»MEINE SEELE IN SEINER GEWALT«
Die Frau, die bei der Hamburger Kriminalpolizei erscheint, ist teuer gekleidet, mit jenem zurückhaltenden Chic, der in den besten Kreisen der Hansestadt üblich ist. Unter den Textilien aber verbirgt sich ein Körper voller Narben und Striemen, manche frisch, manche fast verheilt. Und was Anna Weiß* über ihren Psychotherapeuten Stephen Peters* zu Protokoll gibt, klingt überhaupt nicht hanseatisch fein. _____« Ich weiß, daß er mir befahl, mich ganz schnell » _____« auszuziehen. Das tat ich auch. Ich mußte mich dann auf » _____« das Bett legen, auf den Rücken. Meine Handgelenke wurden » _____« einzeln rechts und links an dem Kopfende des Messingbetts » _____« mit violetter und schwarzer Kordel festgebunden. Nachdem » _____« Dr. Peters sich ganz schnell entkleidet hatte, kniete er » _____« sich über meinen Körper, schlug wiederholt, vermutlich » _____« mit einem Rohrstock oder einer Reitgerte, überall auf » _____« meinen Körper ein . . . Ich fühlte mich als richtiges » _____« Objekt . . . Gegen Morgen wurde dann gebadet. » _____« Anschließend ging es wieder in die Betten. Ich wurde dann » _____« wieder geschlagen . . . Es kam dann auch zum » _____« Geschlechtsverkehr zwischen uns. »
Drei Tage lang schildert die Frau den Ermittlern, wie ihr Arzt und Therapeut sie allmählich abhängig gemacht und sexuell mißbraucht hat. Als sie alles erzählt hat, ist sie erschöpft, halb zerstört und doch stolz auf sich selbst, weil sie sich endlich nicht mehr nur als Opfer fühlt. Der Mann soll büßen: So jemand, findet sie, »gehört hinter Gitter. Und praktizieren darf er nie wieder«.
Irrtum. Gegen 5000 Mark Buße stellen die Richter des Hamburger Landgerichts das Verfahren gegen den Therapeuten ** »Schreie lautlos. Mißbrauch in Therapien«. _(Herausgegeben von Traute Hensch und ) _(Gabriele Teckentrup. Kore Verlag, ) _(Freiburg; 256 Seiten; 35 Mark. * Namen ) _(von der Redaktion geändert. ) ein. Das erspare der Geschädigten »außerordentlich belastende Vernehmungen, die zudem mit der Gefahr einer erheblichen Bloßstellung in der Öffentlichkeit verbunden wären«.
Der Arzt und Therapeut Peters, Internist mit Zusatzausbildung für Psychotherapie, verliert zwar die Zulassung, darf aber schon ein Jahr nach dem Verfahren wieder unter Aufsicht in einer Klinik arbeiten. Das Beweismaterial wird zu den Akten gelegt, die rund 100 Fotos von gefesselten und gequälten Frauen verschwinden im Archiv - der Fall scheint erledigt.
Doch nun, sechs Jahre nach der Einstellung des Verfahrens, entwickelt die Sache der Anna Weiß neue Dynamik. Im September erscheint das Buch »Schreie lautlos"**, in dem ihr Fall und das Schicksal einer anderen Peters-Patientin dokumentiert wird - und es ist geeignet, auch in der Bundesrepublik die Debatte über ein Thema voranzutreiben, das in den USA schon einen ganzen Berufsstand ins Zwielicht gebracht hat: der Mißbrauch von Patientinnen durch Psychotherapeuten.
Meist ist die Gewalt nicht so offensichtlich wie im Fall des Hamburger Therapeuten, wird der Übergriff als Liebesbeziehung verklärt. Doch hinter erotischen Beziehungen zwischen Seelendoktor und Patient, die in Kino-Filmen wie Woody Allens »Zelig« glücklich enden, verbirgt sich in Wirklichkeit fast immer eine perfide Ausnutzung therapeutischer Macht. Die Helfer mißbrauchen jene Intimität, die bei der Behandlung entsteht, zur Befriedigung ihrer sexuellen Lust.
