»Mit der Nadel einen Brunnen graben«
Wenn Dorothea Otto, Grundschullehrerin in Berlin-Moabit, die Vornamen ihrer Schülerinnen und Schüler vorliest, hört sich das an wie der Auszug aus einem europäischen Adreßbuch:
Ozan, Diren, Marcelle, Jascha, Rene, Philipp, Jan, Kenan, Dilek, Melek, Hala, Itaff, Sevki, Sabine, Anja, Christian, Yvanro, Judith, Serpa, Hülya.
Auch wenn Maria Seidler in Stuttgart-Zuffenhausen vor die Klasse 9 b der Hohenstein-Schule tritt, ist ihr Auditorium international: Von den 21 Schülerinnen und Schülern sind 2 Deutsche und 19 Ausländer verschiedener Nationalität. Wie sich das Schulmädchen Stefanie, 15, inmitten ihrer ausländischen Schulkameraden fühlt, hat sie in einem Aufsatz beschrieben:
Da ich, abgesehen von einem Mitschüler, die einzige Deutsche in meiner Klasse bin, bin ich das Zusammensein mit Ausländern gewohnt. Ich bin schon oft von Schülern gefragt worden, ob mir das nichts ausmache. Nein, das macht mir nichts aus, solange sie Deutsch reden, damit ich auch etwas verstehe; denn ich mag nicht, wenn die Schüler sich in ihrer Muttersprache unterhalten. Da kommt man sich manchmal richtig als Außenseiter vor, wenn in der großen Pause immer dieselben Gruppen beisammenstehen. Sie sprechen dann Griechisch, Jugoslawisch, Italienisch, Türkisch usw.
Jutta Reinitzer, Leiterin der Haupt- und Realschule Friedrichstraße im Hamburger Stadtteil St. Pauli, hat es an ihrer Anstalt mit einem kaum minder bunten Völkergemisch zu tun - Ausländeranteil: 70 Prozent. »Bei 30 Prozent deutschen Kindern«, sinniert die Schulleiterin, »muß man sich schon fragen, wer soll hier eigentlich wen integrieren?«
Ob die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist oder nicht - nirgendwo sonst erweist sich der Bonner Politiker-Streit um dieses Thema als ähnlich vorgestrig wie an den Schulen des Landes. »Hier sind«, notierten letzten Monat die »Stuttgarter Nachrichten«, »die Ländergrenzen zum europäischen ,Binnenmarkt' bereits gefallen.« Die Schule ist zur Schule der Nationen geworden.
Innerhalb von fast 20 Jahren ist der Ausländeranteil an Westdeutschlands Schulen von 1,7 auf 9,1 Prozent emporgeschnellt. Inzwischen zählen die Statistiker 845 000 ausländische Schüler. Wenn die Kinder der deutschstämmigen, aber nur selten deutschsprachigen Aussiedler aus Polen, Rumänien und der Sowjet-Union mitgerechnet werden, die jetzt zu Hunderttausenden in die Bundesrepublik kommen, ist die Millionen-Grenze bald überschritten (siehe Kasten Seite 76).
Längst hat die deutsche Schulwirklichkeit die Politiker-Fiktion widerlegt, ausländische Arbeitnehmer seien als Besucher auf Zeit ins Land gekommen.
»Wir haben immer betont, daß wir kein Einwanderungsland sind, ohne daraus Konsequenzen zu ziehen«, räumte die Berliner CDU-Schulpolitikerin Hanna-Renate Laurien schon vor Jahren ein. Folge: Der anhaltende Zuzug, verbunden mit einer »gravierenden Ausländerballung« in einigen Regionen, habe dazu geführt, daß das Ausländerproblem vielerorts »die Schule überrollt hat«.
In Flächenstaaten wie Nordrhein-Westfalen (NRW) ist im Schnitt jeder zehnte Schüler Ausländer, in Großstädten zumindest jeder dritte. In bestimmten Schulformen und in bestimmten Stadtvierteln liegen die Anteile weitaus höher.
Während ausländische Schüler zum Beispiel in Frankfurt (Stadt-Schnitt: 32,1 Prozent) rund 15 Prozent der Gymnasiasten ausmachen, stellen sie dort nahezu 60 Prozent der Hauptschüler. In der Karmeliterschule, mitten im Bahnhofsviertel, erreicht der Ausländeranteil mit 88 Prozent einen lokalen Rekordwert. Unter seinen Schülern, sagt Schulleiter Bernhard Wiedicke, seien »bis zu 28 Nationen« vertreten, am stärksten, wie fast überall, die Türkei.
Von Extremwerten wie in Frankfurt hoffen politische Extremisten bald bundesweit zu profitieren. Die rechten Republikaner haben bereits bei der jüngsten Berliner Wahl überdurchschnittlich viele Stimmen in benachteiligten Stadtteilen mit niedrigem Bildungsniveau und großer Wohnungsnot kassiert - in Vierteln, in denen Unmut brodelt über hohe Ausländeranteile an den Schulen.
