PROTOKOLL Mit dem Degen
Lange wartete Katholik Helmut Kohl auf einen Händedruck seines geistlichen Oberhauptes. Mißgelaunt betrachtete der CDU-Chef und Oppositionsführer von fern, wie Papst Johannes Paul II. im November vorigen Jahres beim Staatsempfang auf Schloß Augustusburg zu Brühl frohgemut mit Präsidenten und Exzellenzen plauderte.
Als der Pontifex endlich von der feinen Gesellschaft im vorderen Saal zu den im hinteren Gemach aufgestellten Honoratioren wandelte, war der CDU-Maximus immer noch nicht dran. Kabinettsherren und Provinzfürsten hatten vor ihm die Ehre.
Die Schmach ließ der rangstolze Pfälzer nicht auf sich sitzen. Gleich nach der Papst-Visite klagte Kohl bei seinem Freund, Außenminister Hans-Dietrich Genscher, über die protokollarische Mißachtung. Seither schwelt Zwist zwischen den beiden ranghöchsten beamteten Etikette-Bewahrern des Bundes, den gräflichen Cousins Finckenstein.
Hans-Werner Graf Finck von Finckenstein nämlich, Leiter der Protokoll-Abteilung des Auswärtigen Amtes, wollte dem Wink seines Ministers folgen und den Vorsitzenden der stärksten Fraktion des Bundestages wenigstens über die Ministerpräsidenten erheben.
Vetter Theodor Graf Finck von Finckenstein aber, Protokoll-Beauftragter des Bundesinnenministers, sperrte sich. Wer garantiere denn, so fragte er, daß sich beim nächstenmal nicht die Länderchefs über eine Degradierung beschweren würden.
Innen-Finckenstein verteidigt eine Hackordnung, die er einst selbst erfunden hat. Graf Theodor ist Autor des »Entwurfs einer protokollarischen Ordnung«, der zwar nicht durch förmlichen Beschluß verbindlich ist, der aber seit vielen Jahren widerspruchslos respektiert wird -- auch von Außen-Finckenstein.
Danach steht der Bundespräsident als erster im Glied, wo immer der Staat repräsentiert -- sei es bei Staatsakt, Staatsempfang, Staatsbesuch oder Staatsbegräbnis. Ihm folgen die Spitzen der anderen Verfassungsorgane: Bundestagspräsident, Kanzler, Bundesratspräsident und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts.
Dann treten auf: der Doyen des diplomatischen Korps, die Missions-Chefs im Botschafterrang, die Oberen der Katholiken, Protestanten und Juden, die Mitglieder der Bundesregierung, S.50 die Regierungschefs der Länder, gemeine Kardinäle und Patriarchen. Erst danach sind, weit abgeschlagen in der Hierarchie, die Vorsitzenden der Fraktionen und Parteien an der Reihe.
Welch niedere Sprosse auf der Rangleiter staatlicher Würden einem Oppositionsführer zugewiesen wird, war Helmut Kohl bisher nicht bewußt. Denn wenn die Prominenz zum Staatsschmaus an die Tische gesetzt wird, ersinnen die Protokoll-Beamten eine »Gesäßgeographie« (Innen-Staatssekretär Günter Hartkopf), die Klassenunterschiede wahrt, sie aber optisch mildert.
Auch beim gewöhnlichen Defilee vorbei an einem Staatsgast fällt die Rangfolge der Gäste nicht so auf: Die Amtsträger brauchen sich nicht in eine lange Schlange zu stellen, sondern werden diskret aufmerksam gemacht, wenn sie mit Händeschütteln dran sind.
Um Kohl auf einen besseren Tabellenplatz zu hieven, arbeitete Genschers Finckenstein eine neue Rangordnung aus. Außenamts-Staatssekretär Günther van Well legte sie schon vor Weihnachten den beamteten Staatssekretären zur Billigung vor. Die aber, unverhofft mit einer so heiklen Entscheidung konfrontiert, baten um Bedenkzeit.
Erst nach der Sitzung erfuhr Theodor Graf Finck von Finckenstein, welche Veränderung sein auswärtiger Vetter ohne familiäre oder berufliche Konsultation, ja, ohne federführend zu sein, klammheimlich vorbereitet hatte. Unverzüglich faßte der Ministerialrat alle Bedenken zusammen, stempelte das Papier »Geheim« und trug das Werk zu seinem Staatssekretär Hartkopf.
Zwar teilt der ("In Protokollfragen fehlt mir der Ernst") nicht die Begeisterung fürs Zeremoniell. Da Hartkopf aber jede Änderung nur Arbeit macht, trug er die Argumente seines Finckensteins auf der Januar-Sitzung der Staatssekretäre vor. Ergebnis: Wieder kam kein Beschluß zustande.
Die Runde verfiel auf die Lösung, die Vettern Finckenstein zu einer Arbeitsgruppe zusammenzufassen mit dem Auftrag, das Problem noch einmal gründlich zu durchdenken.
Das sorgfältige Nachsinnen über eine »rationale Präsenz« der gewählten und ungewählten Würdenträger hält Außenamts-Sprecher Klaus Bald für unerläßlich. Sonst, so fürchtet er, drohten dem Gemeinwesen Zustände wie vor dem Wiener Kongreß 1814/15 -damals erkämpfte sich mancher seinen Platz an der Tafel noch mit dem Degen.
Welche Verdienste sich danach die Beamten des Fürsten Metternich um die Etikette erwarben, lobte Protokoll-Papst Theodor Graf Finck von Finckenstein schon 1977 in der Wochenzeitung »Das Parlament«. Dort erörterte er außerdem, welcher Platz den Stellvertretern der »höchsten Repräsentanten des öffentlichen Lebens« zukommt, wenn diese an Staatsfeiern selbst nicht teilnehmen.
Der forschende Finckenstein fand heraus, daß auch vor dem Wiener Kongreß nicht blanke Anarchie waltete. Die Stellung der Stellvertreter, entdeckte er, wurde schon in der »Goldenen Bulle« Kaiser Karls IV. im Jahre 1356 festgelegt: Wer einen der sieben Kurfürsten vertrat, übernahm zwar dessen Funktion, hatte aber keinen Anspruch auf seinen Platz in der Rangfolge.
S.50Im November 1980 im Brühler Schloß Augustusburg. Vorn Papst JohannesPaul II. und Bundespräsident Karl Carstens; in der fünften ReiheCDU-Chef Helmut Kohl (Pfeil), vorn rechts (mit Brille)AA-Protokollchef Finckenstein.*