EUROPA »Meister der Rhetorik«
SPIEGEL: Herr Asselborn, Ihr Premierminister Jean-Claude Juncker gilt als Favorit von Kanzlerin Merkel für das Amt des Präsidenten des Europäischen Rats, das ab Januar neu besetzt wird. Wäre er ein guter Kandidat?
Asselborn: Ich will Herrn Juncker nicht wegloben, aber: Ja, er wäre ein guter Präsident.
SPIEGEL: Die Interessen der 27 EU-Mitglieder gegen die mächtige Brüsseler Kommission zu vertreten ist eine große Aufgabe. Wäre der Premier eines - mit Verlaub - Zwergstaats wie Luxemburg da der Richtige?
Asselborn: Man sollte den Job nicht größer reden, als er ist: Es geht nicht um den Präsidenten Europas, sondern um den des Europäischen Rats - das betrifft im Wesentlichen die Gipfeltreffen der 27 EU-Staaten.
SPIEGEL: Wie stehen die Chancen für Juncker?
Asselborn: Wenn Deutschland und Frankreich sich auf ihn einigen, hat er sehr, sehr große Chancen. Ich rechne mit der deutschen Unterstützung, und ich hoffe, dass auch die Franzosen einen Kandidaten Juncker mittragen.
SPIEGEL: Junckers inhaltliche Positionen sind aber oft schwer auszumachen.
Asselborn: Juncker ist ein Meister der Rhetorik. Auch zu Hause hat er sich in schwierigen Fragen oft durchgeschlängelt. Wir Luxemburger erinnern uns, wie viel Zeit er brauchte, bis er sich zu einem klaren Nein zum Irak-Krieg durchrang. Zum Türkei-Beitritt hat er Festlegungen bisher vermieden. Juncker weiß aber, dass er als Ratspräsident ein stärkeres Profil zeigen muss. Rhetorische Auswege zu finden ist dann schwieriger.
SPIEGEL: Sie meinen, er könnte nicht mehr gleichzeitig für und gegen den Beitritt der Türkei sein?
Asselborn: Als Präsident des Rats müsste er eindeutig den Beschluss der EU von 2004 zu Beitrittsverhandlungen vertreten - auch wenn sein christliches Herz vielleicht anders schlägt.
SPIEGEL: Sie sitzen zwar als Minister in Junckers Kabinett, sind aber als Sozialist sein politischer Rivale in der Großen Koalition. Wollen Sie Juncker loswerden?
Asselborn: Der Verdacht könnte natürlich heraufbeschworen werden. Aber bedenken Sie auch sein eigenes Interesse: Juncker hat vor vier Jahren schon einmal das Angebot ausgeschlagen, EU-Kommissionspräsident zu werden. Er weiß: Eines Tages fährt der letzte Zug.