In Berlin-Kreuzberg, im Volksmund »Klein-Istanbul« genannt, herrscht bei deutschen Eltern der Eindruck vor, die Lebenschancen ihrer nicht gerade durch Herkunft privilegierten Kinder würden durch Schulen mit vielen ausländischen Kindern noch zusätzlich geschmälert. »Unsere Kinder sind nicht die Krücken, mit denen die Ausländer laufen lernen sollen« - mit derlei Argumenten, heißt es in einer Berliner CDU-Studie, meldeten deutsche Eltern, darunter auch Linke und Alternative, ihre Kinder auf Schulen in anderen Stadtteilen um.
Schulflucht wie in Berlin registrieren Behörden auch anderswo. In Nordrhein-Westfalen werden, wie ein Kultusministerialer weiß, katholische Bekenntnisschulen von Protestanten als »Fluchtburgen vor Türken« geschätzt. In München wundert sich der Gymnasiallehrer Klaus Weinzierl: »Auf der Flucht vor Ausländerkindern sind dieselben Eltern, die vom Sommerurlaub an der türkischen Ägäis schwärmen.«
Schulpraktiker schließen nicht aus, daß extrem hohe Anteile von Ausländern mit Sprachproblemen den Unterricht belasten, zumal dann, wenn nicht für kleine Klassen gesorgt ist. »Wir machen normalen Unterricht«, sagt eine Lehrerin von der Friedrich-Fröbel-Schule, einer Frankfurter Grund- und Hauptschule, »aber wir müssen unser Niveau angleichen an die Sprachkenntnisse« - also senken. Die ausländischen Schüler seien zwar »nicht leistungsschwächer«, urteilt die Pädagogin, »aber sie haben oft keine Muttersprache«.
Rein statistisch gilt die Fröbel-Schule mit 47 Prozent Ausländern als überwiegend deutsch, doch die Praxis sieht anders aus: »Als Deutsche«, sagt die Lehrerin, »gelten auch die jungen Aussiedler aus Rußland und Polen, deren Mütter kein Wort Deutsch sprechen.«
In Klassen mit mehr als 50 Prozent Ausländeranteil, meint eine Lehrerin aus Hamburg-Altona, lägen die schulischen Anforderungen häufig »weit unter dem Lehrplan«. Der Hamburger Pädagoge Jürgen Häveker fordert: »Höchstens jeder zweite Schüler in einer Klasse darf Ausländer sein.«
Als Ausländerfeinde wollen sich solche Kritiker nicht verstanden wissen. Viele Pädagogen halten es »absolut für eine Bereicherung, wenn Ausländer in einer Klasse sind; das bringt ein total anderes Klima, ich genieß' das sehr, wenn's sich mischt«, sagt Maria Daiber, Sonderschullehrerin in Bad Wurzach in Oberschwaben. Problematisch allerdings werde es, fügt sie hinzu, wenn der Ausländeranteil zu sehr steige: »Wenn du 50 Prozent Türken drin hast, dann wird der Unterricht mühsam. Das senkt das Niveau. Da ist individuelle Förderung nicht mehr möglich.«
Daß der Ausländer-Anteil in letzter Zeit mancherorts rapide gestiegen ist, an den Frankfurter Hauptschulen in zehn Jahren von 28 auf 59 Prozent, ist nur zum Teil auf erhöhte Gastarbeiter-Zahlen zurückzuführen. Die Summe der ausländischen Schulpflichtigen in der Main-Metropole ist seit 1979 nur von 10 075 auf 17 409 gestiegen, die Zahl der deutschen Schüler fiel unterdessen, Folge des Pillenknicks, von 62 869 auf 36 899.
Die negativen Folgen dieser Entwicklung für deutsche Schüler scheinen weithin überschätzt zu werden. Wenn auch noch so viele Lehrer über die Unterrichtsbedingungen in Klassen mit sehr hohem Ausländeranteil klagen - für die deutschen Kinder kann diese Konstellation in gewisser Weise von Vorteil sein.
Diese überraschende Erkenntnis hat das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin zutage gefördert. Dort haben die Soziologen Gero Lenhardt und David Baker in zweijähriger Arbeit bewiesen, daß deutsche Schulkarrieren oft erst richtig in Schwung kommen, wenn viele ausländische Schüler mit in den Klassenzimmern sitzen.
Die Wissenschaftler sammelten Schülerzahlen aus allen westdeutschen Stadt- und Landkreisen und verglichen den Anteil deutscher und ausländischer Schüler in verschiedenen Schulformen. Heraus kam dabei sozusagen ein neues pädagogisches Gesetz: Je mehr ausländische Schüler in die Hauptschule strömen, desto leichter fällt deutschen Pennälern der Aufstieg in Realschule und Gymnasium.
Erklären läßt sich der Mechanismus mit einer weiteren, allerdings uralten Formel: Schulzensuren werden im »Nullsummenspiel« (Lenhardt) vergeben, gute und schlechte Noten sind gleichmäßig zu streuen. Ausländische Kinder verlieren das Spiel zumeist - wegen schlechter Sprachkenntnisse und oft geringer Bildungsbeflissenheit ihrer Eltern.
