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»Mein Gott, was mache ich in der Politik?«

SPIEGEL-Redakteur Hans Hoyng über Widersprüche in der Persönlichkeit Ronald Reagans *
Von Hans Hoyng
aus DER SPIEGEL 47/1985

Von Larry Speakes, dem Pressesprecher des amerikanischen Präsidenten, sind fast flehentliche Appelle an das Washingtoner Journalisten-Korps bekannt, ihm, bitteschön, doch zu glauben, daß er in Ausübung seines Berufes kein pathologischer Lügner sei.

Doch, wenn er Unbestreitbares zu verkünden hat, wie vor dem Genfer Gipfel zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow, wird Speakes, 46, selbstbewußt und keck. Er freut sich daran, den oppositionellen Demokraten, die in der vergangenen Wahl nur noch einen einzigen Bundesstaat für sich erobern konnten, ihre Bedeutungslosigkeit vor Augen zu führen.

Die Unterstützung der amerikanischen Bürger für ihren Präsidenten und sein Programm sei, verkündete Speakes, so deutlich wie noch niemals seit dem Zweiten Weltkrieg, sei »tief und weitreichend - genau 49 Staaten tief und 65 Prozent weit«. So viele Amerikaner billigten in jüngsten Umfragen die Amtsführung. Traumzahlen sind das, neidvoll auch von Gegnern anerkannt.

Speakes weiter: Solche Popularität »erreicht man nicht mit einem Lied, einem Tanz und einem netten Lächeln«. Wirklich nicht?

Wenn es denn hilft, singt dieser Präsident (wie beim Staatsbesuch in Kanada, als er die Iren-Schnulze »When Irish Eyes Are Smiling« anstimmte); er tanzt (so legte er beispielsweise für eine Photo-Strecke im Schickeria-Magazin »Vanity Fair« mit Frau Nancy in großer Abendgarderobe Walzer aufs leere Parkett des Weißen Hauses); er lächelt (was geradezu sein Markenzeichen ist, dieses trotz seines Alters spitzbübische Lächeln).

Dabei kann Reagan bei den mittlerweile legendären »photo-ops« des Weißen Hauses noch sehr viel mehr: Küßchen geben, Händchen halten, neben lachen auch öffentlich weinen - und sogar kalkuliert. Die Frage, ob es angemessen sei, beim Besuch des Konzentrationslagers von Bergen-Belsen zu weinen, war Gegenstand ernsthafter Beratungen seiner Adjutanten.

Und er reißt Witze. Kaum ein Auftritt, kaum ein Interview oder eine Rede, die nicht zur Einstimmung, zum Anwärmen, zur Lösung von Spannungen, zum Entwaffnen von Gegnern mit einem kauzigen One-liner begännen. Und wenn einer gesessen hat, neigt er zu Wiederholungen: Daß er auf dem Genfer Gipfel »dem jungen Mann von der anderen Seite gern Ratschläge erteilen« würde, war im Prinzip der Witz, mit dem er im letzten Wahlkampf seinen Gegner Mondale entwaffnete.

So einem wie ihm kann man nicht böse sein.

Er will offenbar geliebt werden, darauf sind alle öffentlichen Auftritte abgestimmt: der Humor, die Bescheidenheit, die einfache, manchmal beschränkte Wortwahl (Kritiker sprechen von »babytalk"), die einlullende Stimme.

Und er wird geliebt. Die Person Ronald Reagans anzugreifen ist in den USA heute der sicherste Weg zu politischem Selbstmord. Er wird emphatisch geliebt, von namenlosen Republikanerinnen ebenso wie von kalten Polit-Profis.

Reagan-Auftritte vor Massen geraten zu kollektiven Liebesfesten. Niemals deutlicher als an jenem Abend auf dem letzten Parteikonvent in Dallas, als Nancy auf dem Podium, stellvertretend für die ganze Nation, ihre Hände ausstreckte nach dem Mann, der hoch über ihr auf einer Leinwand erschien. Da tobten die Delegierten vor Begeisterung.

Daß sie ihn lieben, ist klar; weniger klar ist den Amerikanern auch im fünften Jahr seiner Amtszeit, wen sie da lieben. Und den Sowjets dürfte um so weniger klar sein, wer ihnen da so sehr zusetzt.

