenster ihrem draußen wartenden Ehemann. Er brachte das Baby zu seinen Schwiegereltern nach Florida.

Am 15. Juli rief Mary Beth den leiblichen Vater ihres Kindes an: Sie werde Baby M. und sich selbst umbringen, wenn Stern weiterhin versuche, seine Tochter zurückzubekommen. Stern nahm das Telephongespräch auf Band auf - es diente später als Beweismittel vor Gericht. Ende desselben Monats spürten von Stern beauftragte Privatdetektive den Aufenthaltsort des nunmehr vier Monate alten Kindes auf. Die örtliche Polizei folgte dem Hinweis und nahm das Baby mit.

Bis zum Schluß hat der Prozeß um das Sorgerecht für Baby M., der Anfang dieses Jahres begann, den Charakter des Sensationellen nicht verloren. Bis zu einer Überprüfung des Urteils durch den Obersten Gerichtshof dürften Jahre vergehen - Melissa wäre dann schon eingeschult, das Kindeswohl verböte eine Revision.

Während der 32 Verhandlungstage wachte Jugend- und Familienrichter Sorkow über ein Verfahren, in dem beide Parteien die Öffentlichkeit und das Gericht mit hochgeputschten Emotionen auf ihre Seite zu ziehen suchten.

Der Anwalt der Leihmutter mühte sich, seine Mandantin als neue feministische Heldin aufzubauen. »In erster Linie ist Mary Beth Whitehead doch eine Mutter, die sonst nichts hat im Leben«, beschwor er das Gericht. »Wir dürfen es nicht zulassen, daß ein Mann sich eine Frau zum Zusammenleben hält und eine zweite, der er das Opfer und die Schmerzen einer Schwangerschaft zumutet.«

Mary Beth empfindet unterdes für den mitverantwortlichen Erzeuger nur noch Verachtung. Sie nennt ihn »Mr. Sperm«.

Die Sterns kreuzten mit den teuersten Anwälten und Gutachtern auf. William Stern, der biologische Vater, hielt sich bescheiden im Hintergrund. Mehrmals brach er in Tränen aus - bei dem Gedanken, womöglich auf immer seine »Tochter zu verlieren«.

Doch von Anfang an lief der Prozeß in eine andere Richtung. Dutzende von Zeugen und Sachverständigen attestierten, daß Baby M. bei den Whiteheads ein schlechtes Zuhause haben würde: Mary Beth war Schulversagerin, hatte mit 19 schon zwei Kinder; Richard, der seine Familie zu häufigem Wohnungswechsel zwang, kämpfte mit einem Alkohol-Problem.

Das Paar leide unter Geldmangel und streite sich häufig, erfuhr Richter Sorkow. In seiner Urteilsfindung folgte er den Sachverständigen: Melissa werde bei den »ruhig lebenden« Sterns nicht nur in »einer geordneten Umwelt« aufwachsen, sondern auch unter günstigsten Voraussetzungen, inklusive der Möglichkeit, »Musikunterricht zu nehmen«, was sich die Whiteheads voraussichtlich nicht leisten könnten.

Unabhängig von der Frage des Kindeswohls befand Sorkow, daß Mary Beth

einen Vertrag gebrochen habe, dessen Rechtmäßigkeit der Richter in der Verfassung verankert sieht. Danach haben Bürger »das fundamentale Recht auf Fortpflanzung«, was auch »das Fortpflanzen ohne Beischlaf« mit einschließe. Das Argument der Whitehead-Anwälte, ihre Mandantin sei durch die Aussicht auf das 10000-Dollar-Honorar »heimtückisch ausgebeutet« worden, konterte Sorkow mit dem Hinweis auf die Freiwilligkeit von Leihmüttern, die nur »ihr Recht in Anspruch nehmen, Dienstleistungen zu erbringen«.

Im Verlauf der Verhandlung hatte Richter Sorkow noch erklärt: »Dieses Gericht wird es sich nicht gestatten, als Austragungsort für eine Auseinandersetzung pro und contra Leihmutterschaft herzuhalten« - doch genau das geschah, zumindest mit den Kommentaren, die den Prozeß und das Urteil begleiteten.

Leihmutterschaft, so die einen, sei die natürlichste Sache der Welt, schon in der Bibel nachzulesen: Als Abrahams Frau Sara sich als unfruchtbar erwies, nahm er sich die Magd Hagar als Leihmutter und zeugte mit ihr Ismael. Als ihm später Sara doch noch ein Kind gebar, warf er die Sklavin mit Kind aus dem Haus.

