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SPIONAGE Mindestens noch drei

Mit der Verhaftung der früheren Kanzleramtssekretärin Elke Falk hat die DDR womöglich eine Spitzenspionin verloren. *
aus DER SPIEGEL 13/1988

Der Emissär des Kanzlers war sehr verschwiegen. Er bat »um Verständnis, daß ich nicht über Einzelheiten sprechen kann«. Beim Umgang mit der DDR sei Diskretion »im Interesse der Sache zwingend notwendig, nur dann kann man zu einem Ergebnis kommen«.

So sprach im Frühprogramm des Deutschlandfunks am 29. August 1977 der Staatsminister im Kanzleramt, Hans-Jürgen Wischnewski. Alle Versuche, dem SPD-Mann etwas mehr über seine bevorstehenden Verhandlungen mit dem damaligen DDR-Vertreter in Bonn, Michael Kohl, zu entlocken, schlugen fehl. Selbst die Frage nach der Tagesordnung ("Welche Punkte könnten geregelt werden, die Energieversorgung West-Berlins?") blockte Ben Wisch ab: »Ich werde nicht über Punkte sprechen.«

Das war auch gar nicht mehr nötig. Die Gegenseite wußte Bescheid. Nicht nur »Punkte« waren der DDR bekannt, die Einheitssozialisten in Ost-Berlin hatten die gesamte geheime Verhandlungsstrategie des Kanzleramts schriftlich.

So konnte DDR-Ministerpräsident Willi Stoph bereits am 1. September Besuchern zu lesen geben, was Wischnewski tags drauf dem DDR-Vertreter Kohl erzählen werde. Die Kopie eines von Wischnewski eigenhändig aufgesetzten Positionspapiers für den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, das dieser mit seiner Paraphe abgezeichnet und gebilligt hatte, lag an diesem Tag auf Stophs Schreibtisch.

Wie sie dahin kam, scheint jetzt geklärt: Lieferantin war wahrscheinlich die am vorletzten Freitag unter Spionageverdacht verhaftete ehemalige Kanzleramtssekretärin Elke Falk. Sie saß damals im Vorzimmer von Wischnewski und damit direkt an der Quelle.

In dieser Zeit war kein anderer Bonner Politiker - mit Ausnahme des Kanzlers - für die Deutsche Demokratische Republik so interessant wie der Sozialdemokrat Wischnewski. Denn der umtriebige Staatsminister, von Schmidt im Dezember 1976 ins Kanzleramt geholt, begnügte sich nicht mit der Rolle, für die DDR-Offiziellen in Bonn protokollarische Anlaufstelle ihrer Proteste und Beschwerden zu sein. Er stieg - sehr zum Mißfallen des damaligen Bonn-Vertreters in Ost-Berlin, Günter Gaus - zum wichtigsten Gesprächs- und Verhandlungspartner in den damals festgefahrenen deutsch-deutschen Verhandlungen auf.

Diese Beförderung von Ben Wisch wurde im »Koalitionskränzchen« entschieden - einer Politikerrunde, der neben Kanzler Schmidt und dem Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher auch die Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Mischnick (FDP) und Herbert Wehner (SPD) angehörten; es war der 2. Mai 1977. Am gleichen Tag fing Elke Falk, die seit Oktober 1974 im Kanzleramt arbeitete, in Wischnewskis Vorzimmer als neue Schreibkraft an - Zufall oder gelenkte Fügung?

Der Berufung Wischnewskis war ein zähes Tauziehen hinter den Kulissen vorausgegangen. Schon Monate vorher hatte sich abgezeichnet, daß die Stellung von Gaus geschwächt und die des Staatsministers Wischnewski aufgewertet werden sollte.

Daß Gaus den Streit um die Verhandlungsführung verlor und die deutschdeutschen Fäden fortan bei Wischnewski zusammenliefen, verdankte er nicht nur dem Umstand, daß Schmidt ihn nicht besonders mochte. Die DDR wirkte an der Entmachtung des Bonner Missionschefs selbst gehörig mit.

Aus Ost-Berlin, so erinnert sich Klaus Bölling, damals Regierungssprecher, später selbst Bonner Vertreter in der Deutschen Demokratischen Republik, seien seinerzeit »Signale« nach Bonn gedrungen: Bei aller Wertschätzung für den Kollegen Gaus sähe man es doch lieber, wenn die Verhandlungen von dem Mann geführt würden, der dem Kanzler am nächsten sitze - von Wischnewski eben.

Die DDR-Oberen hatten noch ein anderes Anliegen: Sie äußerten Mißfallen daran, daß ihr Vertreter Kohl - einst mit Egon Bahr Architekt der innerdeutschen Verträge - von Bonn als Verhandlungspartner geschnitten werde. Auch wünschte die DDR-Führung Wiedergutmachung: Anfang 1977 hatte der stellvertretende Bundesbevollmächtigte in Berlin, der SPD-Rechtsaußen Hermann Kreutzer, behauptet, DDR-Kohl sei ihm als früherer Sowjet-Agent bekannt.

Da der DDR-Vertreter (der 1981 starb) Protektion von höchster Stelle besaß - sein Sohn ist mit der Tochter des mächtigen Staatssicherheitsministers Erich Mielke verheiratet -, hielt es das Koalitionskränzchen für geraten, wenigstens in der Anfangsphase den Schwerpunkt

der Verhandlungen auf die Achse Kohl/Wischnewski zu verlagern.

Aus der Rückschau paßt alles ins konspirative Konzept: Ein Staatsminister, der auf DDR-Drängen Verhandlungsführer in deutsch-deutschen Angelegenheiten wird, und an seiner Seite, planvoll wie rechtzeitig plaziert, die Sekretärin als Agentin. Das ist der Stoff, aus dem Spionageromane sind. Normalerweise ist die Wirklichkeit einfältiger.

