Zur Ausgabe
Artikel 16 / 74

EWG-ASSOZIIERUNG Mit Ernst

aus DER SPIEGEL 9/1963

Auf Westdeutschland setzt der EWG -Kandidat Großbritannien seine verbliebene Hoffnung, durch den Hintereingang in den feudalen Wirtschaftsklub Europas zu kommen, nachdem der strenge Portier in Generalsuniform den Eintritt durch das Hauptportal vereitelt hat.

Vom Montag dieser Woche an wird eine britische Handelsdelegation in München mit Vertretern des Bonner Auswärtigen Amts und des Wirtschaftsministeriums erste Gespräche über die Chancen einer sogenannten Assoziierung Englands an die EWG führen.

Zu dieser weniger rühmlichen Einzugsmöglichkeit hat sich nach dem Brüsseler Fiasko inzwischen auch Englands Hauptunterhändler Edward Heath verstehen müssen. Er wurde dazu von Bundesaußenminister Gerhard Schröder ermuntert, der am 7. Februar dem Bonner Bundestag zu bedenken gab, »ob nicht unter Umständen eine Zwischenlösung im Bereich der Assoziierung angestrebt werden kann, die eines Tages in eine volle Lösung hineinwachsen könnte«.

England-Freund Erhard indes sieht für die Assoziierung nicht geringere Schwierigkeiten, als sie um Englands, Beitritt als Vollmitglied der Wirtschaftsgemeinschaft entstanden sind. Schon während der entscheidenden EWG -Ministertagung am 29. Januar in Brüssel, auf der de Gaulles Vollstreckungsbeamter Couve de Murville die Briten auf die Insel zurückverbannte, warnte Erhard seine Europa-Kollegen: Assoziierungsgespräche seien nicht einfacher, sondern eher schwieriger als die Beitrittsverhandlungen.

In der Tat birgt der Artikel 238 des EWG-Vertrags, nach dem die Gemeinschaft »mit einem dritten Staat, einer Staatenverbindung oder einer internationalen Organisation Abkommen schließen (kann), die eine Assoziierung mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, gemeinsamem Vorgehen und besonderen Verfahren herstellen«, zahlreiche Klippen. Nur zweimal in ihrer fünfjährigen Geschichte hat die Gemeinschaft solche Assoziierungsverträge geschlossen: mit 18 schwarzen Entwicklungsländern in Afrika und mit Griechenland.

In beiden Fällen jedoch handelte es sich nicht um konkurrierende Industrienationen wie im Falle Großbritannien. Den 18 ehemals vorwiegend französischen Afrika-Territorien hat die Gemeinschaft deshalb großzügig Entwicklungshilfe-Milliarden und Null -Zölle für die einschlägigen Landesprodukte zusagen können.

Auch mit Griechenland vereinbarte die EWG eine Finanzhilfe sowie eine dem hellenischen Wirtschaftsrhythmus besser angepaßte, leicht hinkende Zollunion: Während die sechs EWG-Staaten sich verpflichtet haben, ihre Zölle gegenüber Griechenland binnen zwölf Jahren auf Null abzubauen, wurde den Griechen zugestanden, ihre Zollmauern für ein Drittel der EWG-Einfuhren noch 22 Jahre lang aufrechtzuerhalten. Obwohl die EWG bei dem bilateralen (zweiseitigen) Abkommen großzügig verfuhr, mußten die Brüsseler zwei Jahre verhandeln, ehe der Vertrag perfekt war.

Die Hoffnungen, England über die Assoziierung dennoch zum Vollmitglied machen zu können, richten sich auf Artikel 72 des Abkommens der EWG mit Athen. Er lautet in gepflegtem Europa-Deutsch: »Sobald das Funktionieren des Assoziierungsabkommens es in Aussicht zu nehmen gestattet, daß Griechenland die Verpflichtung aus dem EWG-Vertrag vollständig übernimmt, werden die Vertragsparteien die Möglichkeit eines Beitritt Griechenlands zur Gemeinschaft prüfen.«

Ludwig Erhard, der nichts vom Bilateralismus hält, ließ die Europa-Abteilung seines Wirtschaftsministeriums eine kritische Untersuchung über die Möglichkeiten und Aussichten eines solchen Assoziierungsvertrags als Vorstufe zum späteren Beitritt Englands zur EWG anstellen. Das Experten-Papier bestätigt Erhards düstere Prognose.

Die geringsten Schwierigkeiten würde nach Meinung der Experten ein reines Konsultationsabkommen bereiten, wie es bereits die Luxemburger Montan -Union mit Großbritannien abgeschlossen hat. Freilich könnte sich aus dieser losesten Form des Zusammenschlusses niemals das entwickeln, was England -Freund Schröder - sein eleganter Diplomaten-Auftritt in Brüssel konzentrierte die britischen Hoffnungen stark auf seine Person - als »Zwischenlösung im Bereich der Assoziierung« anvisiert.

