»Mit der Eta kann man reden«, Autonomie oder Unabhängigkeit
SPIEGEL: Herr Arzallus, Sie sind einer der Väter des neuen Autonomiestatuts, über das die Bewohner des Baskenlandes am vorigen Donnerstag abgestimmt haben. Sie gehörten der Verhandlungskommission an, die das Statut in diesem Sommer mit der Regierung in Madrid ausgehandelt hat. Sind Sie enttäuscht, daß nur so wenige Wähler -- rund 60 Prozent -- zur Abstimmung gingen?
ARZALLUS: Nein, ganz und gar nicht. Ich habe nie geglaubt, daß wir mehr als 60 Prozent Wahlbeteiligung haben würden. Wenn Sie sich die Ergebnisse früherer Abstimmungen im Baskenland ansehen, zeigt sich, daß sich zum Beispiel in der Provinz Guipúzcoa, für die ich Abgeordneter bin, bei den letzten Gemeinderatswahlen auch 35 Prozent der Wähler der Stimme enthalten haben.
SPIEGEL: Wenn unterm Strich also nur rund die Hälfte der Bevölkerung für das Statut gestimmt hat, so ist das für Sie schon ein Erfolg?
ARZALLUS: Ja, das ist hier nicht wie bei Ihnen in Deutschland. Für uns ist dieses Ergebnis großartig.
SPIEGEL: Aber diesmal konnten die Basken doch schließlich zum erstenmal frei über ihre ureigensten Interessen abstimmen, für die sie seit Generationen kämpfen. Ist das Ergebnis so gesehen nicht doch etwas dürftig?
ARZALLUS: Erstens gibt es unter den Leuten, die sich der Stimme enthalten haben, viele, die keine Basken sind. Für sie ist das Ganze ein baskisches, nicht ihr eigenes Problem. Und zweitens haben auch eine Menge Leute nicht abgestimmt, denen diese Autonomie zu wenig ist.
SPIEGEL: Sie meinen zum Beispiel die Anhänger von Herri Batasuna, jenem Parteibündnis, das der Untergrundorganisation Eta Militar nahesteht.
ARZALLUS: Zum Beispiel.
SPIEGEL: Die Eta Militar hat keinen Zweifel gelassen, daß sie ihren bewaffneten Kampf fortsetzen wird, eben weil ihr dieses Autonomiestatut nicht ausreicht. Wie wollen Sie mit diesem militanten Widerstand fertig werden?
ARZALLUS: Viele Leute sagen jetzt, wir müssen gegen die Eta kämpfen. Ich sehe das nicht so. Wir werden ein baskisches Parlament wählen und eine baskische Regierung. Diese baskische Regierung muß wie jede andere auch zu allererst Rechtssicherheit für die Bürger herstellen und garantieren. SPIEGEL: Und bis dahin?
ARZALLUS: Bis dahin haben wir keine Möglichkeit, etwas gegen die Eta zu unternehmen. Was sollen wir denn tun? Mit Pistolen gegen die Eta vorgehen?
SPIEGEL: Das neue Autonomiestatut sieht unter anderem eine eigene baskische Polizei vor. Können Sie sich vorstellen, daß die mit Gewalt, so wie vorher die spanische Polizei, gegen radikale baskische Separatisten vorgehen wird?
ARZALLUS: Nicht gegen baskische Separatisten, wohl aber gegen Leute, die kriminell gegen die Rechtsordnung verstoßen.
SPIEGEL: Das hat die Eta ja in vielen Fällen getan: Sie hat zum Beispiel Menschen entführt und erschossen. Wird also die baskische Polizei auf diese Basken schießen oder sie einsperren? ARZALLUS: Das wird sie müssen. SPIEGEL: Die spanische Polizei ist trotz schärfster Repressionsmaßnahmen mit der Eta nicht fertig geworden. Trauen Sie den baskischen Polizisten da mehr zu?
ARZALLUS: Die spanische Polizei entstammt einer diktatorischen Vergangenheit, einer Zeit, da die Polizei sehr wenig professionell war und nur mit Terror gearbeitet hat. Die Bevölkerung im Baskenland hatte keinerlei Vertrauen zu dieser Polizei, sie war zum Einsatz gegen die Eta überhaupt nicht geeignet. Unsere neue baskische Sicherheitstruppe dagegen wird die Unterstützung der Bevölkerung haben.
SPIEGEL: Aber damit ist das Problem nicht gelöst. Die Eta hat gegen die spanische Polizei gekämpft, weil sie in ihr eine Art Besatzungsmacht sah. Besteht nicht die Gefahr, daß sie die neue baskische Regierung samt ihrer Polizei nur als Marionette dieser Besatzungsmacht ansieht und entsprechend bekämpft?