Als sich Ende August in New Orleans prominente Politik-Professoren zu einem Symposium trafen, um über den Präsidenten zu reden, beschrieben sie scheinbar verschiedene Männer.

Professor Michael Rogin aus Berkeley zeichnete einen alternden Schauspieler, der seine Filmphantasien auslebt. Sein Kollege Larry Berman vom Davis-Campus der Universität Kalifornien sah den Präsidenten als »erfolgreichsten politischen Führer seit Franklin Roosevelt«.

Ganz anders dagegen Stephen Wayne, Fakultätsmitglied der hauptstädtischen George-Washington-Universität. Er wunderte sich, wie es passieren könne, daß ein Mann, der »so wenig auf politische Detailfragen achtet, so ignorant in Sachfragen ist, im politischen Washington als so erfolgreich angesehen werden kann.«

Norman Thomas von der Universität Cincinnati bewunderte »die Meisterschaft«, mit der Ronald Reagan den Kongreß beherrscht, sieht ihn aber gleichzeitig als Hauptursache für Fehler und Versäumnisse der amerikanischen Finanz- und Abrüstungspolitik. »Mein Urteil«, resümierte er, »ist schizophren.«

Nicht einmal Henry Kissinger blickt voll durch: »Ronald Reagan ist ein sehr merkwürdiger Politiker. Er ist gewiß kein Intellektueller ... Er macht häufig Vorschläge, die aus theoretischer Sicht unbefriedigend sind, aber zugleich sind diese Vorschläge sehr oft richtig.«

Sogar Übernatürliches wird beschworen. Der »Reagan-Zauber« gerät zur Beschwörungsformel einer hilflosen Presse, die öffentliche Anbetung eines Idols registrieren muß, das aber aus der Nähe betrachtet Anzeichen von Senilität zeigt.

Reagan-Helfer haben schon Elektrokabel aus der Wand gezogen, wenn ein

Fernseh-Interview des Präsidenten in unzusammenhängendes Gestammel mündete. Leibwächter haben Journalisten auf Distanz gehalten, nur weil ihr Mann Antworten gab, obwohl er von dem betreffenden Problem keine Ahnung hatte.

Nur in vorsichtigen Dosierungen, aufgelockert durch Filme und Videos, haben ihn seine Berater zur Vorbereitung auf den Gipfel mit Fakten gefüttert - aus Angst, Reagan könne sie durcheinanderbringen. Und trotzdem, etwa wenn der Präsident behauptet, es gebe im Russischen kein Wort für Freiheit, unterliefen ihm bereits die ersten Fehler. Die werden anderntags von Speakes als »präsidentielle Ungenauigkeit« abgetan. The King can do no wrong.

Wenige Wochen vor dem Gipfel widmete die »New York Times«, die Titelgeschichte ihrer Sonntagsbeilage der Geistesverfassung ihres Präsidenten und kam zu dem Schluß: »Widersprüchlich«, aber »wirksam«. Selbst seine engsten Mitarbeiter, so berichtet der sicherheitspolitische Fachmann der »Times«, Leslie Gelb, halten ihn nicht für einen Geisteshelden und sind doch immer aufs neue überrascht über den Erfolg des Präsidenten.

Drei seriöse Erklärungsversuche des »Reagan-Phänomens« haben sich in den USA nach fast fünf Jahren herauskristallisiert. Da ist zunächst Reagan, der zynische Opportunist.

Dem Publikum, jedem Publikum, rede er nach dem Mund; er sorge dafür, daß seine Zuhörer ihre Kümmernisse bei ihm bestens aufgehoben wähnen - und schere sich im übrigen einen Teufel darum. Das reiche vom Privaten bis in die Weltpolitik.

Vor allen möglichen Auditorien predigt der Politiker Reagan Gottesfurcht. Doch der Privatmann sei nur sehr schwer bei irgendeiner Glaubenshandlung zu überraschen, er besuche keine Kirche in Washington, er arrangiere kaum Gottesdienste im Weißen Haus.

