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SEEFAHRT Meuterer an Bord

aus DER SPIEGEL 16/1952

Vor etwa drei Wochen berichtete die Weltpresse die »unglaubliche« Geschichte von dem »hartherzigen Kapitän« des norwegischen 10 000-Tonnen-Tankers »Jaspis«. Ueberall an den Rändern der Weltmeere, wo Fahrensleute in rauchigen Kneipen und auf windigen Piers zusammentreffen, fluchte man seemännisch über Johan Saether, den Mann, der sich gegen eines der Grundgesetze der christlichen Seefahrt vergangen hatte.

An einem Tage im März dieses Jahres hatte Saether zwei blinde Passagiere seiner »Jaspis« - Neger aus der britischen Kolonie »Goldküste« - an den vegetationslosen Gestaden der spanischen Sahara von Rio de Oro absetzen lassen. »An einer Stelle, wo weit und breit keine menschliche Siedlung erreichbar war«, empörten sich noch in London die Stewardessen der »Jaspis«, Daphne Coleman und Bessie Evans.

Die beiden feschen Mädchen sind überhaupt die Haupt-Verantwortlichen dafür, daß man den alten Seebär Saether tagelang durch die Presse schleifte.

»Es waren so nette und intelligente junge Leute«, jammerte Daphne vor den Reportern, während Bessie noch in der Erinnerung an das »furchtbare Erlebnis« schauderte: »Weinend und um Gnade flehend knieten die beiden Neger auf dem Strand. Ich werde diese schreckliche Szene nie wieder vergessen.« Seemännisch altklug vervollständigten die Damen ihren Bericht: mit dem Saether sei sowieso nicht allzuviel los gewesen. Vor der südafrikanischen Westküste habe er einen Albatros geschossen, und das wisse doch jeder Deckjunge, daß Albatrosse dem Seemann heilig seien.

Saether ist bis auf den heutigen Tag gegenüber all diesen Vorwürfen merkwürdig still geblieben. Als deutsche Reporter ihn Mitte März am Tor der Kieler Howaldts-Werft - wo seine »Jaspis« jetzt im Trockendock liegt - interviewen wollten, murrte er nur etwas Schwerverständliches, was so ähnlich klang wie »Kyss mej rever«. Das ist eine ziemlich wortgetreue norwegische Uebersetzung des durch Götz von Berlichingen klassisch gewordenen schwäbischen Grußes.

Johan Saethers Verschwiegenheit hat »beinahe hochpolitische« Gründe. Die Affäre an der Westküste von Rio de Oro ist nämlich inzwischen Gegenstand diplomatischer Demarchen geworden. Englands Botschafter M. R. Wright protestierte am Osloer »Solplassen« - dem Sitz des norwegischen Außendepartements - wegen Begünstigung der Desertion von Soldaten Seiner Majestät der Königin von Großbritannien durch Kapitän Johan Saether.

Als man an Bord der »Jaspis« - etwa auf der Höhe von Kap Palmas - die beiden blinden Passagiere entdeckt hatte, ließ Saether sie sich zum Verhör in die Kapitänskajüte bringen. Ihm waren gleich die militärische Haltung und die englischen Sprachkenntnisse der beiden aufgefallen. Nach einer halben Stunde Verhör wußte er Bescheid:

Anfang März hatten die Askaris des 2. Bataillons der Queens West African Rifles in »Goldküste« gemeutert. Teils unter Gewaltanwendung, teils durch Ueberredung war die Masse der Askaris von ihren britischen Offizieren wieder zur Vernunft gebracht worden. Die Haupträdelsführer jedoch - etwa zwei Dutzend - gingen in den Busch. Zwei von ihnen saßen nun bei Saether in der Kajüte.

Der ging mit sich zu Rate: sein nächster Hafen war London. Wenn er die beiden Deserteure nicht der englischen Militärjustiz

ausliefern wollte, mußte er sie vorher an einer Stelle absetzen, wo es keine Behörden gab, die die Neger den Briten übergeben würden. Die menschenleere Küste der spanischen Kolonie Rio de Oro schien ihm am günstigsten.

Den beiden Negern verriet Saether von seinen Ueberlegungen nur, 1. daß sie an Bord über ihre Herkunft das Maul halten sollten, und 2. - wenige Tage später - daß sie nunmehr in das längsseit gegangene Rettungsboot zu jumpen hätten.

Saethers Ueberlegungen waren richtig. Die Deserteure wurden von spanischen Fischern nach den Kanarischen Inseln in Sicherheit gebracht. Spanien verweigerte den Briten die Auslieferung.

Der Fehler in Johan Saethers Spekulation waren Bessie und Daphne. Mit ihrer sentimentalen Gesprächigkeit hatte der alte Seebär nicht gerechnet. Saether hat sich geschworen, nie wieder gutmütig zu sein: »Ich habe keine Lust, mich nochmal als Pirat in der Zeitung wiederzufinden.«

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