SCHWEIZ Mit allen Mitteln
Jetzt«, kommentierte die »Basler Zeitung« empört, »wird Widerstand zur Pflicht.« Den öffentlichen Aufruf zum zivilen Ungehorsam hatte die Anordnung des Delegierten für das Flüchtlingswesen, Peter Arbenz, ausgelöst, 30 abgewiesene tamilische Asylbewerber aus Bern und später 70 weitere aus anderen Kantonen so schnell wie möglich in ihre Heimat zurückzuschaffen.
In der Öffentlichkeit, aber auch bei der Regierung des Kantons Bern, die für die meisten der Tamilen-Flüchtlinge sorgen muß, stieß der Kraftakt auf Unverständnis. Doch der energische Peter Arbenz, von Justizministerin Elisabeth Kopp zum Flüchtlingsexperten bestellt, will jetzt handeln. Rund 1000 von 4000 Asylgesuchen wurden in letzter Instanz bereits abgelehnt.
Fast alle Antragsteller stammen aus dem Norden oder Osten Sri Lankas. Dorthin können sie wegen der Bürgerkriegswirren nicht zurückgeschickt werden. Denn das international anerkannte Prinzip des »Non refoulement« verbietet den Regierungen, jemanden zur Ausreise in ein Land zu zwingen, in dem sein Leben, seine Gesundheit oder seine Freiheit gefährdet sind.
Die jetzt zur »Rückschaffung« ausgewählten Flüchtlinge kommen aus dem zur Zeit vergleichsweise ruhigen Süden des Landes. Dorthin, so meint Arbenz, sei Rückkehr »zumutbar«. »Diese Überzeugung«, räumt er ein, »ist subjektiv.«
Tatsächlich haben andere Fachleute ganz andere Überzeugungen: Die Gefangenen-Helfer von Amnesty International verfügen über Berichte, wonach »auch im Süden Sri Lankas Tamilen willkürlich verhaftet wurden«.
Die Londoner Amnesty-Zentrale forderte deshalb ihre nationalen Sektionen in 44 Ländern auf, die eidgenössischen Behörden per Blitzaktion ("Urgent Action") von ihrem Vorhaben abzubringen. Die Eidgenossen sahen sich damit auf die gleiche Stufe mit Staaten wie Chile, Südafrika und Türkei gestellt. Dem Appell für mehr Menschlichkeit in der Schweizer Asylpolitik schloß sich der Weltkirchenrat an. Und mehrmals protestierte auch der Uno-Hochkommissar für Flüchtlinge, der Schweizer Jean-Pierre Hocke, gegen die geplanten Abschiebungen.
Gegen die Rückschaffung wandten sich auch die drei Landeskirchen, Entwicklungshilfe-Organisationen, die Linke und die Gewerkschaften, sogar die Christdemokraten und die Evangelische Volkspartei. Doch Arbenz bleibt stur und seine Chefin weiß: »Bisher ist keinem Weggewiesenen etwas passiert.« Zudem seien die im Gesetz vorgesehenen Rechtsmittel ausgeschöpft, eine Rückführung mithin unumgänglich.
Mit dieser starren Haltung haben die Justizministerin und ihr Gehilfe aber nur 35,4 Prozent der Schweizer hinter sich, 45,3 Prozent sind gegen die gewaltsame Rückschaffung, wie eine Umfrage der »Schweizer Illustrierten« ergab.
Das ist ein erstaunliches Ergebnis. Denn bislang galten die Tamilen dem
Schweizervolk als die unwillkommensten aller Asylbewerber. Schauergeschichten, fast täglich in der Boulevardpresse breitgetreten, schilderten sie in immer neuen Variationen als Drogenhändler, Frauenschänder und Messerhelden.
Vom Alltags-Elend der Schweiz-Tamilen ist nicht die Rede. Sie leben zum Teil seit Jahren, in behelfsmäßigen Unterkünften, ohne Aussicht auf eine geregelte Arbeit und auf Anerkennung als Flüchtlinge.
Das mutige Engagement einzelner Bürger gegen das formale Recht überzeugte unterdessen viele Schweizer. Zur Meinungsbildung trug auch die traumatische Erinnerung an die Unmenschlichkeit der eidgenössischen Asylpolitik im Zweiten Weltkrieg bei.
Damals schickten die schweizerischen Fremdenpolizisten Tausende jüdischer Flüchtlinge zurück über die Grenze ins sichere Verderben. Damals erfanden die Bundes-Bürokraten auch das jetzt wieder gern benutzte Wort »Ausschaffung« für die mit Zwangsmitteln vollzogene Ausweisung.
Der setzen die Tamilen-Helfer nun vor allem das »Kirchenasyl« entgegen: Eine »Ökumenische Basisbewegung für Flüchtlinge« bietet den von der Ausweisung Bedrohten in Privatwohnungen ein sicheres Versteck. Jeder vierte Schweizer, so ergab die Illustrierten-Umfrage, ist bereit, Tamilen aufzunehmen, »um sie so der Ausschaffung zu entziehen«.
In der Berner Nydeggkirche hungerte Ursula Bäumlin, sozialdemokratische Abgeordnete im Berner Stadtparlament, eine Woche lang aus »Protest einer Frau gegen eine Frau« gegen Justizministerin Kopp, um sie von ihrer »arroganten und sturen Haltung« abzubringen.
Doch die Bundesrätin zeigte keine Wirkung, sie hat eine Verschärfung des Asylgesetzes im Sinn, über das die Eidgenossen am 5. April abstimmen müssen. Wird es angenommen, können Asylbewerber nur noch an genau bezeichneten »Grenztoren« Einlaß in die Schweiz begehren; das Verfahren wird verkürzt und weitgehend von den Kantonen abgewickelt; wer abgewiesen ist, muß womöglich in einem Gefängnis auf seine »Ausschaffung« warten.
Die Neuerungen würden jeden privaten Widerstand gegen Ausweisungsentscheide unmöglich machen. Anders als jetzt könnten sich Polizisten auf Asylantenjagd mit Hausdurchsuchungsbefehlen Zutritt zu privaten Wohnungen verschaffen, um Fremde zu verhaften.
Eingefleischten Fremdenhassern gehen auch diese Bestimmungen noch nicht weit genug: Während in Bern und anderswo der Widerstand gegen die Tamilen-Ausweisung wuchs, stellte die Republikanische Partei ein Volksbegehren vor, das nur noch ein »vorübergehendes Asyl« vorsieht - ausschließlich für Europäer.