FALLEX 66 Mit freundlichen Grüßen
Die gespielten Kriegshandlungen der Nato-Stabsrahmenübung Fallex 66 haben nach acht Monaten echte Feindseligkeiten geboren. Bundesinnenminister Lücke und der FDP-Abgeordnete Wolfram Dorn bezichtigen einander der Verleumdung.
Hintergrund des Zwistes ist der Verdacht des FDP-Mannes Dorn, die Regierung habe 44 Parlamentariern, die im letzten Oktober vier Tage und vier Nächte als sogenanntes Notparlament im geheimen Führungsbunker in der Eifel mitmimen durften, den wahren Ernst der Lage verschwiegen.
Dorn heute: »Uns wurde ein Türke vorgebaut.«
Solcher Argwohn befiel den Freidemokraten Dorn auf dem Frankfurter Hauptbahnhof, wo er Mitte November 1966 während einer Reise nach Nürnberg mit seinem Fraktionskollegen Kurt Jung zusammentraf.
Jung, noch in Majorsuniform, denn er kam gerade von einer Reserveübung der Bundeswehr, äußerte sein Mißfallen mit Kommiß-Drastik: »Mann, die haben uns beschissen.«
Von Offizierskameraden, so berichtete Jung damals, sei er bei der Truppe immer wieder angefrotzelt worden, warum denn die Übungs-Abgeordneten »ausgerechnet einen Tag vor dem großen Eklat« aus dem Fallex-Bunker ausgestiegen seien. Die Parlamentarier hätten sich so darum gebracht, den -- theoretischen -- Zusammenbruch der Militär- und Zivilverteidigung selbst mitzuerleben.
FDP-Dorn, Zivilschutz-Experte seiner Fraktion, beschloß, diesem Offiziersgerede auf den Grund zu gehen. Durch den Regierungswechsel unterdessen vom Koalitions- zum Oppositionsmann geworden, schrieb Dorn am 7. Dezember sowohl dem Innen- wie dem Verteidigungsminister und begehrte Auskunft über das wahre Ende von Fallex 66.
Der Antwortbrief des neuen Herrn im Verteidigungsressort, Gerhard Schröder, kam »mit freundlichen Grüßen« unter dem Datum des 16. Januar 1967.
Ein am 8. Februar von Innenminister Lücke abgefaßtes Antwortschreiben dagegen ist bei Dorn bis heute mysteriöserweise nicht eingegangen.
»Die Übung Fallex 66«, so hieß es in Schröders Brief, »bestand aus drei voneinander unabhängigen Teilübungen, an deren erster Phase 'Top Gear' Sie als Angehöriger des Gemeinsamen Ausschusses (Ueb.) teilgenommen haben. Die Übung 'Top Gear', der die Lage eines begrenzten Krieges zugrunde lag, war der eigentliche Kern und Hauptteil von Fallex 66.«
Und: »Der erste Übungsteil endete, einem Vorschlag der Bundesregierung entsprechend, mit einem Abwehrerfolg der Nato und einem sichtbaren Abschreckungserfolg.«
Aus diesem Schröder-Schreiben konnte Empfänger Dorn zwingend zweierlei folgern:
> Bundestagsabgeordnete haben nur bei einem Teil von Fallex 66 mitgemacht, und
> die Bundesregierung hat den »Abwehrerfolg der Nato« und den »sichtbaren Abschreckungserfolg"« mit dem dieser Übungsteil endete, bei der Übungsleitung bestellt, um die Abgeordneten bei Laune zu halten.
Der Manöver-Blitzsieg im Fallex-Bunker an den vier Planspiel-Tagen im letzten Herbst war in der Tat erstaunlich genug.
Armeen der »Orange«-Satelliten überfielen nach längerer Spannungszeit das neutrale »Braunland« sowie Nato-Verbündete auf dem Balkan; sie drangen über die Zonengrenze auch in die Bundesrepublik vor.
In der westdeutschen Etappe rollte das ganze wohlbekannte Notstands-Repertoire ab: Sabotageakte, wilde Streiks, Flüchtlingsströme« Massen heimwärts drängender Gastarbeiter, Blockade wichtiger Verkehrswege durch gegnerische Fallschirmspringer.