Ob geplant oder nicht: Für die Ost-Berliner Oberspione verlief die Entwicklung zum besten. Zwar verloren sie zwei Tage später, am 4. Mai 1977, durch die Enttarnung der Kanzleramtssekretärin Dagmar Kahlig-Scheffler eine Späherin in der Abteilung für Außen- und Deutschlandpolitik der Bonner Reigierungszentrale. Nun aber saß Elke Falk im Zentrum des Hauses.

»Macht euch nichts vor«, höhnten damals, drei Jahre nach der Enttarnung des Kanzleramtsspions Günter Guillaume, DDR-Offizielle vor westdeutschen Besuchern: »Es sitzen mindestens noch drei im Kanzleramt.« Guillaume selbst, so berichtete 1981 die »Bunte«, habe vor seinem Austausch erklärt: »Ich garantiere: Einer von uns ist noch hier - und er sitzt ganz oben.«

Die Furcht vor weiteren Spionen trieb Anfang des Jahres 1978 schon den Kanzleramtschef Manfred Schüler um. Als ihm berichtet wurde, wie detailliert im September 1977 der DDR-Ministerpräsident Willi Stoph über die deutsch-deutschen Verhandlungen unterrichtet gewesen sei, ordnete er erneut eine Sicherheitsüberprüfung in seinem Amt an. An den Namen Elke Falk kann sich freilich Heribert Hellenbroich, der damals für Spionageabwehr zuständige Abteilungsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz, nicht erinnern, obwohl er sonst »alle meine Vögelchen im Kopf« hat. Aber bei dem Namen Falk »fällt mir nichts ein, woraus ich ziemlich deutlich schließe: Ich war damit nicht befaßt«.

Auch Schüler erinnert sich heute, »daß wir damals alles mögliche auf den Kopf gestellt haben, aber natürlich nichts fanden«. Es sei immer seine Sorge gewesen, daß die DDR auch nach Guillaume noch Spione im Kanzleramt plaziert habe. Deshalb habe ihn die Information über eine mögliche undichte Stelle »zwar nicht wie ein Donnerschlag getroffen, aber das war schon starker Tobak, das steckte man nicht einfach so weg«.

Warum damals trotzdem im Kanzleramt nichts gefunden wurde, dafür gibt es im Rückblick eine einleuchtende Erklärung: Elke Falk, die 1973 von einem DDR-Geheimdienst-»Romeo«, der sich Gerhard Thieme nannte, angeworben worden war, hatte 1978 das Kanzleramt schon wieder verlassen.

Ob sie vorgewarnt war oder Wischnewskis Vorzimmer aus eigenem Antrieb verließ - darüber gibt es nur Spekulationen. Aus der Sicht ihrer Auftraggeber von damals erscheint der plötzliche Abgang eigentlich wenig plausibel: Warum sollte die DDR eine Top-Spionin, die gerade erst mit viel Raffinesse plaziert worden war, schon nach so kurzer Zeit wieder abziehen?

Andererseits machte die Entscheidung Sinn: Elke Falk wechselte nicht irgendwohin. Sie landete im Verkehrsministerium und auch dort an einflußreicher Stelle - im Vorzimmer des SPD-Staatssekretärs und heutigen Lufthansa-Chefs Heinz Ruhnau.

Auch dort war sie für ihre Auftraggeber von Nutzen. Nach den Sondierungsgesprächen, die Wischnewski mit Kohl geführt hatte, war die anfangs umfangreiche Themenliste geschrumpft. Von dem breiten Angebot deutsch-deutscher Themen, die ursprünglich angepeilt worden waren, blieb am Ende nur ein Bereich übrig - der Ausbau bestehender und der Neubau weiterer Verkehrsverbindungen zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin.

Und diese Verhandlungen wurden auf die administrative Ebene zurückverlagert; in Ost-Berlin war wieder Gaus zuständig und federführend, aus Bonn arbeitete ihm das damals von Kurt Gscheidle geführte Verkehrsministerium zu. Die wichtigsten Papiere und Entscheidungen liefen über den Tisch des Staatssekretärs Ruhnau.

Wie Elke Falk von Wischnewski zu Ruhnau kam, wer sie empfahl oder vermittelte, war letzte Woche nicht zu klären. Wischnewski befand sich wieder mal auf Verhandlungstour in Nicaragua, Ruhnau mochte sich nicht konkret erinnern; man habe sich »bereits nach einem halben Jahr« von Frau Falk trennen wollen, weil sie den Anforderungen als Bürokraft nicht entsprochen habe.

Seltsam nur, daß die Schreibdame, deren Qualität der Genosse Ruhnau so gering einschätzte, dann doch wieder im Vorzimmer eines Staatssekretärs landete: bei Alwin Brück, SPD, damals »Parlamentarischer« im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Vielleicht war dieser Wechsel im Sinne der Personalführung in Ost-Berlin. Als Frau Falk im Juli 1979 das Verkehrsministerium verließ, gab es dort wohl nicht mehr viel zu erkunden. Das Verkehrsabkommen zwischen Bonn und Ost-Berlin, an dessen Entstehungsgeschichte sie im Vorzimmer Anteil nehmen konnte, war noch während ihrer Amtszeit im November 1978 unterzeichnet worden. _(Bei der Übergabe des ) _(Beglaubigungsschreibens am 20. Juni ) _(1974. )

Bei der Übergabe des Beglaubigungsschreibens am 20. Juni 1974.

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