Wenn also in der Grundschule »das Soll schlechter Zensuren von ausländischen Schülern besetzt« sei, erklärt Lenhardt, dann bekämen »die deutschen zwangsläufig das Soll günstiger Empfehlungen«. Den ohnehin kräftig geschrumpften Hauptschulen entschwinden damit vielerorts die meisten deutschen Schüler, die nach dem vierten oder sechsten Jahr in Realschulen oder Gymnasien abwandern.
In den von diesen Spitzenschülern weitgehend verlassenen Hauptschulen wiederum liegen, was Wunder, oft junge Ausländer vorn. Rektor Gustav Lutz von der Karlsruher Schiller-Hauptschule etwa berichtet: »Unsere türkischen und vor allem die griechischen Schüler gewinnen einen Schulpreis nach dem anderen.« In Hamburg erreichen ausländische Hauptschüler mit 87 Prozent neuerdings eine höhere Abschlußquote als deutsche Mitschüler (85 Prozent), die den Absprung ins Gymnasium oder auf die Realschule nicht geschafft haben.
Auch auf den höheren Schulen sind die jungen Ausländer im Kommen. In Frankfurt hat sich an diesen Schularten ihr Anteil seit 1979 verdreifacht. Bernhard Eibeck, Ausländerexperte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), führt das darauf zurück, daß sich das Sprachvermögen der Ausländer, die häufig schon in zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben, in den letzten Jahren »stark verbessert« habe.
Nach Schätzungen des niedersächsischen Kultusministeriums sind heute »bis zu 50 Prozent« der Ausländerkinder »sprachmäßig von Deutschen nicht mehr zu unterscheiden«; weitere 30 bis 40 Prozent der ausländischen Schüler sprechen immerhin »Deutsch als Fremdsprache": Sie können zwar mitreden, verfügen aber über einen »deutlich restringierten Code« - auf deutsch: Wortschatz und Grammatik sind noch beschränkt.
Positiv wirkt sich aus, daß immer mehr Ausländer immer länger in der deutschen Fremde leben - den Kulturschock haben die meisten überwunden. So wie sich viele Deutsche an Türken, Jugoslawen und Griechen gewöhnt haben, haben sich Ausländer, vor allem die Kinder, deutschen Habitus längst zu eigen gemacht.
In einigen Fällen wirken solche Schülerinnen und Schüler gar überangepaßt. »Manche Ausländerkinder«, hat ein Hauptschullehrer in Hannover beobachtet, »wollen die besseren Deutschen sein.« An Strebsamkeit, Fleiß, Disziplin und modisch gestyltem Äußeren »lassen die sich kaum überbieten«.
Die Anpassungsprozesse haben dazu beigetragen, daß mittlerweile jeder fünfte ausländische Schüler den Realschulabschluß schafft, jeder 20. das Abitur. Erleichtert werden solche Karrieren neuerdings durch den demographisch bedingten Schwund deutscher Schüler an höheren Lehranstalten.
Max-Planck-Forscher Lenhardt hat auch dafür eine Formel parat: »Je mehr den höheren Schulen die Schüler ausgehen, desto besser sind die Aufstiegschancen der Ausländer.« In Landkreisen, in denen die Zahl deutscher Kinder drastisch sinkt, zeigt die Statistik einen ebenso deutlichen Zuwachs ausländischer Realschüler und Gymnasiasten.
Nach Lenhardts Ansicht steht bereits fest, daß »das deutsche Bildungssystem zum Vorreiter der Ausländerintegration geworden« sei. Erfahrungen von Praktikern stützen seinen Befund.
Im Alltag vieler Schulen machen sich heute selbst überdurchschnittliche Ausländeranteile kaum noch bemerkbar. Klaus Weinzierl, der am Gisela-Gymnasium in München-Schwabing Zehntkläßler unterrichtet, die zur Hälfte im Ausland geboren sind, urteilt, der Leistungsunterschied zwischen deutschen und ausländischen Schülern sei »inzwischen geringer als der zwischen einzelnen deutschen Schülern«. Weinzierl: »Ich habe Iraner und Italiener, die besser als acht andere sind.«
Auch Jochen Lottermoser, Rektor der Schiller-Schule im schwäbischen Albstadt-Onstmettingen, glaubt, daß »die Schwierigkeiten vorbei« seien, die Integration hält er für »gelungen«. Trotz eines Ausländeranteils von 30 Prozent läuft der Unterricht an seiner Schule »nicht anders, als wenn wir wenige oder gar keine Ausländer hätten«.
Die Nationalität vieler Kinder, wie sie im Paß vermerkt ist, macht sich im Schulalltag kaum mehr bemerkbar. Ausländer im baden-württembergischen Bildungswesen, meldete die »Stuttgarter Zeitung«, seien ein Problem, »das keines mehr ist« - Schule als Schmelztiegel.