Es ist ein Unrecht fast ohne Risiko. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Tat geahndet wird, ist gering: Im Strafgesetzbuch fehlt ein Paragraph, der sie unmißverständlich verbietet. Zwar hat Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mehrfach versichert, Bonn wolle sich darum kümmern, doch Entwürfe gibt es dort bisher nicht.
Erst jetzt, da mißbrauchte Frauen den Mißstand öffentlich machen, entdecken Politiker und Therapeuten Handlungsbedarf. Am Dienstag kommender Woche will der Hamburger Senat eine Bundesratsinitiative beschließen, die Psychotherapeuten bis zu fünf Jahren Haft androht, wenn sie »sexuelle Handlungen an einer Person vornehmen, die sich ihrer Hilfe als Patient anvertraut« hat. Der Freiburger Psychoanalytiker Johannes Cremerius ruft »Alarm. Staatsanwalt« (siehe Seite 204).
Die Folgen solcher Taten sind, wie der Gießener Psychosomatik-Professor Christian Reimer sagt, eine »Katastrophe für die Patientin«. Sex mit dem Seelenarzt, weiß die Frankfurter Verhaltenstherapeutin Irmgard Vogt, ist »infam wie Inzest«.
Die zerstörerische Kraft der Affären hinterläßt die Opfer verzweifelt, innerlich zerrissen, voller Schuld- und Schamgefühle, in tiefer Angst vor der Umwelt; »Selbstmordgedanken«, weiß die amerikanische Psychologin Rina Fulman aus ihrer Arbeit, »sind völlig normal«. Und ganz besonders häufig benutzen die Täter solche Frauen, die bereits in der Kindheit mißbraucht worden sind - Frauen, sagt die Zürcher Psychoanalytikerin Ursula Wirtz, »die nie gelernt haben, nein zu sagen, oder erfahren haben, daß ihr Nein nichts wert ist«.
Die Folgen sind traumatisch, das bestätigen die Berichte therapiegeschädigter Frauen. Beate aus Düsseldorf etwa leidet unter chronischer »Angst vor Vergewaltigung«, fürchtet ständig, zusammengeschlagen zu werden. »Die Folgen sind schlimmer als der Mißbrauch«, schreibt Gisela aus Berlin. »Alles ist kaputt, dunkel«, berichtet Ingeborg aus München, »nur die Schreie bleiben.«
Mißbrauch durch den Therapeuten gleicht einer Vergewaltigung, die psychische Kontrolle statt körperlichen Zwang einsetzt. Sie habe sich »freiwillig fesseln lassen«, sagt Anna vor der Kriminalpolizei. In ihrer »völligen Abhängigkeit, Hörigkeit«, sei der Gedanke an Widerstand nicht mehr möglich gewesen: »Der Mann hatte meine Seele in seiner Gewalt.«
Es gibt viele Annas. Allein 160 Frauen haben dem Freiburger Kore Verlag ihre Fallgeschichten geschickt, nachdem dort vor vier Jahren ein erster Erfahrungsbericht einer mißbrauchten Frau erschien*. Wie stark »der Schattenaspekt unseres Berufs« (Wirtz) allerdings genau ist, liegt im dunkeln.
Bei einer Befragung von Drogenberatern stieß die Verhaltenstherapeutin Vogt auf »schockierende Resultate": Jeder dritte wußte aus Berichten von Klientinnen über Helfer Bescheid, die zu weit gegangen waren. Auf einem Therapeuten-Kongreß mit etwa 120 Teilnehmern, berichtet die Psychoanalytikerin Wirtz, sei danach gefragt worden, wer Kollegen kenne, die sexuelle _(* »Verführung auf der Couch«. Anonyma. ) _(190 Seiten; 20 Mark. ) Beziehungen mit einer Klientin unterhielten. Rund 100 hoben die Hand.
Von 138 Verhaltenstherapeuten, die in einer Studie der Hamburger Forscherinnen Eva Arnold und Antina Retsch befragt wurden, waren mehr als die Hälfte der Meinung, man dürfe der Patientin sagen, sie sei sexuell attraktiv; ein Viertel fand, der Therapeut dürfe der Klientin ruhig mitteilen, daß er sie begehre. Rund zehn Prozent hielten sexuelle Kontakte für erlaubt.
