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LABOUR PARTY Menuett ohne Küsse

Englands Regierungspartei mußte im Parlament eine schwere Niederlage einstecken. Jetzt rechnen die Briten mit Neuwahlen im Oktober.
aus DER SPIEGEL 20/1978

James Callaghan und sein Schatzkanzler Denis Healey saßen wie versteinert auf der grünledernen Regierungsbank im Unterhaus: die Arme verschränkt, der Minister, den Blick in die Ferne, auf eine bessere Zukunft gerichtet. sein Chef.

Um sie herum das Chaos. Wilde Freudenschreie, hämisches Gelächter und Papierschnitzel-Schlachten auf der einen Seite des Hauses, Buh-Rufe, Zischen und Füßetrampeln auf der anderen. Unerhörtes war geschehen:

Zum ersten Mal in der Geschichte Großbritanniens hatte die Opposition -- mit 312 zu 304 Stimmen -- bei der Debatte über den Haushalt eine Änderung des Mindeststeuersatzes der Einkommensteuer durchgesetzt: eine Senkung von 34 auf 33 Pennies pro Pfund für Einkommen bis 28 000 Mark. Das kostet den Staat zwischen 1,2 und 1,5 Milliarden Mark im Jahr.

Geringere von der Opposition erzwungene Korrekturen am sakrosankten Haushaltsplan hatten in der Vergangenheit den Premierminister gezwungen, die Vertrauensfrage zu stellen. Doch als der konservative Schatten-Finanzminister Sir Geoffrey Howe der Labour- Regierungsbank gegenüber zurief: »Sie sind aus Gründen der Ehre gebunden ... dem Volk eine Chance zur Wahl zu geben«, antwortete Callaghan nicht,

Beim konservativen »Penny-Klau« ("Daily Mirror") aus dem Labour-Budget hatten die 13 Abgeordneten der Liberalen gegen die Regierung gestimmt, obgleich sie mit der Labour-Partei ein lockeres Bündnis eingegangen waren. Die Liberalen hatten sogar eine Steuersenkung um zwei Pennies verlangt.

Zum ersten Mal in der an parlamentarischen Niederlagen reichen Callaghan-Regierungszeit hatten damit alle Parteien gegen Labour gestimmt. Nicht die linken Genossen im Regierungslager hatten den Haushaltsplan der »moribunden Minoritäts-Regierung« ("Daily Mail") umgeschrieben, sondern die erstmals vereinigte Opposition.

Mehrere Niederlagen dieser Qualität, darüber waren sich Freund und Feind der Regierung am Morgen nach der bemerkenswerten Nacht vom 8. Mai einig, kann die Regierung nicht hinnehmen, ohne den Rest an Glaubwürdigkeit und Respekt zu verlieren, der ihr nach einer Kette von Amputationen an ihrer gesetzgeberischen Arbeit verblieben ist.

Ob es Labours letzter Reinfall war, ist offen: »lm Unterhaus wurde ein politisches Menuett getanzt -- warten wir ab, ob auch noch Küsse folgen«, orakelte der abtrünnige Konservative Enoch Powell, der seit vier Jahren für die reaktionären protestantischen Ulster-Unionisten im Parlament sitzt.

Unerwartet hatten Powell und seine sechs Mannen gegen die Regierung gestimmt doch nicht aus ökonomischen, sondern aus rein politischen Erwägungen: Die Nordiren wollen sich künftiges parlamentarisches Wohlverhalten durch weitgehende Konzessionen in der Frage der nordirischen Selbstverwaltung honorieren lassen. Entweder, so hieß die verschlüsselte Botschaft aus der Bürgerkriegs-Provinz. dürfen wir uns wieder autonom (und ohne Beteiligung der katholischen Minderheit) regieren, oder wir stimmen auch in Zukunft mit der Opposition.

Die freilich gewinnt zusehends an Kraft: Höchstens bis zu den Sommerferien im Juli wird Liberalen-Führer David Steel seine zwölf Parlamentskollegen noch auf bündnistreuen Kurs mit Labour halten können.

Die liberalen Minderheits-Partner im brüchigen Lib-Lab-Pakt sehen ihre Schützenhilfe für Callaghans Stabilitätspolitik vom Wähler nicht honoriert: Bei Nachwahlen zum Unterhaus und bei Kommunalwahlen im ganzen Land lagen sie häufig hinter den Kandidaten der faschistischen. National Front.

Das ist der Grund, warum der erzkonservative Powell hofft, zur Belohnung für sein politisches Erpressungs-Menuett der vergangenen Woche mit Labour-Zugeständnissen in der Selbstverwaltungsfrage für Nordirland belohnt zu werden. Das ist freilich unwahrscheinlich, denn Labour müßte in Nordirland eine Politik machen, die sowohl von der Parteibasis als auch von dem Parteiführer abgelehnt wird.

So ist Labour nach der Abstimmungsniederlage der vergangenen Woche kaum noch regierungsfähig. Wahlen im Herbst sind damit wahrscheinlich geworden.

Die Frage nach dem Wahltag, der traditionell immer ein Donnerstag ist, heißt, so der »Guardian«, seit der vergangenen Woche »nicht mehr dieses Jahr oder nächstes, sondern 5. oder 12. Oktober«.

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