Daß ausländische Kinder, bundesweiter Trend, zunehmend bessere Schulabschlüsse erlangen, führen Bildungspolitiker auf eine Vielzahl gezielter Aktionen zurück, die raschere Integration bewirken sollen. In Niedersachsen, beispielsweise, werden
jährlich 2,5 Millionen Mark für Hausaufgabenhilfe ausgegeben, die Ausländerkinder bei Vereinen und Verbänden finden,
die Lehrstunden in Jahrgängen mit mehr als 20 Prozent Ausländern erhöht,
in Schulungen, Kursen und Modellversuchen Hunderte von Lehrern auf Unterricht in ausländerstarken Klassen vorbereitet,
in Vorbereitungsklassen sogenannte Seiteneinsteiger - Schüler, die noch in ihrer Heimat eingeschult worden sind - auf das deutsche Schulwesen eingestimmt.
Ähnliche Bemühungen gibt es in allen Bundesländern, die Fortschritte der Ausländerintegration an den Schulen sind allerorten meßbar. Dennoch liegt bei genauerem Hinsehen vieles noch immer im argen.
Unverändert schlecht stehen die Chancen ausländischer Schüler in der Berufsbildung. Nur jeder vierte bekommt überhaupt einen Ausbildungsplatz (deutsche Schüler: 72 Prozent) - und auch das nur dank umfangreicher Förderprogramme der Bundesregierung.
In vielen Ausbildungsbetrieben gelten ausländische Bewerber nach wie vor als zweite Wahl. Eine Umfrage unter knapp 3000 niedersächsischen Betrieben zeigte, daß 57,5 Prozent der Unternehmer grundsätzlich nicht bereit sind, ausländischen Jugendlichen einen Lehrvertrag zu geben.
Als schier unüberwindbare Hürde dienen vielfach komplizierte Eignungstests, in denen weniger sprachgewandte Ausländerkinder schnell scheitern. Ein Modellprojekt des Bundesbildungsministeriums wies allerdings kürzlich bei Ingolstädter und Neckarsulmer Azubis nach, daß Erfolg oder Mißerfolg in solchen Tests über das Abschneiden in der Lehre rein gar nichts aussagen: Ausländische Metall-Lehrlinge, die im Test noch durchgefallen waren, absolvierten ihre Ausbildung mit Bravour.
Die ausländischen Hauptschüler ohne Abschluß sind für Hilfsarbeiterjobs programmiert, wenn nicht für Langzeit-Arbeitslosigkeit. Türkische Mädchen ohne hinreichende Qualifikation können nicht einmal Friseuse werden.
Integrationshindernisse und Bildungsbarrieren, an den Schulen weitgehend gefallen, entdecken Bildungsforscher häufig im Elternhaus. Verschreckt durch »Türken raus«-Parolen und verunsichert durch ein nicht gerade fremdenfreundliches Ausländerrecht, tun sich ausländische Arbeitnehmer oft schwer mit dem Entwurf einer Lebensplanung für sich und ihre Familie. Viele schwanken, ob sie ihre Söhne und Töchter eher für eine Rückkehr in die ländlich-konservative Türkei oder für eine Zukunft in der freizügigen westdeutschen Industriegesellschaft wappnen sollen.
In diesem Zwiespalt wachsen Kinder auf, die ohne Abschluß, als doppelte Halb-Analphabeten, die Schule verlassen, gerüstet weder für ein Leben in der Bundesrepublik noch in der Türkei. Für Besserung würde, auch nach Ansicht von Bildungspolitikern, womöglich ein Ausländerrecht sorgen, das Doppel-Staatsbürgerschaften ermöglicht, wie sie etwa der christdemokratische Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel fordert, oder zumindest die Einbürgerung solcher Ausländer erleichtert, die in der Bundesrepublik geboren sind.
Der Hamburger Innensenator Werner Hackmann (SPD) beispielsweise plädiert dafür, allen in Westdeutschland aufgewachsenen ausländischen Kindern einen Rechtsanspruch auf kostenfreie Einbürgerung zu geben. Außerdem soll die in der Bundesrepublik geborene dritte Ausländergeneration automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben. Die hinter solchen Vorschlägen weit zurückbleibenden Vorstellungen von Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) hält Hackmann für »halbherzig« und »völlig unzureichend«.
Besonders schlimm dran sind Kinder von Asylbewerbern, die in der Regel nicht einmal einen Rechtsanspruch auf Schulbesuch haben. Nur Bayern, Hessen und Niedersachsen schicken diese Kinder zur Schule. In den übrigen Bundesländern wird der Schulbesuch von Asylbewerber-Kindern zum bloßen »Gnadenakt« ("Frankfurter Rundschau") der Schulbehörden, die Förderklassen einrichten können, aber nicht müssen.