Anders als in den USA gibt es in Deutschland noch immer keine repräsentative Studie über Mißbrauch in der Therapie. Die wenigen verfügbaren Hinweise indes bestätigen Erkenntnisse aus Übersee. Fachleute wie der Psychoanalytiker Reimer halten die US-Studien für »durchaus übertragbar«.
Und die bieten ein düsteres Bild. Zwei Drittel aller Befragten gaben in einer Untersuchung an, sie hätten schon Patientinnen behandelt, die in der Therapie mißbraucht worden waren. Bis zu 15 Prozent der Therapeuten gaben mindestens einen sexuellen Kontakt mit einem Klienten oder einer Klientin zu - die Dunkelziffer dürfte erheblich sein.
In 80 bis 90 Prozent der Fälle sind die Täter männlich, die Opfer Frauen. Und keine therapeutische Richtung ist offenbar gegen die Versuchung gefeit. Ob Psychoanalytiker, ob Verhaltens-, Gestalt-, Gesprächstherapeut: Übergriffe gibt es überall.
Die Täter sind selten Berufsanfänger, die der Versuchung nicht widerstehen können, sondern meist Profis mit umfangreicher Klinikausbildung und langer Berufserfahrung. Sie sind etwa zehn Jahre älter als ihre Patientinnen und verarbeiten oft ihre persönlichen Krisen, Scheidungen bespielsweise, auf Kosten der Frauen.
Und alle haben Ausreden: Als Opfer sehen sich die einen, von einer Klientin verführt. An wahre Liebe glauben andere und sind der Meinung, sie könnten gleichzeitig Liebender und Heiler sein. Schließlich gibt es jene Gruppe, die der Freiburger Psychoanalytiker Tilmann Moser so beschreibt: »verstrickte Therapeuten, die ihr Tun noch rechtfertigen und ihrem wildernden und marodierenden Penis Heilqualitäten zusprechen«.
»Ich weiß von Kollegen«, sagt der Frankfurter Psychotherapeut Martin Ehlert-Balzer, »die ihre Freundinnen ausschließlich aus ihrem Patientenkreis rekrutieren und nicht das geringste Unrechtsbewußtsein dabei haben.«
Dabei sind die Regeln des Berufsstandes eindeutig. »Eine Patientin darf verführerisch sein«, sagt der Harvard-Psychiater Thomas Gutheil, »sie darf sich ausziehen in der Sitzung, sie darf tun, was sie will.« Sie muß sich nicht an _(* In »Zelig«. ) Benimmvorschriften halten - wenn es zum Sex kommt, »dann hat ganz allein der professionelle Helfer die Schuld«.
Und diese Helfer müßten wissen, was sie tun. Unmißverständlich heißt es im Eid des Hippokrates ("zu Nutz und Frommen der Kranken"), der Arzt möge sich »enthalten aller Werke der Wollust an den Leibern von Frauen und Männern«. Nach wie vor gilt das Gebot, das der Urvater der Psychoanalyse, Sigmund Freud, erlassen hat: »Die Kur muß in der Abstinenz durchgeführt werden.«
Die Versuchung mag groß sein. Da ist die Nähe, die tiefe seelische Bindung der Hilfesuchenden an den Therapeuten. Doch der Umgang mit dieser »Übertragungsliebe« ist bei Freud eindeutig festgelegt: »Man behandelt sie als etwas Unreales«, stellt er klar, »als eine Situation, die in der Kur durchgemacht, auf ihre unbewußten Ursprünge zurückgeleitet werden soll und dazu verhelfen muß, das Verborgenste des Liebeslebens der Kranken dem Bewußtsein und damit der Beherrschung zuzuführen.«
Doch diese Regeln werden verletzt, seit es sie gibt. Schon Freuds Lieblingsschüler Carl Gustav Jung pflegte eine erotische Beziehung mit seiner Patientin Sabina Spielrein. »Sie bitte ich, jetzt nicht zu stark in die Zerknirschung zu gehen«, schrieb der Meister voller Verständnis an Jung. »Ich selbst bin nicht ganz so hereingefallen, aber ich war einige Male sehr nahe daran.«
Trost für den Täter, nicht für das Opfer - diese Einstellung hat sich als zählebig erwiesen. Daß es, umgekehrt, fast immer die Patientin ist, die auf den Helfer hereinfällt, wird von Freuds Nachfahren erst zur Kenntnis genommen, seit Frauen ihre Erfahrungen nicht mehr aus Scham für sich behalten.
