NAMENSWEIHE Mit Cello und Sparbuch
Aufgebracht über die Arglist örtlicher Partei-Funktionäre wandte sich letzthin die junge Ehefrau und Mutter Johanna Zwieg, Angestellte der volkseigenen Konzert- und Gastspieldirektion Schwerin, geradewegs und vertrauensvoll in einem Brief an »Neues Deutschland«, das Zentralblatt der SED.
Ursache ihres Grolls, so eröffnete Frau Johanna den Partei-Redakteuren, sei die feindselige Haltung der beiden ranghöchsten Genossen ihres Betriebs gegenüber dem vier Monate alten Zwieg-Söhnchen Uwe. Der Vorsitzende der Betriebs-Parteiorganisation ebenso wie der Vorsitzende der Betriebs-Gewerkschaftsleitung hätten nämlich den Antrag des Ehepaares Zwieg, dem Knaben Uwe die »sozialistische Namensgebung« angedeihen zu lassen, rundweg mit »folgender Begründung abgelehnt":
»Wir hätten uns kirchlich trauen lassen und wären außerdem noch Mitglieder der Kirche. Wenn wir uns von den Traditionen der Kirche trennen wollten, indem wir unser Kind nicht taufen lassen, sondern daß es die Namensgebung erhalten soll, so sollten wir doch bei uns beginnen. Mit anderen Worten, wir sollten also erst aus der Kirche austreten, bevor unser Söhnchen die Namensweihe erhält.«
Nicht einmal der Hinweis, sie, die Zwiegs, seien nur deshalb noch Kirchenmitglieder, weil sie noch keine Zeit zum Austritt gefunden hätten, habe auf die Schweriner Konzert-Funktionäre Eindruck gemacht, klagte Uwes Mutter und notierte gekränkt für »Neues Deutschland": »Wir jedenfalls fühlen uns sehr zurückgestoßen.«
Johanna hatte Mühe und Porto nicht umsonst aufgewendet. Ihr Brief erschien alsbald mit dreispaltiger Überschrift im SED-Zentralorgan, und die gleichfalls abgedruckte, vom Politbüro der Einheitspartei inspirierte Antwort spendete der verzagten Schwerinerin den erhofften Trost. Die Kirchenzugehörigkeit der Eltern, so las die fortschrittliche Mama, habe keinerlei Einfluß auf die Bewilligung des Antrags, ein Kind der sozialistischen Namensgebung teilhaftig werden zu lassen, »denn der Sozialismus hat Platz für alle, braucht alle und gibt allen eine Perspektive«.
Zugleich attestierte »Neues Deutschland« den Leitungsgenossen der VEB Konzert- und Gastspieldirektion Schwerin, sie hätten sich »sehr schwerwiegender« Fehler schuldig gemacht. Der Nicht-Genossin Zwieg aber dankte das Blatt für ihr »Vertrauen zur Partei« und gab der Hoffnung Ausdruck, »daß Sie uns bald über die sozialistische Namensgebung Ihres Uwe berichten können«.
So gewiß nun diese parteiamtliche Trost-Epistel der Familie Zwieg zustatten kam, so sicher ist freilich auch, daß sie nicht nur abgefaßt wurde, um die SED wieder einmal als Ratgeberin in allen Lebenslagen zu empfehlen. Die Ostberliner Botschaft kommt vielmehr einer DDR-verbindlichen Grundsatzentscheidung gleich: Sie verpflichtet alle lokalen Partei-Instanzen, das weltanschauliche Aktionsprogramm der obersten Führung künftig nicht mehr - wie etwa im Falle Zwieg - durch kleinliche Quertreibereien zu hemmen.
Die Partei-Spitze hat nämlich erkannt, daß ihr der erstrebte Austausch christlicher Bindungen durch die Glaubensleere des Atheismus bei der Bevölkerung um so leichter fällt, je weniger sie die formale Kirchenzugehörigkeit der DDR-Bürger bekrittelt und je intensiver sie dafür ihren sozialistischen Ersatzkult als zeitgemäß und mithin opportun propagiert. Den Führungs-Genossen in der Ostberliner Wilhelm-Pieck-Straße blieb nicht verborgen, daß sich die traditionelle Bindung an die Kirche bei der Mehrheit der DDR-Deutschen ohnehin nur noch in der Teilnahme an christlichen Weihehandlungen dokumentiert, die zudem nicht mehr als Glaubensakte, sondern lediglich als gefühlsträchtige und darum willkommene Stimmungsmache empfunden werden.
Folgerichtig benützte die Einheitspartei deshalb das Gerüst überkommener bürgerlicher Weihe-Formalismen für ihre Ziele und etablierte
- die sozialistische Namensgebung als Ersatz für die Taufe,
- die sozialistische Jugendweihe als Ersatz für die Konfirmation,
- die sozialistische Eheschließung als Ersatz für die kirchliche Trauung und
- die sozialistische Totenweihe als Ersatz für das kirchliche Begräbnis.
Zugleich sorgten die SED-Kultspezialisten dafür, daß alle diese Neuerungen sich in möglichst feierlichem Rahmen vollziehen: Raumschmuck, Kerzen und wertvoll aussehende Ur-kunden gehören ebenso zum, Zeremoniell wie spalierbildende Jung-Pioniere, festliche Reden und dunkelgewandete Zeremonienmeister. Die Kosten tragen Betriebe und Staat. Sie bezahlen auch den Musikanten, der - allzeit Höhepunkt kleinbürgerlicher Gefühlswallung - Händels einschlägiges »Largo« aufs Cello zu schaben hat.
Tatsächlich scheint die Spekulation der SED auf das säkularisierte Seelenleben ihrer Untertanen aufzugehen: Namentlich die steigende Zahl der Jugendweihlinge berechtigt zu sozialistischen Hoffnungen, wozu neben der Anziehungskraft zu Herzen gehender Feiern vermutlich auch die Einsicht der Eltern beigetragen hat, daß zu einem freudvollen Leben in der DDR heutigentags eher der Segen der Partei denn der Gottes nötig sei.
Gleich eindrucksvolle Erfolge sind den DDR-Verwaltern auf dem Gebiet der sozialistischen Namensgebung bislang allerdings versagt geblieben. Der Widerstand geht vor allem von den noch in kirchlichen Traditionen wurzelnden Großeltern, Onkeln und Tanten aus, die noch immer lieber sehen, daß sich die Hand des Pfarrers als die des »Beauftragten für das Personenstandswesen« auf den Säugling senkt.
Um diesem bürgerlichen Vorurteil abzuhelfen und den Vorzügen fortschrittlicher Lebensweise endgültig Anerkennung zu verschaffen, setzen die Staats-Atheisten ihre Hoffnung nunmehr auf den gesunden familiären Erwerbssinn der DDR-Bewohner:
Jedem Partei-Täufling - also auch dem jüngst durch allerhöchsten Gunsterweis auf den Weg in die »sozialistische Menschengemeinschaft« gebrachten Schweriner Wickelknaben Uwe - winkt als Staatspräsent ein Sparkassenbuch mit einem Guthaben zwischen 50 und 100 Mark.
Sozialistische Namensweihe: Statt Gottes Segen 100 Mark