Der Politiker Reagan wird nicht müde, die Tugenden einer gesunden Familie zu preisen. Doch der Privatmann halte zu seinen Kindern eher gespannte Distanz.

Da gibt es einen Reagan, der seit mehr als 20 Jahren in fast unveränderten Worten für Schulgebet, Abtreibungsverbot und eine Reduzierung der Staatsausgaben eintritt. Und es gibt einen Reagan, der als Gouverneur von Kalifornien Abtreibungen möglich machte und der als Präsident verantwortlich ist für das größte Haushaltsdefizit der US-Geschichte.

Die Litanei seiner Widersprüche ließe sich endlos fortsetzen, sie würde immer gipfeln in dem größten Widerspruch von allen: Der glühende Prophet, der Amerikas Rechte auf den Beginn eines Neuen Zeitalters hoffen ließ, der persönlich die »Zweite Amerikanische Revolution« ausrief, macht im Grunde ganz altmodisch republikanische Politik.

Weniger Steuern für die Reichen, weniger Regierungshilfe für die Armen, weniger Unterstützung für Unterprivilegierte im Namen von Chancengleichheit für alle, weniger Auflagen für die Industrie, weniger Interesse an der Umwelt, das alles unter der immer wieder erprobten Rhetorik von »harter Arbeit, Liebe zur Familie, Gottesfürchtigkeit und Patriotismus«, dem Reagan durch die größte Aufrüstung in Friedenszeiten huldigt - nicht gerade ein neues Programm.

Reagan also als Politiker wie gehabt? Doch dabei jemand, der so tut, als wäre er kein herkömmlicher Politiker, der noch im fünften Jahr seiner Amtszeit auf die Washingtoner Politmaschinerie schimpft, als wäre er nicht längst Teil von ihr und der gerade deswegen ein so erfolgreicher Politiker ist.

Auch das ist in der amerikanischen Politik nichts Neues. Alexis de Tocqueville, erster Biograph der amerikanischen Demokratie, hat bereits ähnliches beobachtet. Amerikanische Politiker, schrieb er vor 150 Jahren, gewännen Regierungsmacht »durch das Versprechen, sie zu schwächen«.

Die zweite Betrachtungsweise stellt Ronald Reagan vornehmlich als Ideologen dar. Wenn er nur könnte, wie er wollte, so lautet diese These, er würde jeden seiner Sätze wahr werden lassen. Er sei im tiefsten ein Extremist, vor allem in bezug auf den Abbau von Regierungsmacht und in seiner antikommunistischen Außenpolitik, die ihre missionarischen Züge nicht ablege.

In der Sowjet-Union hat für ihn jener Moloch Gestalt angenommen, der das Leben seiner Bürger bis in kleinste Einzelheiten reglementiert. Außenpolitik, weitgehend synomym mit Antikommunismus, ist für Reagan die Fortsetzung seines innenpolitischen Dogmas mit anderen Mitteln.

Ganz offen nimmt eine solche Politik pseudoreligiöse Züge an und wird damit zum Replay der 50er Jahre: Damals hatten protestantische Fundamentalisten _(Beim Parteitag der Republikaner wird ) _(Reagans Bild vom Hotel auf eine Leinwand ) _(im Kongreßsaal übertragen. )

eine religiöse Erklärung für den Kalten Krieg geliefert: Nicht zwei Staaten versuchten, ihre Interessen weltweit durchzusetzen, sondern zwei Systeme kämpften gegeneinander, in denen sich Gott und der Teufel verkörperten.

30 Jahre später haben Fundamentalisten wieder einen in Relation zur Zahl ihrer Anhänger unangemessen großen Einfluß auf das politische Leben der USA. Pfarrer Jerry Falwell, Chef der »Moralischen Mehrheit«, befand, die USA seien »der einzige logische Ausgangspunkt für die Evangelisierung der Welt«. Ronald Reagan glaubt fest daran. Weil für ihn die USA Züge eines Gottesstaates tragen, ist die Sowjet-Union logischerweise »das Reich des Bösen«. Er kann gar nicht anders.