Sie solle sich schon mal ausziehen, sagte der Analytiker in der ersten Sitzung zu der Berlinerin Manuela, »dann riß er sich die Hose runter und legte sich neben mich. Er hat mich überall gestreichelt, wirklich überall«.
Sie solle das nicht persönlich nehmen, sagte der Therapeut, als er fertig war. Er habe »ihre Funktionen getestet, auch den Orgasmus«, um zu sehen, wo sie »blockiert« sei. Keine Sorge, das sei alles »wissenschaftlich fundiert«.
Die meisten Täter gehen tückischer vor. Sie fand den Mann sympathisch, sagte die Freiburgerin Anke, er half ihr, er hörte ihr zu. Er bot ihr das Du an, »ich freute mich darüber«. Er wollte sie abends treffen, wollte zu ihr nach Hause; sie sagte ja.
Er wollte mit ihr schlafen, und sie tat es - »und wußte gleichzeitig, mein Gott, das geht nicht, das darfst du nicht tun«. Es war, erinnert sie sich später, »als hätte ich mit meinem Vater geschlafen«.
Beinahe unmerklich gleiten die Gespräche auf erotisches Terrain, entsteht diese »überhitzte Mechanik«, wie Analytiker Moser die Situation beschreibt - häufig angeheizt durch »schmierige Zweideutigkeiten«, die nicht sein dürfen, was die Patientinnen meist sehr wohl spüren. Und sie können doch nichts dagegen tun.
Sie hatte Angst, »diesen Mann zu verlieren, der mir so wichtig war«, erinnert sich die Kölnerin Ingrid, 42, Jahre später an diese »fürchterliche, ausweglose Situation« - »ich war mir ja auch nie sicher, ob der wirklich was von mir will«. Eine Frau, die sich wehren will, schreibt die Sozialwissenschaftlerin Claudia Heyne in ihrem Ratgeber für mißbrauchte Opfer**, »zahlt einen hohen Preis, denn sie muß ihre Liebe verraten«.
Ein schwacher Therapeut mag sich fahrlässig in dieser verhängnisvollen Sexualisierung der Beziehung verstricken. Andere, wie Annas Peiniger, nutzen ihre Macht - durch eine Gesprächsführung mit taktischem Plan, wohl inszeniert und durchkalkuliert, um zu dem Ende zu führen, das der Täter sich wünscht.
Anna Weiß gerät an ihren Therapeuten, weil sie nach 27 Jahren Ehe zum erstenmal einen Seitensprung gewagt hat und völlig durcheinander ist. Peters ist ihr von einer Bekannten aus dem Tennisklub empfohlen worden, er bewegt sich in den besten Kreisen, er kennt wichtige Leute in Hamburg, in Behörden, in der Kunstszene, in der Universität - Anna vertraut ihm.
Ihre Beschreibungen der Sitzungen mit Peters belegen sein zielstrebiges Vorgehen: _____« Schon an diesem Tag sah er mich immer sehr merkwürdig » _____« und interessiert von unten bis oben an, strich mir wie » _____« zufällig mit der Hand über den Kopf und sagte sinngemäß: » _____« »Sie sind wirklich schon 47? Sie wirken wie eine 18- bis » _____« 20jährige. Sie wollen jetzt alles nachholen, was Sie als » _____« junges Mädchen versäumt haben« . . . Schon bei diesem » _____« ersten Gespräch wurden von Dr. Peters immer wieder Fragen » _____« bezüglich der sexuellen Erlebnisse gestellt. »
Der Therapeut, gibt Anna bei der Kripo zu Protokoll, habe »auch das Bild des Mannes entworfen, der zu mir passen würde. Er meinte, der Mann müßte dominant, brutal und intelligent sein«. Annas Ehemann, den sie Peters als »weich« beschrieben hatte, fiel mithin als Sexualpartner aus. _____« Es wurde mir dann von ihm auch sogenannte » _____« Fachliteratur empfohlen. Er gab an, daß diese » _____« Fachliteratur meine Phantasien deutlicher machen könnte. » _____« Er meinte, daß er in diesem Punkt nicht so recht an mich » _____« heran- und weiterkäme . . . Als erstes wurde mir genannt » _____« »Belle de Jour«. In Gesprächen über dieses Buch fragte er » _____« mich, ob ich auch bereit sei, ein Doppelleben zu führen, » ** Claudia Heyne: »Tatort - Couch«. Kreuz Ver- _(lag; 260 Seiten; 28 Mark. * Oben: ) _(Catherine Deneuve, Filmpartner in »Belle ) _(de Jour«; links: Filmszene mit Corinne ) _(Clery; rechts: in der Wohnung des ) _(Therapeuten Peters. ) im Bordell tätig zu sein . . . Als zweites Buch habe ich gelesen, nach Empfehlung des Dr. Peters, »Die Geschichte der O«. Wenn ich das rückblickend betrachte, dann war dieses Buch für mich ein Schlüsselerlebnis . . . Obgleich ich die Bücher aus der Hand gab, war mir auch schon in meinem Inneren klargeworden, daß es für mich die Erfüllung bedeuten würde, nur noch die »O.« (Objekt) für einen Mann zu sein.