ARZALLUS: Ich glaube nicht, daß die Eta uns so einschätzt. Ich glaube, daß man mit der Eta reden kann. Wenn Madrid nur ein bißchen intelligent ist, kann man nicht nur miteinander reden, sondern auch Lösungen finden.
SPIEGEL: Hat es denn schon einen Dialog gegeben?
ARZALLUS: Keinen richtigen. In Madrid müßte eine Regierung mit wirklicher Autorität sitzen, um mit der Eta reden zu können.
SPIEGEL: Und hat die Regierung von Ministerpräsident Suárez diese Autorität nicht?
ARZALLUS: Bis jetzt nicht.
SPIEGEL: Ihre Partei, die eher konservative Baskisch-Nationalistische Partei PNV, sieht in den Kämpfern von der Eta so etwas wie ihre »mißratenen Söhne«. So hat PNV-Präsident Garaicoetxea einmal gesagt ...
ARZALLUS: Die Sache ist sehr einfach. In den 40er Jahren gab es im Baskenland junge Leute, die glaubten, daß gegen eine Diktatur wie die von Franco nur mit den Mitteln der Gewalt vorgegangen werden kann.
SPIEGEL: Glaubte die PNV das auch?
ARZALLUS: Wir haben das Prinzip, daß Gewalt manchmal nur mit Gewalt zu beseitigen ist, nie in Frage gestellt. Es hängt davon ah, ob solche Gewalt erfolgreich sein kann oder ob sie nur noch schlimmere Zustände hervorbringt. Wir meinten damals, ohne äußere Unterstützung sei es sinnlos, die etablierte Franco-Diktatur mit Waffengewalt zu bekämpfen. Später wuchs eine neue Generation heran, die wieder zu den Waffen griff. Das ist die Eta. Das Wesentliche an ihr ist eine Art Nationalideal und dieser Drang, gegen die Diktatur zu kämpfen.
SPIEGEL: Aber wieso auch heute noch?
ARZALLUS: Die Eta Militar sieht ihren Kampf ganz sicher auch heute noch in erster Linie als einen nationalen Befreiungskampf an, die Eta Politico-Militar nicht mehr.
SPIEGEL: Die Eta Politico-Militar, das ist der gemäßigte Flügel der Untergrundorganisation, befürwortet das Autonomie-Statut, ohne ganz auf den bewaffneten Kampf zu verzichten. Aber sie kämpft mehr zur Durchsetzung des Marxismus-Leninismus, das heißt, sie versucht, ein ganz anderes System zu erkämpfen als das, was Sie wollen. Wie werden die bürgerlichen Regierenden im Baskenland künftig darauf reagieren?
ARZALLUS: Natürlich mit Gewalt, wenn die Eta wirklich mit Waffen gegen unser demokratisches System vorgeht.
SPIEGEL: Viele Gegner Ihres Autonomie-Kurses glauben, daß die jetzt zugestandene Autonomie nur auf dem Papier besteht, daß Madrid Sie ausgetrickst hat. Fürchten Sie das auch?
ARZALLUS: Ich fürchte das nicht. Aber es wäre natürlich möglich, daß Madrid das Autonomiestatut ganz anders versteht als wir. Es sind ja eine Menge Gummi-Paragraphen arm. Aber wenn sich herausstellt, daß Madrid uns da absichtlich hintergangen hat, dann werden wir künftig für die Herri Batasuna sein. Angst haben wir jedenfalls nicht. Wir alle haben lange Kampferfahrung. Wir alle sind in der Franco-Zeit im Gefängnis oder im Exil gewesen.
SPIEGEL: Und rechnen Sie damit, daß Ihnen das möglicherweise noch einmal passieren könnte?
ARZALLUS: Ganz gelaufen ist die Sache noch nicht, der Franquismus ist durchaus noch lebendig, aber wir haben keinen Hitler und keinen Mussolini. Da müßte schon ein ganz extremer Fall eintreten, wenn wir hier noch einmal zur Diktatur zurückkehrten.
SPIEGEL: Ein paar Militärs haben immerhin gesagt, daß durch das Autonomiestatut die Einheit der spanischen Nation gefährdet wird. Trauen Sie denen zu, daß sie eine Rückkehr zu alten Zeiten anstreben?
ARZALLUS: Vielleicht würden sie es gerne versuchen, aber sie können wohl nicht. Sie haben weder Unterstützung von außen noch irgendeine Koordination. Wirtschaftliche Interessen stünden dagegen, und schließlich ist ja auch noch Europa da.