In seiner Antrittsrede zu Beginn seiner zweiten Amtszeit sagte er: »Das ist der Klang Amerikas: hoffnungsvoll, großherzig, idealistisch, wagemutig, anständig und fair. Gott ... der Schöpfer dieses Liedes ... hat uns aufgerufen, diesen Traum einer wartenden und hoffenden Welt weiterzugeben.« Das Lied, das Ronald Reagan da beschwört, ist ein altes Lied und heißt - unübersetzbar - »Manifest Destiny«.

Es ist das Bewußtsein, das auserwählte Volk Gottes der Neuzeit zu sein. Es gibt wenig, was in der Außenpolitik der Vereinigten Staaten so konstant war wie dieses Bewußtsein. »Wir sind ein Land«, erklärte Anfang des letzten Jahrhunderts Präsident Andrew Jackson, »das vom Allmächtigen zu einem Schicksal bestimmt wurde, um welches das griechische und römische Reich in ihrer Blüte uns beneidet hätten.«

Diese angebliche Berufung führt immer wieder dazu, auch nebensächlichste politische Ereignisse unter endzeitlichen Gesichtspunkten zu betrachten und hat den »paranoiden Stil amerikanischer Politik« geprägt, wie der Historiker Richard Hofstadter schrieb: Der jeweilige Feind Amerikas ist nicht eingebunden in historische Zwänge, sondern »er ist eine freie, aktive, dämonische Kraft. Sie bestimmt und produziert erst die Mechanismen der Geschichte«.

Das dritte und derzeit gängigste Reagan-Bild versucht den Widerspruch zwischen zynischem Politiker und sendungsbewußtem Ideologen in seiner Person zu erklären, eine Analyse, die selten schmeichelhaft für den Präsidenten ausfällt: Reagans simple Sicht der Dinge, seine Weltaufteilung in Gut und Böse, Nützlich und Schädlich sei einzig seiner banalen persönlichen Lebenserfahrung entnommen.

Der Mann ist 74, er hat alles schon einmal erlebt, gesehen, gelesen, aufgeschnappt, irgendwo, und bringt es an den Mann, so wie er es erlebt, gesehen, gelesen, aufgeschnappt hat. »Er denkt anekdotisch, nicht analytisch«, schrieb die »New York Times«.

Gegner und Freunde hat er genervt mit seinem Hang zum Geschichtenerzählen. Kein politisches Problem, das nicht in einer Anekdote Platz hätte.

Sozialhilfe? Da ist der namenlose junge Mann, der mit seinem Lebensmittelgutschein eine Apfelsine einkauft und sich vom Wechselgeld eine Flasche Wodka besorgt. Verhandlungsstrategien mit den Sowjets? Reagan erzählt von seiner Zeit als Präsident der Schauspielergewerkschaft. Da sei er mit Kommunisten ganz einfach fertig geworden. Punktum, basta.

Ein ehemaliger Berater: »Wenn ich ihm erklärte, irgend etwas sei wahrscheinlich oder unwahrscheinlich, so war das für ihn noch lange nicht überzeugend, weil sein Leben voller Unwahrscheinlichkeiten steckte, die sich trotzdem verwirklicht hatten. Für ihn hat es sich ausgezahlt, angesichts des Unwahrscheinlichen optimistisch zu bleiben.«

Er selbst ist eine »All-American Story": Der Sohn eines ewig bankrotten, alkoholkranken Schuhverkäufers wird Präsident der USA und Amerikas größter Geschichtenerzähler: immer hart an der Wirklichkeit und immer dicht an ihr vorbei.

Läßt sich also Ronald Reagan aus seinem Leben erklären? Wie weit darf man dabei zurückgehen?

Da spielt der Hollywood-Schauspieler Ronald Reagan 1940 in einer Im-Dutzend-billiger-Produktion einen Geheimagenten namens Brass Bancroft, der fliehenden Spionen auf der Spur ist. Zum dramatischen Dollpunkt haben sich die beiden Schurken in ein Flugzeug gerettet, der Verfolger sieht sie entschwinden.

Natürlich ist die Schlacht noch nicht verloren. Brass Bancroft »aktiviert« einen mysteriösen »Trägheitsprojektor«, der, so wird es im Film beschrieben, »Amerika im Krieg unbesiegbar macht und deshalb die größte Friedenswaffe ist, die je erfunden wurde«. Das Flugzeug, von den Strahlen getroffen, erstarrt am Himmel wie festgenagelt. Dann fängt es Feuer und stürzt ab.