Solange sich das Asylverfahren der Eltern hinzieht, bleiben mitunter entscheidende Jahre schulisch ungenutzt. »Wenn die Kinder zwei bis drei Jahre nicht gefördert werden«, berichtet ein Mitarbeiter der Ludwigshafener Sozialbehörde, »bekommen wir nach der Anerkennung enorme Probleme, die Kinder überhaupt noch zu integrieren.«
Als Integrationshindernis für Ausländerkinder generell erweisen sich veraltete Unterrichtsformen, die noch aus den siebziger Jahren herrühren - jener Zeit, als Politiker der Illusion nachhingen, die sogenannten Gastarbeiter würden rasch wieder in ihre Heimat zurückkehren.
Damals wurden vielerorts reine Ausländerklassen eingerichtet, die den Schülern »möglichst Abschlüsse auf dem Niveau ihrer Heimatländer und der hiesigen Schulen vermitteln« sollten, um sie, wie es hieß, »auf eine jederzeitige Rückkehr vorzubereiten«.
Dieses Konzept gilt mittlerweile weithin als überholt. Bewirkt hätten die »nationalhomogenen Klassen«, resümiert das Düsseldorfer Kultusministerium, »eine Absonderung« der Ausländer von ihren deutschen Altersgefährten und obendrein »erhebliche Schwierigkeiten beim Erlernen der deutschen Sprache und beim Erwerb deutscher Schulabschlüsse« - mit dem angestrebten Doppelabschluß waren Schüler wie Lehrer schlicht »überfordert«.
Die Ludwigsburger Pädagogik-Professorin Ingelore Oomen-Welke fand heraus, daß türkische Schüler Nationalklassen zwar als Schutzraum empfinden, aber dazu neigen, sich abzukapseln, und kaum die Möglichkeit nutzen, im Umgang mit Schülern anderer Nationen Deutsch zu lernen.
Fazit: Was eines Tages den Anschluß ans Leben in der Türkei erleichtern sollte, erschwert nur das Fortkommen im deutschen Schulsystem. Und weil die wenigsten Schüler in die Türkei zurückkehren, bleiben den Nationalkläßlern nur die Schwächen dieser Unterrichtsform.
In Bayern, das 1973 die nationalen Separatklassen eingeführt hat, haben sich deren Nachteile zuerst herausgestellt. 15jährige Absolventen, die sich beim Arbeitsamt vorstellten, verstanden bisweilen die simpelsten Fragen nicht, wurden gleich wieder abgewiesen und fühlten sich »ganz eindeutig angeschmiert«, wie ein Elternverband vor Jahren beklagte: »Neun Jahre Schule für nichts und wieder nichts.«
Inzwischen ist der Anteil der Ausländer in Nationalklassen in Bayern auf 26 Prozent gesunken. In Niedersachsen sind mehrere Versuche gescheitert, solche Klassen einzurichten: Dagegen hatten sich regelmäßig auch die ausländischen Kinder selber ausgesprochen, deren Integrationsbemühungen gelegentlich zu skurrilen Überanpassungsversuchen geraten - in Braunschweig etwa färbte sich ein schwarzhaariger Spanier seinen Schopf blond, um bloß nicht aufzufallen.
In Gebieten mit sehr hohem Ausländeranteil allerdings, zum Beispiel in Berlin, drängen oft deutsche Eltern auf die Bildung von Nationalklassen für Ausländer, um auf diese Weise die Normalklassen zu entlasten. Ausländische Eltern dagegen plädieren überwiegend für Misch-Unterricht.
»Welcher Elternwille soll zählen?« fragte vor Jahren schon die Berliner Schulsenatorin Laurien. »In Bezirken ohne Ausländer sind alle für Integration, in akademischen Kreisen sind auch alle für Integration«, faßte die CDU-Politikerin ihre Erfahrungen zusammen. »Aber wenn Sie in die Bezirke gehen, wo es dicht wird, da sieht es schon anders aus.«
Der Druck deutscher Eltern hat dazu beigetragen, daß in Berlin der Anteil der ausländischen Hauptschüler, die in den pädagogisch wenig wünschenswerten Separatklassen unterrichtet werden, noch gestiegen ist - binnen zwei Jahren von 38 auf 55 Prozent.
Während sich der türkische Pädagoge und stellvertretende Berliner GEW-Vorsitzende Safter Cinar durch die Segregationspolitik an den Slogan »Deutschland den Deutschen« erinnert fühlt und die reinen Ausländerklassen »eine westeuropäische Variante der Apartheid-Politik« schilt, stellt Frau Laurien diese Unterrichtsform salbungsvoll als Integrationsmaßnahme dar: »Wer jeder Regung von Ausländerfeindschaft begegnen will, muß auch dafür sorgen, daß sich Berliner Schüler nicht als Fremde in der eigenen Schule empfinden.«
Wie sehr die Berliner Separierungspolitik die Integration ausländischer Schüler erschwert, zeigen Beispiele aus dem Schulalltag.
In Berlin-Tiergarten etwa ließen sich die Eltern ausländischer Kinder in gemischten Klassen durch den »Beispielcharakter« der deutschen Miteltern viel eher dazu bewegen, ihren Kindern die Teilnahme an der obligatorischen Klassenfahrt nach Amrum zu erlauben.