Ist die Leihmutter eine moderne Version der Amme - oder ist sie eine Prostituierte? Ist es Babyhandel? Ein Organverkauf, moralisch auf der gleichen Stufe, als würde es den Armen gestattet, ihre Nieren an reiche Patienten zu verkaufen? Mit solchen Fragestellungen umschrieb die amerikanische Feministin Susan Ince, die sich einmal probeweise selber als Leihmutter beworben hat, das Problem: »Eine neue, von Männern kontrollierte und erfolgversprechende Dienstleistungsindustrie wächst da heran.«

Im Auftrag der Vermittler - um das Risiko des Vertragsbruchs möglichst klein zu halten - haben US-Psychiater versucht, die Motive zu ermitteln, von denen sich Leihmütter bei ihrem Geschäft leiten lassen. Ergebnis: In neun von zehn Fällen spiele die Aussicht auf das Honorar eine gewichtige Rolle - aber nicht allein.

Häufig komme die »schiere Freude am Zustand der Schwangerschaft« hinzu, oft auch eine »altruistische Einstellung«. In vielen Fällen jedoch suchten Leihmütter über Schuldgefühle wegen einer früheren Abtreibung hinwegzukommen, mitunter würden auch eigene, frühkindliche Traumata verarbeitet: Frauen, die einst selber von ihren Müttern verlassen wurden, setzen diese Trennung von Mutter und Kind mit der Leihmutterschaft erneut in Szene.

Bei einer Studie an 30 Leihmüttern die kürzlich abgeschlossen wurde, zeigte sich, daß der Schmerz über die Trennung von dem Neugeborenen »von einzelnen Weinkrämpfen bis zu monatelanger Trauer« reichte. Nur in 3 der 30 untersuchten Fälle seien Frauen in so schwere Depressionen geraten, daß sie psychotherapeutisch behandelt werden mußten.

Häufig, so die Forscher, suchten die Leihmütter sich schon während der Schwangerschaft gegen den kommenden Trennungsschmerz zu wappnen, etwa indem sie freudige Zukunftsphantasien, ihr Kind betreffend, von vornherein unterdrückten.

»Es beruhigt vermutlich das Gewissen« liberaler Auftraggeber, hält Feministin Ince solchen beschwichtigenden Thesen entgegen, wenn sie glauben dürften, daß die Leihmutter »einen unsichtbaren psychologischen/moralischen Nutzen« aus ihrer Dienstleistung ziehe.

Wie einseitig die Karten in diesem Spiel zugunsten der Auftraggeber gemischt sind, wird zumeist schon aus den Vertragsklauseln deutlich: Die künftige Leihmutter hat wenige Rechte, viele Pflichten. Nach der Examination auf ihren einwandfreien (unbefruchteten) Zustand muß sie geloben, auf Zigaretten, Alkohol und Drogen, aber auch (während der Besamungsphase) auf Geschlechtsverkehr zu verzichten.

Ohne Zustimmung des samengebenden Vaters darf sie keinen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, ist dazu aber verpflichtet, falls eine Fruchtwasseruntersuchung ergibt, daß ein genetisch geschädigtes Kind zur Welt käme. Überdies wird der Leihmutter das Versprechen abverlangt, zu dem Kind »keine Eltern-Kind-Beziehung herzustellen oder herstellen zu wollen«.

Das Vorurteil von der sozialen Zweitklassigkeit der »Surrogat-Mütter«, wie sie im Englischen heißen, wurde im Prozeß gegen Mary Beth Whitehead aufs neue kultiviert. Sie sei eine »intrigante, jähzornige und ausbeuterische Person«, hielt Richter Sorkow der Leihmutter in seiner Urteilsbegründung vor. Daß sie früher in einer Bar gearbeitet, sich die Haare gefärbt und sich sehnlich ein Kind gewünscht habe, waren im Prozeß Argumente gegen sie. Sie sei »narzißtisch«, wurde ihr vorgeworfen - der narzißtische _(Hohlschnitt von Julius Schnorr von ) _(Carolsfeld (1794 bis 1872). )

Wunsch des Mister Stern nach einem Kind mit seiner Erbausstattung, die mangelnde Bereitschaft seiner Frau, die Bürde einer Schwangerschaft zu übernehmen, spielten dagegen keine Rolle.

Einen möglichen Ausweg aus dem Baby-M.-Dilemma sahen US-Kommentatoren in einer Gerichtsentscheidung in Kentucky, der zufolge der Leihmutter nach der Geburt eine »Gnadenfrist« eingeräumt werden sollte - eine fünftägige Phase des Nachdenkens, ob sie das Kind nun behalten oder weggeben wolle.

An diesen Vorschlag erinnert die gegenwärtige Rechtslage in der Bundesrepublik: Einzig per Adoption darf nach westdeutschem Kindschaftsrecht ein Baby von der Leihmutter auf die Wunschmutter übertragen werden; frühestens acht Wochen nach der Geburt kann die Frau, die das Kind geboren hat, ihre Bereitschaft dazu erklären.

»Der Fall des Baby M.«, so die führende deutsche Leihmutter-Juristin, die Hamburger Rechtsprofessorin Dagmar Coester-Waltjen, sei nach deutschem Recht »praktisch ausgeschlossen«. Ein gesetzlicher Handlungsbedarf, meint die Familienrechtlerin, bestehe für solche Fälle nicht: »Der Staat soll sich da raushalten.«

Bisher sind in der Bundesrepublik nur vereinzelte Fälle von Leihmutterschaft bekannt geworden, die Rede war von Honoraren bis zu 30000 Mark. In aller Öffentlichkeit agierende Vermittlungspraxen, von denen es in den USA schon mehr als ein Dutzend gibt, waren jedoch in Deutschland schon nach geltendem Recht kaum denkbar und wohl auch nicht rentabel: Bis zur Adoption, die das Jugendamt genehmigen muß, bleibt das Baby, mag auch vertraglich vereinbart sein was will, das Kind der Leihmutter, in der Regel sogar kraft Gesetzes das eheliche Kind ihres Ehemannes.

Bundesdeutsche Politiker wollen die Barrieren dennoch erhöhen: »Kinder sind keine Ware«, ein »Geschäft mit Samen und Leihmüttern« müsse verhindert werden (SPD-Pressedienst); »wir wollen kein ,Laich-Gewerbe''« (so der bayrische Innenminister August Lang, CSU); Vereinbarungen über »Mietmütter« hätten den Charakter eines »ethisch verwerflichen Kinderkaufs« (so die baden-württembergische Landesregierung) - in dem Referentenentwurf aus dem Hause Süssmuth soll nun zumindest die »Gewährung« oder »Annahme« von Geldzahlungen oder »sonstigen Vermögensvorteilen« für die Einschleusung des Samens von einem fremden Mann (heterologe Insemination) unter Strafe gestellt werden. Überprüfbar wären solche Vorschriften kaum. Die heterologe Insemination kann stets als Seitensprung, als ganz normaler Beischlaf getarnt werden; Geldzahlungen, gibt die Professorin Coester-Waltjen zu bedenken, könnten als Unterhaltszahlungen des Wunschvaters an die Mutter seines nichtehelichen Kindes ausgegeben werden.

Die direkte Entlohnung einer Leihmutter, so eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm, stelle ohnehin einen »grundlegenden Verstoß gegen die Rechts- und Sittenordnung« dar, die Auftraggeber können das Geld zurückfordern.

Der amerikanische Versuch dem Leihmuttergeschäft das Anrüchige dadurch zu nehmen, daß der physische Kontakt mit dem Samengeber, daß jede Art von Sexualität ausgeklammert bleibt, macht die Maschinenhaftigkeit des Unternehmens nur noch deutlicher. »Den Körper einer Frau zu mieten, ein Kind zu verkaufen«, schrieb die amerikanische Romanautorin Lois Gould, das ist der eigentliche Schrecken, das ist die wahre Obszönität.«

Daß Samen, Eizellen und die Austragung eines Kindes über neun Monate käuflich sind wie Taschentücher, Zigaretten oder eine Autoreparatur, will den wenigsten als »Fortschritt« erscheinen - es ist nur eine weitere Station auf dem Weg zur totalen Warenwelt. »Mutterschaft«, so die amerikanische Feministin Andrea Dworkin, »wird ein neuer Zweig weiblicher Prostitution, und zwar mit Hilfe von Wissenschaftlern.«

Gestützt auf die Errungenschaften der modernen Reproduktionsbiologie, entsteht ein neuer Unternehmenszweig des medizinisch-industriellen Komplexes. Besessene Wissenschaftler, aber auch geschäftstüchtige Frauenärzte und Anwälte sind dabei, Huxleys »Brave New World« lange vor dem ominösen Jahr

»632 nach Ford« Wirklichkeit werden zu lassen - Leihmütter sind nur ein Schritt auf diesem Weg.

Schon leben in der Bundesrepublik einige hundert, weltweit einige tausend Kinder, die »extrakorporal«, als Retortenkinder gezeugt wurden. Die - buchstabliche - Eiseskälte, die Geschäftigkeit und menschenferne Sterilität, die dieser Variante ärztlichen Tuns anhaftet (siehe Seite 258), ist stets mit dem scheinbar unanfechtbaren Alibi versehen, es werde doch nur unglücklichen, weil unfruchtbaren Ehepartnern geholfen.

Dieser Vorwand des Heilen-und-helfen-Wollens wird wohl auch herhalten müssen, wenn Gentechniker und Mediziner noch weiter voranschreiten bei dem Versuch Babys nach Maß, Nachwuchs vom Reißbrett zu produzieren.

»Es ist der Fluch des Fortschritts, daß er nichts anderes tun kann als fortzuschreiten«, schrieb der austro-amerikanische Biochemiker und Essayist Erwin Chargaff. Schritt für Schritt und ohne nennenswerte Skrupel haben die Humanmediziner die in der Viehzucht schon erprobten reproduktionsbiologischen Techniken auf den Menschen übertragen, vom Absauggerät für befruchtungsreife Eier bis zum Thermosgefäß für tiefgekühltes Sperma. Nichts läßt darauf hoffen, daß die »genetische Bastelsucht« (Chargaff), die sich einstweilen noch bei Milch- und Schlachtvieh und im Tierexperiment austobt, dereinst vor dem Griff nach dem menschlichen Erbgut haltmacht.

Im Tierversuch ist der sogenannte Gen-Transfer schon vor Jahren geglückt: US-Forscher übertrugen das Wachstumsgen von Ratten- auf Mäuseembryos, die Nagetiere wuchsen zu Riesenmäusen heran. Das »Klonen« von Fröschen - die Herstellung genetisch absolut identischer Mehrlinge - ist längst Laboralltag.

Amerikanische Wissenschaftler, wie etwa der Mediziner Landrum Shettles, ein Pionier der Befruchtungstechnologie, halten auch die Herstellung menschlicher Klone für erlaubt und wünschenswert. Es sei, meint Shettles, nur eine Frage der Zeit, bis sich die Gesellschaft an den Gedanken gewöhnt habe. Sein Credo: »Wenn das Klonen von Menschen erst einmal möglich ist, wird es auch akzeptiert werden.«

Was die Aufhebung des natürlichen Zeugungsvorganges zwischen Mann und Frau anlangt, so sind ein halbes Dutzend weiterer Varianten entweder schon ausgeführt oder in naher Zukunft technisch machbar: *___Eine Leihmutter trägt einen im Labor gezeugten Embryo ____aus, der von einem fremden Elternpaar stammt. *___Eine Frau ohne Eierstöcke läßt sich ein im Labor ____befruchtetes Ei »spenden« und den Embryo bei sich ____einpflanzen. *___Die Frau eines zeugungsunfähigen Ehemannes wird mit dem ____Samen eines anonymen Spenders aus einer Samenbank ____befruchtet. *___Von »Eispenderinnen« abgesaugte Eier werden im Labor ____befruchtet, danach tiefgefroren und gelagert, bis ein ____Arzt sie zur Einpflanzung in eine kinderlose Frau ____abruft.

Nicht mehr nur Unfruchtbare werden sich in Zukunft dieser Möglichkeiten bedienen können, sondern auch solche Ehepaare, die »schlichtweg zu beschäftigt, zu faul oder zu ängstlich sind, die _(In einer Frauenklinik in Malmö. )

neun Monate von morgendlichem Übelsein und die Schmerzen der Geburt auf sich zu nehmen«, so der amerikanische Publizist William Safire: »''Eigenschwangerschaft'' wird, wie das Stillen, eine nette Sache sein, zu der man sich entschließt, wenn man Zeit und Neigung dazu hat.« Die Wahl haben nur Leute, die es sich leisten können.

Die Wissenschaft kommt solchen Wünschen entgegen. »Wir verstehen es immer besser, mütterliches Gewebe außerhalb des menschlichen Körpers zu kultivieren; der Zeitraum, währenddessen ein Embryo in der Petri-Schale weiterwachsen kann, ehe wir ihn in den Uterus pflanzen müssen, wird immer länger«, berichtete kürzlich Gary Hodgen, wissenschaftlicher Direktor an der Eastern Virginia Medical School in Norfolk, der Klinik, in der 1981 die erste In-Vitro-Fertilisation Amerikas gelang.

Gleichzeitig, so Hodgen weiter, komme die Wissenschaft auch vom anderen Ende her voran: »Wir sind jetzt soweit, daß Frühgeborene nach nur 22 Wochen Tragezeit und mit 700 Gramm Geburtsgewicht überleben, also schon nach nur der halben normalen Schwangerschaft.«

Innerhalb einer Generation, so sieht Hodgen voraus, »werden die beiden Forschungszweige zusammenwachsen« - die vollständige extra-uterine Schwangerschaft, die totale Maschinengeburt, wird dann Realität.

Nach der Geburt in der Klinik.Mit ihren Kindern Ryan und Tuesday.Hohlschnitt von Julius Schnorr von Carolsfeld (1794 bis 1872).In einer Frauenklinik in Malmö.

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