AFRIKA Melke den Himmel
»Oh, Gott, der Du die Ozeane mit Wasser fülltest, mach unser Land wieder fruchtbar. Melke Regen vom Himmel für die leidenden Moslems«, flehten Millionen Afrikaner in den Dürregebieten am Südrand der Sahara*.
Inzwischen setzte der Regen ein. Und nach vielen Verzögerungen ist die internationale Hilfsaktion endlich wirksam angelaufen.
Zwar türmen sich in den Häfen von Dakar und Abidjan die Hilfsgüter; zwar können von den Flugplätzen der Binnenstaaten nur einzelne Maschinen starten; zwar versickert, wie bei allen großen Einsätzen, ein Teil der Spenden. Aber Bonner Regierungsstellen -- mit 88 Millionen Mark an der Hilfsaktion beteiligt -- bestätigten den Befund der Uno-Experten vor Ort: Die Situation sei »unter Kontrolle«.
Unter Kontrolle kann freilich nur eins bedeuten: Mit den aus aller Welt herangeschafften Almosen können Menschen und Tiere im Sahel-Gürtel derzeit am Leben gehalten werden. In Zukunft aber sind sie weiter bedroht: Denn nicht nur die Dürre brachte das Elend. Die wirkliche Ursache der Not liegt in der Unterentwicklung dieses -- für die Industriestaaten uninteressanten -- Gebiets, und Schuld tragen auch einige gut gemeinte, aber unnütze Entwicklungsprojekte.
In allen sechs Sahel-Staaten können höchstens zehn Prozent der Bevölke-
* Am schwersten betroffen waren die sechs Staaten im sogenannten Sahel-Gürtel (Mauretanien, Senegal, Mali, Obervolta. Niger und Tschad mit insgesamt 24 Millionen Einwohnern) sowie Teile Nigerias, des Sudan und Äthiopiens.
rung lesen und schreiben, und die leben vorwiegend in den Städten. Die Bauern am Rande der Wüste wissen kaum etwas von Fruchtfolge oder Kunstdünger. Die Hirtenstämme der Tuareg und Fulbe (auch Fulani und Peuls genannt) halten ihre Herden vor allem aus Prestige: Viel Vieh bringt viel Ansehen; Fulbe-Sippen betrauern den Tod einer Kuh wie den Tod eines Angehörigen. Notwendige Güter erwerben die Nomaden im Tausch. Den Brautpreis zahlen sie nach wie vor in Vieh.
Das archaische System der Bauern und Hirten funktionierte: Die Sippenchefs kannten die wenigen Wasserstellen, rechneten mit den periodischen Dürren und hielten deshalb nur angemessen große Herden. Krankheiten verhinderten ein exzessives Wachstum der Bevölkerung und der Herden. So war der karge Boden gut genug, alle zu ernähren: Die Bauern ließen jeweils ein Landstuck brach, damit es sich erholte; die Weidegründe reichten für das weiterziehende Vieh.
Schlecht geplanter Fortschritt zerstörte seit Beginn der sechziger Jahre diese Balance: In Kampagnen impften Sanitäter die Bevölkerung gegen Pocken und andere Plagen. Veterinäre immunisierten die Herden gegen die Rinderpest. Techniker bohrten Brunnen mit mechanischen Pumpen, die den Hirten vorgaukelten, für das Vieh sei fortan unbegrenzt Wasser da. Die Bevölkerung wuchs und vergrößerte ständig ihre Herden.
Aber gleichzeitig änderte sich die traditionelle Lebensweise der Sahel-Bewohner nicht -- niemand legte an den neuen Brunnen auch neue Weiden an, niemand unterwies die Nomaden in Futterwirtschaft, sorgte für Vermarktung der Produkte Fleisch, Häute, Wolle. So verbesserte sich wenig am Südrand der Sahara -- im Gegenteil: Das Land konnte gerade wegen der oberflächlichen Fortschritte seine Bewohner und deren Herden nicht mehr ernähren und steuerte auf jene Katastrophe zu, die in der Dürrezeit sichtbar wurde.
Die Farmer mußten jeden geeigneten Flecken ständig bebauen und powerten damit den Boden aus. Die Herden zergrasten das Weideland. In manchen Gegenden fraß sich die Sahara jedes Jahr 48 Kilometer vor.
»Das Vordringen der Wüste«, so der Uno-Experte H. A. Fosbrooke auf einem Symposium über »Dürre in Afrika« im Juli in London, »ist weitgehend eine Folge des Mißmanagements des Bodens durch den Menschen.« Für den Londoner Geographie-Professor Hodder gäbe es »ohne die Menschen und die Herden im Sahel kein Dürre-Problem«.
Kurzsichtiges Gewinnstreben der einstigen Kolonialmächte und der heutigen Regierungen steigerte die Gefahr. So stellten die Franzosen die Wirtschaft des Senegal einseitig auf die Erzeugung von Erdnüssen um -- eine für die Bedürfnisse der Industriewelt zugeschnittene Monokultur, die dem Senegal in guten Jahren 80 Prozent der Staatseinnahmen bringt, aber der Dürre völlig ausgeliefert war. »Hat nicht auch Frankreich einen Teil der Schuld zu tragen?« fragte der Pariser »L'Express«.
Niger-Präsident Hamani Diori glaubt inzwischen, daß es falsch war, die Investitionen in seinem Land auf die Uran-Gruben in der Wüstenstadt Arlit zu konzentrieren. Nach dem Schock der Dürrekatastrophe will er sich um mehr Projekte bemühen, die seinem Volk direkt zugute kommen -- vier Millionen Einwohnern, von denen 85 Prozent noch Nomaden sind.
Allerdings: Es dürfte Hamani Dion weit schwerer fallen, im Ausland Geld für die Entwicklung seiner Wüstenlandwirtschaft aufzutun als für den Abbau des in der Industrie-Welt hochbegehrten Grundstoffes Uran. Denn »Afrika ist in unser generelles Streben nach Wirtschaftswachstum verwickelt«, bekannte der Wissenschaftler Paul Spencer auf der Londoner Dürre-Konferenz. »Wir tragen zur Dürre am Äquator bei.«