Der Therapeut hat die Macht über den Körper der Frau, über ihre Phantasien. Eine Beziehung zwischen beiden, brutal oder auch scheinbar zärtlich, wie es andere Patientinnen erlebt haben, kann niemals gleichberechtigt sein - es bleibt die Asymmetrie. Es bleibt eine verhängnisvolle Affäre.
Allerdings nur für die Opfer, die Täter sind kaum zu belangen. Denn Mißbrauchte erkennen oft erst lange nach der Trennung von ihrem Therapeuten, daß sie nicht geliebt, sondern benutzt wurden. Viele schweigen aus Scham. Und wenn sie dann reden, steht meist Aussage gegen Aussage.
Den Paragraphen 179 des Strafgesetzbuches, der »außereheliche sexuelle Handlungen« an »Widerstandsunfähigen« verbietet, wenden Richter bisher nicht auf die ambulante Therapie, sondern nur auf die stationäre Behandlung in der Psychiatrie an. Paragraph 174, der sexuelle Beziehungen mit Abhängigen unter Strafe stellt, schützt nur Minderjährige, nicht erwachsene Frauen.
Körperverletzung, worunter auch seelische Schäden fallen können, ist schwer nachzuweisen - denn wer zum Therapeuten geht, gilt ohnehin als labil. Wie also aufzeigen, daß die Verletzungen während der Behandlung entstanden sind und nicht davor? Und wem wird man glauben - dem selbstbewußten Helfer oder der verstörten, hilfsbedürftigen Frau?
Auch Anna Weiß ist sich bewußt, daß die Geschichte, die sie der Kripo schildert, fast unglaublich klingt. Später fragt sie sich, ob sie das »wirklich selbst gewesen sein kann«, die das alles mit sich machen ließ: »Wo war mein Stolz geblieben, mein Ich, meine Identität?«
Sie macht alles mit. Auszug aus dem Polizeiprotokoll: _____« Diese Treffen mit Dr. Peters auf dem Friedhof fanden » _____« am 28. November und Anfang Dezember statt . . . Wir » _____« fuhren in einen Seitenweg. Dort parkte er. Er hatte eine » _____« Flasche Sekt im Wagen, die wir austranken. Ich hatte » _____« Kuchen mitgebracht. Schon im Fahrzeug biß er mich und » _____« ging mir zwischen die Beine. Dabei muß ich noch erwähnen, » _____« daß ich auch keine Strumpfhosen mehr tragen durfte . . . » _____« Er machte dann den Vorschlag, noch spazierenzugehen. Als » _____« wir dort gingen, führte er mich, für meine Begriffe » _____« gezielt, zu einem dicken Baum. Er forderte mich auf, mich » _____« umzudrehen, so daß ich mit dem Rücken zu ihm stand . . . » _____« Ich mußte mich mit ausgestreckten Armen und gespreizten » _____« Beinen gegen den Baum drücken. »
Nur ein Zufall führt dazu, daß der Therapeut letztlich doch nicht unbehelligt aus seinen Affären entkommt. Anna Weiß trifft Danielle Goldmann*, eine damals 42jährige ehemalige Patientin von Peters, die mit ihm eine jahrelange _(* Name geändert. ) Affäre hatte und wie Anna gequält wurde. Dann lernt sie bei einer Gartenparty auch Wilhelm Funke kennen, einen Hamburger Rechtsanwalt, der auf medizinische Kunstfehler spezialisiert ist. Im Namen von Danielle - Annas Fall ist mittlerweile verjährt - strengt Funke eine Zivilklage gegen Peters an.
