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DDR/LANDWIRTSCHAFT Mist vor der Tür

Um die Fleischversorgung aufzubessern, sind der SED-Führung alle Mittel recht -- sogar ideologische Zugeständnisse.
aus DER SPIEGEL 31/1978

Wie ZK-Landwirtschaftssekretär Gerhard Grüneberg so gerne schwärmt, findet »das Wirken der SED zur Verwirklichung des Leninismus auf agrarpolitischem Gebiet« in der DDR »markanten Ausdruck«. Gleichwohl läßt das Ergebnis, in Steaks, Koteletts und Bockwürste umgerechnet, trotz bald 30 sozialistischen Jahren noch immer zu wünschen übrig.

Eben erst wieder mußten die Ost-Berliner Staatsplaner einräumen, daß die Lebensmittelversorgung der DDR-Bevölkerung im ersten Halbjahr 1978 in gewissen Bereichen unzulänglich und nur »im wesentlichen stabil und kontinuierlich« war. Versorgungslücken gab und gibt es vor allem bei Fleisch und Gemüse.

Schon im Mai hatte SED-Chef Erich Honecker deshalb alle 5399 sozialisierten Landwirtschaftsbetriebe dringlich ermahnt, »im Interesse der stabilen Versorgung der Werktätigen« mehr »Tempo« bei der Nahrungsmittel-Produktion vorzulegen. Und um auch wirklich alle Reserven zu nutzen, riskierte die Parteiführung zugleich einen Schritt vom Pfad sozialistischer Tugend und animierte Genossenschaftsbauern wie Agrararbeiter zum Rückfall in kapitalistisches Eigentumsdenken -- zur zusätzlichen, privat betriebenen Aufzucht von Schlachtvieh.

In einem Rundbrief an das Landvolk ("Werte Werktätige der sozialistischen Landwirtschaft!") lockten die volkseigenen Schlachthöfe im Auftrag der Staatsführung mit Sonderprämien für jeden privat gemästeten Überplan-Bullen und jede Extra-Sau. Für Rinder von 500 Kilo Gewicht etwa sollte es zum Grundpreis von 2590 Mark einen Zuschlag von 230 Mark geben, für ein Schwein von 140 Kilo (Grundpreis 708 Mark) eine Prämie von 140 Mark. Außerdem verpflichteten sieh die Schlachter vertraglich, ihren Lieferanten das sonst so rare Kraftfutter zu beschaffen.

Die schriftliche Begründung indes, mit der die Metzger ihre ungewöhnliche Aktion starteten, enthielt nur die halbe Wahrheit. Getreu der Honecker-Parole behaupteten auch sie, dies alles geschehe nur im »Interesse einer kontinuierlichen und stabilen Versorgung unserer Bevölkerung«. Sie verschwiegen jedoch, daß jeder DDR-Bürger auch ohne Privatvieh genug Gulasch hätte, wenn sein Staat nicht ganz so devisenhungrig wäre.

Denn was immer bei dem Westmark zahlenden Nachbarn Bundesrepublik an Rindfleisch abzusetzen ist, wird exportiert. Den für die Bratpfannen der DDR-Bürger verbleibenden Rest aufzubessern soll nun Aufgabe der Privaterzeuger werden.

Nur bei Schweinefleisch sieht die Bilanz etwas günstiger aus: DDR-Schweine sind in der Regel für den Westmarkt zu fett, und an der Zucht weniger gewichtiger Tiere hat kein Bauer Interesse. Denn die Tiere werden nach Stückgewicht bezahlt, jedes zusätzliche Pfund Speck ist mithin bares Geld wert.

Zwei Monate nach Beginn der Privatvieh-Kampagne scheint allerdings auch schon zweifelhaft, ob die materiellen Anreize ausreichen, der Aktion den erhofften Erfolg bei den Landleuten zu sichern.

Zum einen zeigt sich bereits jetzt, daß Kraftfutter in der versprochenen Menge nicht zu bekommen ist. Die Privatvieh-Halter sind folglich genötigt, ihre Tiere vorzeitig abzugeben, und müssen, da das vorgeschriebene Schlachtgewicht nicht erreicht wird, auf die versprochene Prämie verzichten.

Zum anderen haben die Fleischbeschaffer Schwierigkeiten, die erwarteten 30 bis 40 Privat-Mastverträge pro Dorf überhaupt an den Mann zu bringen. Die Bauern argumentieren, der Erlös stehe in keinem Verhältnis zum zusätzlichen Arbeitsaufwand. Denn da Grünfutter nicht aus Genossenschaftsbeständen genommen werden darf, muß das Gras für den Ochsen im eigenen Stall in zeitraubendem Feierabendeinsatz aus Gärten, ungenutzten Grünflächen und Straßengräben mühsam zusammengesichelt werden.

Außerdem fehlt es den Landwirten an Raum: Zwar forderten die Schlachter in ihrem Mast-Appell alle landwirtschaftlichen Betriebsleiter auf, »nicht mehr genutzte Kleinställe oder geeignete ungenutzte Altbauten« für das Privatvieh bereitzustellen. Doch die Stallungen der ehemaligen Einzelhöfe sind inzwischen entweder abgerissen oder dienen als Lager- und Abstellräume. In den Genossenschaftsgebäuden aber gibt es keinen Platz für privates Vieh.

Der bislang eher magere Effekt der Mast-Werbung hat unterdessen dem Ost-Berliner Landwirtschaftsministerium zu der Einsicht verholfen, daß mit hektographierten Aufrufen und Prämienversprechen allein nennenswerte Ergebnisse nicht zu erzielen sind. Um die Bauern nachhaltiger zu ermuntern, soll deshalb alsbald revidiert werden, was der SED bislang als eine der schönsten Errungenschaften sozialistischen Landlebens und der sogenannten industriemäßigen Agrarproduktion galt -- die möglichst weiträumige Trennung von Wohn- und Arbeitsbereich.

In Zukunft wird, zurück zur Natur. möglichst jeder Landmann wieder den eigenen Misthaufen vor der eigenen Tür haben: Im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums arbeiten DDR-Architekten an Plänen, wie die Behausungen der Dörfler kostengünstig mit Ställen fürs Privatvieh ausgerüstet werden können.

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