Dieselbe Schullandheim-Reise, berichtet eine Lehrerin, sei in reinen Ausländerklassen nur selten möglich, weil Erziehungsvorbehalte und kulturelle Barrieren sich nicht überbrücken ließen: »Die Zurückgebliebenen sehen ihre Kameraden aus den Parallelklassen losfahren und fühlen sich als Außenseiter.«
Einen klaren Gegenkurs zur Berliner Gettobildung steuert zum Beispiel das sozialdemokratisch regierte Nordrhein-Westfalen. An Rhein und Ruhr ist der Anteil jener ausländischen Schüler, die getrennt von deutschen unterrichtet werden, seit 1980 von 35 auf 5 Prozent reduziert worden.
Unter schulischer Integration verstehen die NRW-Schulplaner keineswegs eine Zwangsgermanisierung türkischer Kinder oder deren Missionierung zum christlichen Glauben, im Gegenteil.
Das Land ist bundesweit Vorreiter bei Bemühungen, an den Schulen freiwilligen islamischen Religionsunterricht anzubieten - schon um den Einfluß der privaten, durchweg fundamentalistischen Koranschulen zu verringern, in denen strenggläubige Eltern ihre Kinder mit endlosen Koransuren traktieren lassen.
Über die Islam-Stunden hinaus offeriert Nordrhein-Westfalen einen »muttersprachlichen Ergänzungsunterricht«. Der Anteil der Ausländerkinder, die das Angebot nutzen, freiwillig an diesem Unterricht teilzunehmen, ist von 40 auf 67 Prozent gestiegen - was Fachleuten von der GEW noch zuwenig ist. Sie fordern, für alle Bundesländer, die Einführung eines »Integrierten muttersprachlichen Unterrichts« als Pflichtfach für ausländische Kinder.
Mit Muttersprachenunterricht soll diesen Schülern, vor allem den jüngeren Jahrgängen, bei ihrer »Persönlichkeitsbildung« geholfen werden. Die Bedeutung der Muttersprache »für die emotionale Beteiligung der ausländischen Kinder« sei, so die GEW, bislang unterschätzt worden. Wer in seiner Muttersprache differenziert denken könne, sei eher in der Lage, die Sprache seines Gastlandes zu erlernen.
Mit ihrer Forderung, an gemischt-nationalen Schulen beispielsweise Türkischunterricht für Türken abzuhalten, sehen sich die Lehrergewerkschafter »im Widerspruch« sowohl zur Apartheid-Politik nach Berliner Art als auch zur Ideologie der »Germanisierung«, wie sie noch immer durch rechte Köpfe spukt; der Muttersprachenunterricht, wehrt sich die GEW gegen Beifall von der falschen Seite, sei auch nicht auf »Rückkehrförderung« angelegt.
Sicherlich wäre das Muttersprachenmodell der GEW geeignet, der »doppelten Halbsprachigkeit« zu begegnen, die Mehmet Ecsi, Vorsitzender des türkischen Elternvereins in Berlin, bei vielen Schulabsolventen beobachtet hat. Ecsi weiß von »überwältigenden emotionalen Hemmnissen«, in die Jugendliche geraten, die nicht in, sondern zwischen zwei Sprachen aufwachsen.
Zur »breiten Palette« der von Ecsi registrierten Verhaltensstörungen zählen »Wechsel türkischer Sprecher ins Deutsche mitten im Satz, sobald eine deutsche Person in der Nähe ist (man will sich nicht als Angehöriger der ,minderwertigeren' Sprachgemeinschaft zu erkennen geben)«, »Selbstverleugnung und das Abstreiten, Türkisch zu verstehen«, »extreme Ablehnung alles ,Deutschen' und Verherrlichung alles ,Türkischen'«.
Ecsis Fazit: »Es wachsen ganze Generationen von Kindern heran, deren persönliche und gesellschaftliche Identitätsfindung extrem erschwert wird, weil das Aufnahmeland eine zwanglose Zugehörigkeit und Entfaltung in zwei Sprachen und Kulturgemeinschaften von seinem Selbstverständnis her ausschließt.«
Doch Ecsi kann hoffen: In privater Initiative von Berliner Lehrern und Eltern sind in Kreuzberg und Schöneberg bereits bemerkenswerte Unterrichtsmodelle zur »Alphabetisierung in türkischer Sprache« entwickelt worden.
Ein Beispiel: An der Spreewald-Grundschule in Schöneberg werden schon seit 1984 türkische Schulanfänger in je fünf Wochenstunden Türkisch und Deutsch alphabetisiert, zunächst in ihrer Muttersprache. Im zweiten Schuljahr schließt sich die Alphabetisierung in Deutsch an. Bereits in der dritten Klassenstufe können die Schüler in die deutschsprachige Regelklasse integriert werden - sie lesen dann, nach Erfahrung der Lehrer, in zwei Sprachen so gut wie andere Kinder in einer Sprache.