Derweil saßen die Abgeordneten des Notparlaments im Bunker und beschlossen in Tag- und Nachtschicht Notgesetze. Die Entwürfe dazu zog Innenminister Lücke -- als Bundeskanzler-Ueb. -- fertig aus seiner dicken Geheimmappe, dem sogenannten Verteidigungsbuch.
Im Gegenstoß kämpften Nato-Truppen unterdessen das Bundesgebiet wieder frei. Wegen bedrohlicher Lage auf dem Balkan ersuchte das Oberkommando jedoch um Genehmigung zum Einsatz von Atomwaffen.
Auch die deutschen Not-Abgeordneten wurden befragt und knüpften an ihr Ja eine Bedingung: Die Regierung des betroffenen Landes müsse mit A-Waffen-Einsatz auf eigenem Territorium einverstanden sein.
Doch dazu kam es gar nicht mehr. Auf dem Balkan räumte der Feind unter Atomdrohung die besetzten Gebiete. In Mitteleuropa war -- mit Ausnahme von »Braunland« -- die militärische Ausgangslage durch Nato-Einsatz wiederhergestellt. Am Morgen des 21. Oktober verkündete der Präsident von »Orange«, das mit eigenen Truppen nicht eingegriffen hatte, die Bereitschaft zu Friedensverhandlungen.
Die Fallex-MdBs gaben sich der Hoffnung hin, daß bei solchen Verhandlungen sogar die Wiedervereinigung Deutschlands herauskommen könnte, und entstiegen befriedigt dem Bunker.
Spätere Spekulationen darüber, ob Fallex 66 nicht in Wahrheit weitergegangen und ob dabei nicht ein weit weniger rosiges Lagebild zutage getreten sei, sollten ihnen nicht erlaubt sein.
Am 18. Januar verwies Ernst Benda -- damals Notstands-Obmann der CDU/CSU-Fraktion, heute Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium -- dem Freidemokraten Dorn seine diesbezüglichen Zweifel.
Benda vor dem Bundestag: »Wir haben praktisch als letzte den Bunker verlassen, und zu diesem Zeitpunkt war die Nato-Übung nicht nur für die Bundesrepublik, sondern innerhalb der Nato beendet ... Alle Vermutungen darüber, was hinterher geschehen ist, sind ... wider das bessere Wissen des Kollegen Dorn, der dabei war, falsch aufgestellt.«
Am Freitag vorletzter Woche dagegen, als es im Parlament wegen heftiger Angriffe Dorns auf Lücke zu einem Zusammenstoß zwischen dem Innenminister und dem Freidemokraten kam, gab Lücke-Assistent Benda zu, daß Fallex 66 sehr wohl weitergegangen war.
Benda vor dem Bundestag: »Vom 21. bis zum 23. Oktober hat unter dem Stichwort »Jolly Roger« eine Übung stattgefunden ... eine Erprobung des Alarmnetzes des Luftschutzes im zivilen und militärischen Bereich, die mit unserer eigentlichen Übung überhaupt nichts zu tun hat.«
Und: »Vom 25. bis 28. Oktober schließlich hat unter dem Stichwort 'Full Moon' eine weitere Einzelübung stattgefunden ... die nur von den logistischen Dienststellen der Bundeswehr ... durchgeführt worden ist.«
Oppositions-Dorn freilich ließ nicht gelten, daß die drei Fallex-Übungen nichts miteinander zu tun gehabt hätten, und heischte hartnäckig Antwort auf seine Frage, ob »die zivile Verteidigung wie die militärische Verteidigung zusammengebrochen« seien. Doch die Antwort blieb aus. Statt dessen kam der Krach.
Wegen der Replik Lückes, Dorn mache sich ihm gegenüber der »bewußten Verleumdung« schuldig, will der Abgeordnete nun den Minister vor den Richter ziehen. FDP-Rechtsanwalt Thomas Dehler hat für den Fraktions-Kollegen Dorn am letzten Donnerstag einen entsprechenden Schriftsatz angefertigt.
Dorn: »Wenn Lücke behauptet, ich verleumde ihn, dann ist das seinerseits eine bewußte Verleumdung.«