Ist das die Geburtsstunde von SDI?

Wohl nicht, aber: Hat etwa die Beharrlichkeit des Präsidenten, mit der er am SDI-Konzept festhält, über den notwendigen Verhandlungspoker hinaus auch damit zu tun, daß unmerkliche Übergänge von dramatisierter, vorgeblicher Realität (wie sie in Hollywood-Filmen stattfindet) zu politischer Wirklichkeit eine Spezialität seines Lebens sind?

Das zeigte sich niemals deutlicher als bei jenem Attentat, dem er am 30. März 1981 beinahe erlegen wäre:

John Hinckley, ein verwirrtes, verwöhntes Kerlchen, dem die Liebe seiner angebeteten Filmschönheit versagt blieb, nimmt einen Film zum Modell seiner Schüsse auf den Schauspieler-Präsidenten. Am nächsten Abend feiert Hollywood die Oscar-Verleihung. Und während sich der Präsident in Washington nur mühsam von seiner schweren Operation erholt, sehen die Stars und mit ihnen die Nation eine bereits vorher aufgenommene Ansprache, in der Ronald Reagan verkündet: »Der Film ist ewig.«

Zufall sicherlich, doch die Symbiose von Film und Leben wird und wurde von Reagan auch aktiv gefördert - schon während des Zweiten Weltkrieges. Der

Filmschauspieler, abkommandiert zur Armee, darf seinen Dienst in Hollywood verrichten. Dort haben Bühnenbildner ein Modell von Tokio erstellt, liebevoll, realistisch bis ins kleinste Detail. Aufnahmen von diesem Modell werden mit Aufnahmen von echten Fliegerangriffen unterschnitten.

Ronald Reagan übernimmt den Part eines Sprechers in diesen Ausbildungsfilmen und schildert stolz, daß er in diesen Filmen stets das letzte Wort hatte, in mehr als nur einem Sinn. Er war es, der sagen durfte: »Bombe los!«

40 Jahre später, bei dem berühmtesten seiner Mikrophontest-Scherze, ahnt man konsequente Fortschreibung seiner Biographie, den gleichen Spaß an einer Omnipotenz, die Gott sei Dank wirkungslos bleibt: »Wir beginnen die Bombardierung Rußlands in fünf Minuten.« Es ist wie damals, wahr und unwahr zugleich.

Über seine Auseinandersetzungen mit den Kommunisten berichtet der Western-Star 1948 vor der Rotariern in Los Angeles: »Wir haben unsere kleinen roten Brüder gnadenlos bekämpft.« Wen bitte? Der Cowboy die Indianer oder der Gewerkschafter die Kommunisten?

Klar zu trennen ist das alles nicht.

Reagan, der Präsident, hat (schamlos - oder auch nur, weil die Film-Realität Vorgänge eingängiger auf den Punkt brachte) Rückgriffe auf Hollywood von je geliebt. Als nach dem Attentat seine Frau im Krankenhaus zu ihm kam, brachte er mit einem tapferen One-liner das Herz der Nation zum Schmelzen: »Liebling, ich hab'' vergessen, mich zu ducken.« Der Satz entpuppte sich als ein Zitat aus einem Film über den Boxer Jack Dempsey.

Als er 1984 in der Normandie über amerikanische Soldatengräber geht, fragt er gerührt: »Wo finden wir solche Männer?« Die Frage stammt aus dem Film »Die Brücken von Toko-Ri«.

Wenn er Gegnern, im Kongreß etwa, ein herausforderndes »Make my day« zuruft (etwa: »Los doch, darauf hab'' ich nur gewartet"), zitiert er Clint Eastwoods Dirty Harry, einen jener »tough guys«, die ohne und notfalls gegen das Gesetz für Gerechtigkeit sorgen. Seelenverwandtschaft wird spürbar.

In jüngster Zeit ist Clint Eastwood durch einen neuen Helden ersetzt worden, Sylvester Stallone. Als Reagan, aus seinem Sommerurlaub zurück, sich einem widerspenstigen Kongreß gegenübersah, forderte er sich Beifall bei seinen Wählern mit den Worten: »Im Geiste Rambos, diesmal werden wir siegen.«

Filmdramaturgie beherrscht noch immer seine Wahrnehmung, erklärt seinen Erfolg. »Wie vielleicht kein anderer Politiker«, schreibt die »New York Times«, »verkörpert er das Amerika des 20. Jahrhunderts - Radiosprecher, Filmstar, Fernsehansager ... Es war eine Ära der Kommunikation, der Symbole; die Illusion hat eine zentrale Rolle in unserem täglichen Leben eingenommen - ist realistischer geworden als die Realität.«

In diesen Tagen läuft im Fernsehen der Hauptstadt ein kurzer Werbespot, den die »Koalition für die Strategische Verteidigungsinitiative« bezahlt. Man sieht eine kindliche Kreidezeichnung: Mama, Papa, Baby, Haus und Hund und eine gelbe Sonne.

Ein kleines Mädchen erzählt im Off: »Ich habe meinen Daddy gefragt, was all dieses Star-Wars-Zeug zu bedeuten hat. Er hat gesagt: ''Im Augenblick können wir uns nicht gegen Atomwaffen schützen, und deshalb will der Präsident einen Friedensschild bauen.''«

Bei diesen Worten wird auf der Zeichnung ein Bogen sichtbar, der die idyllische Szene und sogar die Sonne überspannt. Das Mädchen fährt fort: Dieser Schild »hält die Raketen im All auf, damit sie nicht auf unser Haus fallen«.

Von oben erscheinen kleine braune Raketen, die vom Bogen abprallen und zerstört werden. Das kleine Mädchen: »Dann kann keiner einen Krieg gewinnen, und wenn keiner einen Krieg gewinnen kann, gibt es keinen Grund, einen anzufangen.«

Das sieht sogar der Friedensschild ein und verwandelt sich in einen Regenbogen, die Sonne lacht.

Das ist Reagans Amerika. Politik wird in Symbolen abgehandelt.

Reagan hat dabei vor allem der verwundeten amerikanischen Seele geholfen, in den Niederungen praktischer Politik wirkt er oft hilflos. Ein Mitglied der Scowcroft-Kommission, die Empfehlungen für die strategische Rüstung der USA ausarbeiten sollte, über Reagan: »Seine Beteiligung an den Sitzungen ging nie über das hinaus, was Sicherheitsberater McFarlane ihm zu sagen aufgegeben hatte. Er verstand nicht, was wir mit unseren strategischen Programmen und mit Rüstungskontrolle erreichen wollten. Er begriff lediglich, daß unsere Empfehlungen ein Weg waren, die MX-Rakete zu bekommen.«

Die hat er auch gekriegt. Auf seinem Schreibtisch steht eine kleine Tafel mit den Worten »It CAN be done«.

Vieles konnte getan werden, vor allem in seiner ersten Amtszeit. Neben instinksicheren aber - im Wortsinn - unbedachten Entscheidungen hat Reagan oftmals unverschämt Glück gehabt. 241 tote Marines in Beirut wurden wenig später aufgewogen durch den Sieg auf Grenada. Die Entführung des Schiffes »Achille Lauro« bot ihm die Möglichkeit, sich als erfolgreicher Terroristenjäger zu bestätigen.

Der Zufall half - für ihn ein verläßlicher Gehilfe. »Mir hat er einmal geschildert, wie er durch Zufall in die Politik geriet«, berichtet ein ehemaliger Berater.

Der Präsident habe sich gefragt: »Mein Gott, was mache ich denn in der Politik? Die Sachen, die ich bisher getan habe, lagen meilenweit entfernt. Aber dann dachte ich, daß Schauspielerei und Rollendarstellung ein wichtiger Teil der Politik seien. Und da kannte ich mich aus.« _(Auf der Kommandobrücke des ) _(Flugzeugträgers »Constellation«. )

Beim Parteitag der Republikaner wird Reagans Bild vom Hotel auf eineLeinwand im Kongreßsaal übertragen.Auf der Kommandobrücke des Flugzeugträgers »Constellation«.

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