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ZEITUNGEN Metternich im Revier

Der größte Zeitungskonzern nach Springer formiert sich an Rhein und Ruhr. Seit letzter Woche sind »Westdeutsche Allgemeine«, »Westfälische Rundschau« und »Neue Ruhr Zeitung« in einer Hand.
aus DER SPIEGEL 45/1975

Von den Altarstufen einer früheren neuapostolischen Kirche, die er vor Jahresfrist erworben hatte, wandte sich Dietrich Oppenberg, 58, Verleger der »Neuen Ruhr Zeitung« in Essen, an seine versammelten Mitarbeiter und verkündete ihnen die Wahrheit.

So kam am Montag letzter Woche ans Licht, was der Kaufmann und Sozialdemokrat monatelang immer wieder bestritten, im Juli dem SPIEGEL gegenüber und noch vier Tage vor der Betriebsversammlung im sozialdemokratischen »Vorwärts« dementiert hatte: Sein SPD-nahes Blatt suchte -- und fand -- Anschluß beim stärkeren Lokairivalen, der »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung«.

In dürren Worten machte der Verleger ein geschäftliches Manöver publik, mit dem, zur »großen Sorge« der Bonner Freidemokraten und zur »äußersten Besorgnis« der CDU/CSU, zum Jahreswechsel eine ganze Zeitungsre-

* Redner: »NRZ-Verleger Oppenberg bei der Verkündung der Fusion mit der »WAZ«

gion ihr Gesicht verliert. Wo sich an Ruhr und Niederrhein die »NRZ« und die »WAZ« bislang in hartem Wettbewerb mit einem Dutzend konkurrierender Ausgaben befehdeten, findet die Konkurrenz künftig unter dem Dach eines Zeitungs-Trusts statt, für den es in deutschen Landen kein Beispiel gibt.

Die »WAZ"' mit 616 821 Tagesexemplaren ohnehin größte Regional-Zeitung der Republik, kontrolliert nun vollends die volkreiche Presselandschaft zwischen Holland und Hessen. Das Blatt hält

* seit Herbst letzten Jahres die Mehrheit an der zuvor SPD-eigenen »Westfälischen Rundschau« (Auflage: 205 097) in Dortmund und

* seit letzter Woche die Mehrheit an Oppenbergs »NRZ« (Auflage: 220 144), die, von den Briten einst als SPD-Blatt lizenziert, als parteinahe, aber auf journalistische Unabhängigkeit bedachte Boulevardzeitung Profil und Ansehen gewann.

Der Mann, der die großformatige Zeitungskonzentration (Gesamtauflage: über eine Million) binnen Jahresfrist zustande brachte und darüber zum Größten nach Springer im Tageszeitungsgeschäft wurde, blieb von Person so gut wie unbekannt. Grotkamp ist sein Name.

In der Branche gilt der gebürtige Essener, in Freiburg examinierter Jurist, mal als rabiat, mal als gradlinig, wieder anderen als »eine Art Metternich der Zeitungs-Geheimdiplomatie«.

Er war es, der, seit 1960 bei der »WAZ«, zwischen Duisburg, Wanne-Eickel und Dortmund umherreiste und in den sechziger Jahren ein halbes Dutzend konkurrierender Objekte aufkaufte. Denn bei der »WAZ« hatte man, wie sich der parteilose Macher erinnert, früh erkannt, daß »das Schicksal einer Zeitung bestimmt wird durch die Höhe der Auflage im Ballungsgebiet, wo das große Anzeigengeschäft stattfindet«.

Mit der Auflage der »WAZ« stieg auch Günther Grotkamp, 48, auf -- zunächst zum Justitiar, Verlagsleiter und zu einer Art Haus-Parlamentär zwischen den beiden heillos zerstrittenen Blattgründern Jakob Funke und Erich Brost. Grotkamp: »Alles, was ich über Zeitungen weiß, habe ich bei der »WAZ' gelernt.«

Chefmanager wurde der Rechtsanwalt offiziell, als ihn nach dem Tod Funkes im Februar dessen vier Töchter zum Geschäftsführer bestellten, den auch 50-Prozent-Teilhaber Brost, 72, gern mit dem Geschäftlichen befaßt. Pressekonzentration auf seine Weise hält Grotkamp für die einzig praktikable »Sicherung der Unabhängigkeit« mehrerer Blätter in einer Region.

Tatsächlich lassen die steigenden Kosten, wie sich immer deutlicher zeigt, die regionale Konkurrenz selbständiger Zeitungen auf Dauer nicht zu. Statt »NRZ« und »WR« einzustellen, killt Grotkamp durch Kooperation in Vertrieb, Verwaltung und Anzeigenwesen die Kosten -- nicht ohne freilich die schwächeren Blätter dabei dem stärkeren einzuverleiben. Mit der freiwilligen Anmeldung der Essener Fusion beim Berliner Kartellamt, das nach geltendem Recht kaum Anstoß daran nehmen kann, beugte er der Möglichkeit vor, daß es rückwirkend Ärger mit demnächst verschärften, von der Bonner Regierung bereits angekündigten Kartellbestimmungen für die Presse gibt.

Die technische Herstellung lokaler Parallelausgaben von »WAZ« und »NRZ« soll zusammengelegt, eine kleine Zahl defizitärer Lokalteile eventuell eingestellt werden was letzte Woche Proteste von Druckern, Setzern und Journalisten auslöste, die um ihre Arbeitsplätze bangen. Wie im Fall »WR« können auch die Kosten für die technische Herstellung der Anzeigenseiten drastisch gesenkt werden, wenn »WAZ« und »NRZ«, wie geplant, künftig identische Annoncen drucken -- Ergebnis einer »tarifeinheitlichen Belegung« nach einem simplen Prinzip: Jede Anzeige muß in beiden Blättern erscheinen.

Dieser Zwang für Inserenten schöpft zusätzlich Umsatz. Zwar liegt der neue Gesamtpreis niedriger als die addierten Anzeigenpreise der früher konkurrierenden Blätter. doch die nun viel stärkere Nutzung des Zweitblattes als Werbeträger soll den Ausfall zumindest kompensieren. Künftig, frohlockt »NRZ«-Chefredakteur Jens Feddersen (SPD), werde auch sein Blatt »ein dickes Anzeigenpolster« bekommen und mithin auch wieder mehr Platz für Redaktionsbeiträge.

Und sein Chef bekommt, wie er seit Spätsommer in Schloß Hugenpoet und anderswo im Revier mit Grotkamp aushandelte, noch mehr: Oppenberg, neben Altsozialdemokrat Brost und Grotkamp künftig Geschäftsführer der neuen Holding, der Zeitungsverlag Niederrhein GmbH & Co. KG, darf als »NRZ«-Herausgeber auch künftig allein seine Redakteure heuern und feuern und für die vertraglich vereinbarte »soziale Demokratie« im Blatt sorgen. »Wir wollen und werden«, beteuert Grotkamp, »das Kunststück fertigbringen, Zeitungen verschiedener Couleur alle unter einem Dach herauszubringen.«

Das allerdings trifft nur bedingt zu. Denn auch die »WAZ«. nach Gesellschaftsvertrag »entschieden sozial«. wird, so SPD-Präside Wilhelm Dröscher, wohl auch in Zukunft kein »einseitig konservativer Laden« sein. »Nun sind wir«, schwante letzte Woche einem Manager von Axel Springers »Bild«, »die Alternative an der Ruhr.«

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