Das Schöneberger Lernmodell greift auf amerikanische und skandinavische Erziehungsprogramme zurück, mit denen bewiesen wurde, daß die Förderung der Lesefähigkeit in der Muttersprache meßbar der Entwicklung in der Zweitsprache zugute kommt. Mit guten Gründen fordert deswegen Berlins türkischer Elternverein, Verfahren wie in der Spreewald-Grundschule aus dem Modell-Stadium zu nehmen und in Problemgebieten flächendeckend als offizielle Lernform einzuführen.
Überdies, urteilen Schulreformer, müsse das westdeutsche Bildungswesen mehr noch als bisher leisten, um in gemischt-nationalen Klassen Vorurteile zu bekämpfen und Toleranz für die jeweils andere Kultur zu wecken. Solche Anstrengungen seien, so NRW-Kultusminister Hans Schwier, auch notwendig wegen der »zu erwartenden Wanderungsbewegungen im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft ab 1992«.
Anders als etwa Bayerns Ministerpräsident Max Streibl - der noch immer nicht zur Kenntnis nehmen will, daß die Bundesrepublik faktisch zum Einwanderungsland geworden ist - halten Sozialdemokraten wie Schwier »die multinationale, multikulturelle Gesellschaft« für »eine Realität«. Von diesem Jahr an hat Schwier für alle NRW-Schulen denn auch ein neues Unterrichtsprinzip verbindlich festgeschrieben: »Interkulturelle Erziehung«.
Mit dieser Methode will Schwier bei Kindern aller Schulformen das »Bewußtsein vom Eigenwert der Herkunftskultur« und damit auch das »Selbstwertgefühl« stärken. Interkulturelle Erziehung, definiert das Ministerium, akzeptiere das »Faktum ethnischer, kultureller und sprachlicher Pluralität in Europa« und müsse daher zwar »soziale Integration fördern«, aber »jeden Zwang zur Assimilation der nationalen und kulturellen Minderheiten vermeiden«.
Im Deutschunterricht der 5. und 6. Klassen beispielsweise können türkische Redensarten und deren deutsche Gegenstücke behandelt werden. Lernexempel: Während jemand hierzulande »etwas auf dem Herzen« hat, trägt er am Bosporus »eine Saubohne unter der Zunge«. Oder: Wer hier »eine Sysiphusarbeit leistet«, muß in Kleinasien »mit der Nadel einen Brunnen graben«.
Informieren soll der Unterricht neuen Stils verstärkt über »die Hintergründe der Minoritätenkulturen« - vor allem, um den Schülern den Umgang mit einem Phänomen beizubringen, das die Düsseldorfer Kultus-Theoretiker »Befremdung« nennen:
Ein wesentliches Ziel Interkultureller Erziehung ist der verantwortliche, reflektierte Umgang mit der eigenen Befremdung, die unvermeidlich entsteht, wenn Fremdes aus einer anderen Kultur nicht einfach als interessant und exotisch erlebt wird, sondern die eigenen Denk- und Wertgrundlagen in Frage stellend. Ein solcher kontrollierter Umgang mit der Befremdung soll mit den Schülern eingeübt werden.
Wo solches Training unterlassen wird, kommt es an Schulen immer häufiger zu Ausbrüchen von Fremdenhaß, zu Hakenkreuz-Schmierereien und Schlägereien. Nachdem kürzlich in Hannover Schulklassen eine Ausstellung »Juden in Preußen« besichtigt hatten, fanden sich im Gästebuch in krakeliger Schrift Eintragungen wie »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein« oder: »Die Juden damals waren genau wie die Scheißtürken oder ähnliches nichtdeutsches Pack heute.«
Wie sehr Schüler von Unwissen und Vorurteilen geprägt sind, mußte auch Reinhard Bongers feststellen, ein Berufsschullehrer im schwäbischen Neresheim. Bongers ermittelte, daß mehr als die Hälfte seiner Schüler der Meinung ist, von den 60 Millionen Einwohnern der Bundesrepublik seien über 20 Millionen Ausländer. Der Pädagoge sieht unter seinen Zöglingen eine ausländerfeindliche Stimmung, »gegen die anzukämpfen nahezu unmöglich« sei.
Türkische und deutsche Schüler der Bruno-Tesch-Gesamtschule in Altona wehrten sich am Samstag vorvergangener Woche mit einer Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit an Hamburger Schulen. Begründung der 16jährigen Teilnehmerin Gülüstan Cömert: »Ich kann doch nicht einfach so abhauen, ohne etwas zu tun.«
Eine Befragung von mehr als 1200 Jugendlichen durch die Universität Bielefeld ergab bereits 1986 etwa 37 Prozent Zustimmung für die Parole »Kanaken raus« und gar 43 Prozent für den Slogan »Deutschland den Deutschen«.