Treffen die EWG und England aber zweiseitige Assoziierungs-Vereinbarungen über den Abbau der Handelsschranken und Zölle, so sind sie als Mitglieder des weltweiten »Allgemeinen Abkommens über Zölle und Handel« (Gatt) verpflichtet, jedem anderen Gatt -Mitglied ohne Gegenleistung die Meistbegünstigung, das heißt dieselben Zugeständnisse einzuräumen.

Nur in zwei präzise umrissenen Fällen gestatten die Gatt-Regeln, einen exklusiven Sonderklub aufzumachen, dann nämlich, wenn sich die Partner zu einer Zollunion (mit Null-Zöllen nach innen und einer gemeinsamen Zollmauer nach außen) wie der EWG oder einer Freihandelszone (mit Null-Zöllen nach innen und individuellen Außenzöllen) wie der kleinen Freihandelszone (Efta) zusammenschließen.

Aber auch diese Ausnahmeregelung bringt England in eine Zwickmühle: Unterwirft es sich über ein Assoziierungsabkommen der EWG-Zollunions -Verpflichtung, einen gemeinsamen Außenzoll gegenüber jedem Drittland anzuwenden, so gerät es augenblicklich mit seinen Efta-Partnern in Konflikt. Im Vertrag von Stockholm nämlich ist es die Freihandelszonen-Abmachung eingegangen, die Zölle allen Efta-Partnern gegenüber auf Null abzubauen.

Großbritannien bliebe dann nur noch die schmähliche Flucht aus der Efta. Zwar kann jedes Efta-Land seine Mitgliedschaft jährlich kündigen, doch haben die kleinen Efta-Mitläufer, vornehmlich die Skandinavier, ihren großen Bruder vorsichtshalber schon rechtzeitig an die Kette gelegt. In einem Efta -Ratsbeschluß vom 28. Juni 1961 haben sich alle Mitglieder verpflichtet, so lange nicht mit der EWG zu fraternisieren, bis ein für alle zufriedenstellendes Arrangement getroffen ist.

Aus dieser Verpflichtung entläßt die verschworene Efta-Gemeinschaft allenfalls einen unbedeutenden Überläufer wie Österreich, kaum aber den großen Partner England.

Auch die andere Gatt-konforme Assoziierungs-Alternative, den Abschluß eines Freihandelszonen-Vertrages zwischen der ganzen EWG und England, beurteilten Erhards Gutachter in Bonn skeptisch. Dem freihändlerischen England würde damit die Rolle einer administrativen Drehscheibe zwischen zwei Freihandelszonen und dem Präferenzsystem des britischen Commonwealth zufallen. Da schon eine Freihandelszone wegen des individuellen Außenzollniveaus nicht ohne Ursprungszeugnisse für jede Ware auskommt - damit die Gemeinschaft nicht über das Mitgliedsland mit dem niedrigsten Zollniveau mit Auslandsware überschwemmt wird -, würde dies ein überaus kompliziertes Kontrollsystem voraussetzen.

Ein vom ehemaligen Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages Alwin Münchmeyer beigesteuerter Hilfsplan schließlich dürfte an prestigebedingten Schwierigkeiten scheitern. Er sieht vor, daß der EWG-Block der Efta sozusagen als achtes Mitglied beitritt. Bedauerte ein Erhard-Experte: »Das wäre genauso, als wenn Bonn nach Godesberg eingemeindet würde.«

Der Vorteil der mit Ernst anvisierten Assoziierungs-Gespräche liegt deshalb vorerst nur darin, daß überhaupt am Faden der britisch-europäischen Integration weitergesponnen wird. Nach Ansicht des Bundeswirtschaftsministeriums wird es bei den Verhandlungen nahezu vollzählig um dieselben Probleme gehen, über die schon in Brüssel so lange gefeilscht worden ist.

Allenfalls von einer Kürzung der aus dem EWG-Vertrag resultierenden Geldzuwendungen für Frankreich wäre eine gewisse Wirkung auf die Halsstarrigkeit de Gaulles gegenüber England möglich. Eine erste Gelegenheit, den Franzosen den Geldhahn abzudrehen, ergibt sich im nächsten Monat, wenn in Brüssel über die fast ausschließlich nach Frankreich fließenden Abschöpfungsbeträge aus dem Agrarmarkt-Fonds der EWG entschieden wird.

England-Fürsprecher Schröder

Energie und Eleganz

Zur Ausgabe
Artikel 16 / 74
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren