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SCHWEDEN / STRAFVOLLZUG Mit Damenbesuch

aus DER SPIEGEL 40/1967

Ein Mörder, vor wenigen Jahren zu lebenslanger Gefängnisstrafe verurteilt, durfte seine Zelle räumen. Seit vorigen Monat verbüßt er den Rest der Strafe in Gesellschaft seiner Ehefrau -- ohne Wärter -- in einer staatlichen Dienstvilla.

Der so mild behandelte Mann lebt in Schweden. Sein Fall ist das bisher aufsehenerregendste Experiment der schwedischen Gefängnisbehörde zur Humanisierung des Strafvollzugs. Der perfekte nordische Wohlfahrtsstaat gewährt auch seinen Kriminellen ein Höchstmaß an Wohlstand in fidelen Gefängnissen.

Der Mörder, 30, war nach dem Urteil in einem ausbruchsicheren Gefängnis verwahrt worden. Gute Führung sicherte ihm das Vertrauen seines Direktors -- und immer mehr Freiheiten. Jetzt lebt er als erster rückfall-unverdächtiger Schwerverbrecher so normal und beinahe so frei wie seine unbescholtenen Landsleute.

Im August zog das Ehepaar mit eigenen Möbeln in einem geheimgehaltenen Ort Mittelschwedens in eine Villa ein, die von der Gefängnisbehörde gekauft worden war.

Der Mann arbeitet für vollen Lohn -- rund 1200 Kronen (925 Mark) -- in einem Baubetrieb, zahlt die üblichen Steuern und für seine drei Zimmer, Diele, Küche und Bad monatlich gut 80 Mark Miete. Daß er Mörder ist, weiß nur die Gemeindeverwaltung.

Um die ihm noch zugemuteten Auflagen können ihn die Schwerverbrecher aller Länder beneiden: Er muß sich zuweilen bei einem Gefängnisbeamten melden, bekam Alkoholverbot und darf nur mit behördlicher Genehmigung verreisen.

Bis zum Jahreswechsel sollen zwei weitere Lebenslängliche mit ihren Frauen in Villen resozialisiert werden, darunter ein Jüngling, 23, der 1963 einen Raubmord verübte.

Die Ehefrau, die für das Villenleben Voraussetzung ist, läßt der junge Raubmörder sich mit gefängnisbehördlicher Genehmigung im Oktober noch antrauen: ein gleichaltriges Mädchen, das er vor zwei Jahren beim Gottesdienst in einer Kirche kennenlernte.

Initiator des Experiments, das es selber »eine Art Hausarrest« nennt, ist der Generaldirektor des schwedischen Gefängniswesens, Torsten Eriksson. Er ist wie viele Soziologen und Psychologen der Meinung, daß ein Verbrecher fast zwangsläufig rückfällig wird, wenn er nach langer Isolierung plötzlich vor das Gefängnistor gesetzt wird -- und als Vorbestrafter kaum Chancen in der Freiheit hat.

Die Resozialisierung, so Eriksson, sei eher möglich, wenn der Gefangene mit der Umwelt vorher schon Kontakt hatte, insbesondere mit Familienangehörigen.

Das Gefängnis in Nacka (Stockholm) läßt bereits seit Jahren jeweils zehn Gefangene gegen Ende ihrer Strafzeit, in ein eigenes Haus umziehen und in den Arbeitsprozeß eingliedern.

In den Jugendstrafanstalten werden Häftlinge in einem handwerklichen Beruf ausgebildet und arbeiten dann mit Unterstützung der Gewerkschaften außerhalb der Anstalt -- ohne Bewacher.

Wer genügend Grundlagen mitbringt, kann sich in der Gefängnisschule auch geistig fortbilden. Der erste Fünfwochen-Kursus mit zehn Sträflingen aus mehreren Gefängnissen wurde im Frühjahr abgehalten: Schwedisch, Englisch und Mathematik wie in der siebten Grundschulklasse.

Der Lehrgang wird im kommenden Winter und im nächsten Jahr als achte und neunte Grundschulklasse fortgesetzt. Demnächst soll erstmalig ein Gymnasialkursus eingerichtet werden.

Schweden hat seine Gefängnisse allgemein so weit modernisiert, daß die Zellen gutbürgerliches Hotelzimmerniveau haben. Eine neue Strafanstalt in Kumla wurde von vornherein als Komfort-Herberge gebaut. Kosten pro Bett: rund 80 000 Mark.

Kumla hat Sportanlagen, Saunas und Hobbyräume. In den Zellen stehen bequeme Möbel und ein Rundfunkgerät. Die Fenster sind mit Doppelgardinen versehen: vor den schwedischen hängen solche aus Stoff.

Je 20 Kumla-Zellen haben einen eigenen Flur, an dem Toilette und Duschraum liegen. Die Zellentüren lassen sich auch von innen öffnen.

Zum Komfort kam der Sex. Generaldirektor Eriksson: »Eine intime Verbindung zwischen den Gefangenen und ihren weiblichen Partnern wird hierzulande allgemein als natürlich empfunden.«

Eriksson erlaubte Ehefrauen und Bräuten den Zellenbesuch zu ungestörtem Beisammensein. In Gefängnissen mit Gemeinschaftszellen wurden Sonderabteilungen mit Chambres séparées eingerichtet.

Das nächste Experiment der schwedischen Gefängnisbehörde: Neun Langzeit-Gefangene verbrachten, von zwei Wärtern in Zivil nur schüchtern beaufsichtigt, drei Wochen Sommerurlaub in den mauer- und gitterlosen Baracken einer stillgelegten Strafanstalt im Härjetal -- mit Ehefrau oder Braut, sofern vorhanden. Zerstreuungen: Wald- und Bergwandern, Angeln, Schwimmen, Federball, Krocket und Fernsehen.

Die Besserung-durch-Freude-Aktion soll, weil keiner der neun die Fluchtgelegenheit nutzte, im nächsten Jahr mit 140 Knast-Urlaubern wiederholt werden. Und wenn die drei Villen-Häftlinge in Mittelschweden brav bleiben, will die Gefängnisbehörde in weiteren Orten Villen kaufen oder bauen.

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