Bei der jüngsten Wahl in Berlin, analysierte der Bonner Wahlforscher Joachim Hofmann-Göttig letzte Woche, stimmten 14,3 Prozent der Jungwähler/innen zwischen 18 und 23 Jahren und sogar 18,8 Prozent der männlichen Wähler in dieser Altersgruppe für die rechten Republikaner. Starke völkische Vorurteile, so belegen andere Untersuchungen, haben vor allem männliche Deutsche unter 20, die der Arbeiterschicht angehören und lediglich die Hauptschule besucht haben.
An diesen Schulen, wissen Lehrer zu berichten, gibt es häufig Krach zwischen Deutschen und Ausländern um die (zumeist deutsche) Freundin. Die Kontroversen werden um so häufiger, je näher der Zeitpunkt kommt, zu dem sich die Jugendlichen um Ausbildungsplätze bemühen.
Zu registrieren waren solche Spannungen vor Jahren etwa an der Hauptschule im Duisburger Ortsteil Rumeln-Kaldenhausen, westlich vom Stahlstandort Duisburg-Rheinhausen. Die Lehrerin Margret von Rüden, 43, die deutsch-türkische Hauptschulklassen mit einem Ausländeranteil von etwa einem Drittel unterrichtet, weiß aus Erfahrung, wie unverträglich eine solche Mischung sein kann: »Da prallen zwei völlig verschiedene Kulturen aufeinander, und als Lehrer steht man meistens ziemlich hilflos da.«
Ganz im Sinne des jetzt als Empfehlung vorgelegten NRW-Konzepts der Interkulturellen Erziehung hat die Lehrerin vor einigen Jahren begonnen, die besonderen Lebensbedingungen der ausländischen und deutschen Schüler in den Unterricht einzubeziehen. Ziel: Deutschen wie Türken Gelegenheit zu geben, sich mit der jeweils anderen Kultur auseinanderzusetzen, um eigene Standpunkte relativieren zu können.
Nach drei Jahren solchen Unterrichts beschlossen die Lehrerin und ihre Schüler ein bis dahin ziemlich einzigartiges pädagogisches Experiment: eine gemeinsame Abschlußfahrt in die Türkei.
Die Reise ging nach Antalya, an die türkische Mittelmeerküste, in eine der landschaftlich schönsten und historisch eindrucksvollsten Gegenden des Landes. Weil die Familien der türkischen Mitschüler allesamt aus Dörfern Mittelanatoliens stammen, sollte auch ein typisches türkisches Dorf ins Reiseprogramm aufgenommen werden. Rund 30 000 Mark, so errechneten die Schüler, würde die Reise kosten, rund 1100 Mark pro Kopf. Weil kaum jemand einen Zuschuß von den Eltern zu erwarten hatte, begannen die Jugendlichen, sich das Geld selber zu verdienen - jeder für alle, alles in einen Topf.
Bis zur Abreise hatte sich das Klassenteam 12 200 Mark erarbeitet - mit Babysitten und Hundeausführen, Bügeln und Entrümpeln, Treppenputzen und Autowaschen, Rasenmähen und Waffelverkauf. Eine Mutter goß Gipsbilder, die Schüler bemalten sie. Viele Eltern, anfangs skeptisch, waren schließlich selber begeistert.
Das noch fehlende Geld mobilisierten Lehrerin von Rüden und ihr türkischer Kollege Alican Copuroglu durch Spenden. Privatleute aus dem In- und Ausland, deutsche Firmen aus Duisburg sowie eine türkische Wurstfabrik in Köln halfen mit, die Reisekasse zu füllen. Bis zur Abfahrt im Frühsommer gab es ein halbes Jahr lang jede Woche zwei Stunden Unterricht über Geschichte und Gegenwart der Türkei.
Schließlich stiegen 17 deutsche und 7 türkische Jugendliche in Düsseldorf ins Flugzeug. Ein türkischer Schüler durfte auf Beschluß der Klasse nicht mit, weil er nicht mitgearbeitet hatte. Zwei Türkinnen fehlte die Erlaubnis der Eltern, eine mußte zu Hause bleiben, weil der Vater Befürchtungen »wegen der Ehre« des Mädchens hatte.
Ob das Konzept der Interkulturellen Erziehung bei einer solchen Klassenfahrt greift, ob deutsche und türkische Jugendliche sich näher kommen und ob ein gemeinsamer Lernprozeß einsetzt - das alles wollte die promovierte Sozialwissenschaftlerin Monika Springer herausfinden. Im Auftrag des SPIEGEL beobachtete die Journalistin, die das Fachblatt »gemeinsam/Ausländer und Deutsche in Schule, Nachbarschaft und Arbeitswelt« herausgibt, die Schüler aus dem Kohlenpott während der Türkei-Reise sowie bei der Vor- und Nachbereitung.
Große Hoffnungen hatten alle an die Klassenfahrt geknüpft. Die türkische Schülerin Aynur Özkilic hoffte, »daß die Deutschen die Türken noch besser kennenlernen«. Und die Deutsche Bianka Dyrda freute sich: »Dann lernen wir auch mal andere Sitten und Menschen kennen. Wir können die Wahrheit über die Menschen dort erfahren.«
Wirklich?