Und zum erstenmal gelingt es, dem Gericht begreiflich zu machen, was der Therapeut sich wirklich zuschulden kommen ließ: einen »schweren Behandlungsfehler«, der durch die Verletzung des ärztlichen Abstinenzgebots entstanden ist. Im Juli 1992 zwingt das Gericht den Therapeuten Peters, einem Vergleich zuzustimmen, der ein Schuldeingeständnis bedeutet. Er zahlt 25 000 Mark an Danielle.
Das soziale Klima hat sich geändert: Therapeuten, die zu Tätern werden, können nicht mehr automatisch auf Verständnis hoffen. In Hamburg hat die GAL-Abgeordnete Krista Sager für Öffentlichkeit gesorgt. Im November 1991, noch vor der Entscheidung in Danielle Goldmanns Zivilprozeß, konfrontierte sie den Senat in einer Großen Anfrage mit dem Fall Peters und der Tatsache, daß er auch noch für Verdienstausfall entschädigt werden sollte, weil die Gesundheitsbehörde ihm die Approbation nicht rechtzeitig zurückgegeben habe - in Sagers Augen »schlicht ein Skandal«.
Zwar vertrat der Senat in seiner Antwort die Ansicht, die Behörden hätten »diese Problematik mit den notwendigen Fachkenntnissen und der gebotenen Sensibilität fachgerecht behandelt«. Doch intern gab es Ärger: Die Staatsanwaltschaft stand unter Druck, ebenso die Gesundheitsbehörde, die sich wenigstens aufgerafft hatte, gegen das Entschädigungs-Urteil des Landgerichts Berufung einzulegen. Sie gewann in zweiter Instanz, Peters hat die geforderten 67 000 Mark nicht erhalten. Doch er praktiziert weiter als Internist.
Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) fand nachträglich, daß die rechtliche Situation unhaltbar sei, und gab den Entwurf für eine Bundesratsinitiative in Auftrag. Ein neu eingerichtetes Sonderdezernat der Staatsanwaltschaft, zuständig für medizinische Schadensfälle, soll künftig auch für Fehlverhalten in der Therapie zuständig sein - mit psychologisch geschulten Beamten, wie die Senatorin verspricht.
Sie sind nicht die einzigen, die Schulung nötig haben. 1987, mitten in Annas Strafrechtsverfahren, setzte sich ein Hamburger Lehranalytiker für den Kollegen Peters und dessen Wiederzulassung als Arzt ein. Der Mann sei »in großen seelischen Schwierigkeiten« und brauche schließlich das Geld.
An Einsicht, an Unrechtsbewußtsein mangelt es in der Branche noch immer. Und nach wie vor können sich die schwarzen Schafe der Komplizenschaft vieler Kollegen offenbar sicher sein.
Der amerikanische Psychiater Peter Rutter glaubt zu wissen, warum das so ist. Der Grund für das Schweigen sei nicht Unwissenheit oder Angst vor Folgen, sondern heimliches Verständnis: »Es ist, als seien die Männer, die das Tabu verletzen, Stellvertreter für die übrigen. Deshalb wollen sie auch insgeheim niemanden daran hindern.« Y
** »Schreie lautlos. Mißbrauch in Therapien«. Herausgegeben vonTraute Hensch und Gabriele Teckentrup. Kore Verlag, Freiburg; 256Seiten; 35 Mark. * Namen von der Redaktion geändert.* »Verführung auf der Couch«. Anonyma. 190 Seiten; 20 Mark.* In »Zelig«.** Claudia Heyne: »Tatort - Couch«. Kreuz Verlag; 260 Seiten; 28Mark. * Oben: Catherine Deneuve, Filmpartner in »Belle de Jour«;links: Filmszene mit Corinne Clery; rechts: in der Wohnung desTherapeuten Peters.* Name geändert.