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INDOCHINA Mit Gift und Schlingen

Nach dem Fall Kambodschas fühlt sich nun Thailand von Vietnam bedroht: Hanoi hat an der thailändischen Grenze Truppen zusammengezogen.
aus DER SPIEGEL 23/1979

Der Untergrund-Sender rief zum gnadenlosen Widerstand gegen die Besatzer auf: »Greift den Feind mit allen Mitteln und zu jeder Zeit an. Jeder Guerilla-Kämpfer muß versuchen, täglich mindestens drei oder vier Vietnamesen zu töten. Laßt ihnen keine Zeit zum Essen oder zum Schlafen.«

Der in Südchina stationierte Rundfunk des gestürzten kambodschanischen Diktators Pol Pot gab auch Tips, »wie man einen Vietnamesen tötet": mit konventionellen Waffen, aber auch mit Schlingen, Fallen, Pfeilen oder Gift. Der Sender: »Wir haben genug Vorräte, um lange überleben zu können.«

Woher die Vorräte kommen, verriet Chinas stellvertretender Partei- und Regierungschef Teng amerikanischen Journalisten, als er Anfang dieses Jahres die USA besuchte: »Wir haben keine gemeinsame Grenze mit Kambodscha, und doch liefern wir dorthin Waffen. Natürlich geht das nur über Thailand.«

Ohne das neutrale Thailand wäre der Widerstand der Roten Khmer gewiß längst zusammengebrochen. Bangkok duldet nicht nur die chinesischen Waffenlieferungen, sondern gewährt den Guerillas auch Zuflucht.

Auf der Flucht vor herannahenden Vietnamesen überqueren Pol Pots Partisanen oft die thailändische Grenze, kehren später an einen sicheren Ort nach Kambodscha zurück und greifen die Vietnamesen an. Dann ziehen sich die Buschkrieger in die Berge zurück, die für Hanois Panzer unzugänglich sind.

Seit Beginn der vietnamesischen Invasion in Kambodscha nahm Thailand 130 000 kambodschanische Flüchtlinge auf, darunter auch etwa 50 000 Kämpfer der Roten Khmer. Dank thailändischer Hilfe überstanden Pol Pots Partisanen Anfang April eine groß angelegte vietnamesische Offensive, als Hanoi über 50 000 Soldaten sowie sowjetische und kubanische Berater einsetzte, um die Roten Khmer endgültig auszuschalten.

Vietnam und Kambodscha forderten mehrmals, Thailand solle die »Verletzung der kambodschanischen Souveränität« sofort einstellen. Sonst müsse Bangkok mit »bedauerlichen Konsequenzen« rechnen.

Mitte März war es dann soweit: Hanois Truppen verfolgten die Roten Khmer bis nach Thailand hinein, verwundeten mehrere Zivilisten und erschossen einen thailändischen Soldaten.

Vorletzte Woche schließlich marschierten zehn vietnamesische Infanterie-Divisionen an der thailändischen Grenze auf: etwa 100 000 Soldaten, dazu schwere Artillerie, Flugabwehreinheiten und 200 Panzer. Bangkok versetzte seine Armee in höchste Alarmbereitschaft. Zahlreiche Grenzdörfer wurden evakuiert.

Schon seit vorigem Dezember, als Hanois Truppen in Kambodscha einmarschierten, schnell nach Westen vordrangen, Anfang Januar das Regime Pol Pot stürzten und die vietnamfreundliche Regierung Heng Samrin an die Macht brachten, fühlt sich Thailand, das einzige Land Hinterindiens, das immer seine Unabhängigkeit wahrte, mehr denn je von Vietnam bedroht.

Um Hanoi zu gefallen, hatte Bangkok nach dem Abzug der US-Truppen aus Südvietnam darauf bestanden, daß die USA auch ihre Basen in Thailand räumten. Im Februar dieses Jahres aber mußte der thailändische Ministerpräsident Kriangsak Tschamanand nach Washington reisen und die Amerikaner um Kampfflugzeuge, Panzer und Panzerabwehrraketen bitten.

US-Präsident Carter versprach zusätzliche Waffen und warnte Hanoi: Amerika fühle sich verpflichtet, »die Integrität, Freiheit und Souveränität Thailands aufrechtzuerhalten«.

Derart gestärkt, besuchte der thailändische Premier Ende März Moskau. Als die Sowjets forderten, Bangkok solle die von Moskaus Alliiertem Vietnam eingesetzten neuen Machthaber in PnomPenh anerkennen, lehnte Kriangsak ab. Denn Thailand betrachtet den gestürzten Pol Pot als rechtmäßigen Regierungschef Kambodschas.

Nun befürchtet Bangkok, daß Vietnam die thailändische Unterstützung für Pol Pot zum Vorwand nehmen könnte, Thailand anzugreifen, um es womöglich in ein vietnamesisch beherrschtes Groß-Indochina einzubeziehen. Vorletzte Woche, als Hanois Geschütze schon auf thailändisches Gebiet zielten, beschloß das Oberkommando der thailändischen Armee deshalb, alle Khmer-Flüchtlinge fortan nach Kambodscha zurückzuschicken -- direkt vor die vietnamesischen Kanonen: Schaukelpolitik, mit der die Thais stets überlebten.

Aber noch sind die Kambodschaner in Thailand, und Bangkok sagte nicht, wann die Flüchtlinge zurückgeschickt würden. Womöglich will Thailand die Vietnamesen nur besänftigen und Zeit gewinnen. Denn Hanoi scheint entschlossen, den kostspieligen Buschkrieg gegen Pol Pots Partisanen rasch zu beenden, notfalls denn auch auf thailändischem Gebiet. Anders sind die Roten Khmer offenbar nicht zu besiegen.

Vietnam muß die Masse seiner 25 in Kambodscha kämpfenden Divisionen möglichst schnell abziehen, es braucht sie an der Grenze zu China. Denn Anfang Mai drohte Chinas Teng den Vietnamesen eine zweite »Strafaktion« an, falls Hanoi seine Grenz-Provokationen fortsetze. Zwar tauschten Vietnam und China bald darauf Kriegsgefangene aus, aber die Friedensverhandlungen zwischen den beiden Ländern scheiterten vorerst.

Hanoi riskiert sogar neuen Krieg mit Peking, wenn es Thailand tatsächlich angreifen sollte. Der stellvertretende chinesische Außenminister Song Zhiguang kündigte an, China werde Thailand im Falle eines vietnamesischen Angriffs unterstützen. Thailands Premier Kriangsak lehnte höflich ab: »Wir können uns allein verteidigen, schließlich sind wir 50 Millionen Menschen.«

Doch Hanois Armee hat viermal soviel Soldaten wie die thailändische und ist besser ausgerüstet. Außerdem haben die Vietnamesen mehr Kampferfahrung: Die Thai-Armee wurde zuletzt 1810 voll mobilisiert. Die Vietnamesen führen dagegen seit mehr als 30 Jahren Krieg.

Zudem bekommen die in Kambodscha stationierten vietnamesischen Truppen Nachschub aus der UdSSR: Seit Wochen schon bringen sowjetische Flugzeuge Waffen, Benzin, Lebensmittel und Medikamente nach Kambodscha. Mitte Mai ankerte erstmals ein sowjetischer Frachter in Kampong Som, dem einzigen Tiefsee-Hafen Kambodschas. Und schließlich benutzen sowjetische Kriegsschiffe den ehemals amerikanischen Stützpunkt Cam Ranh Bay in Vietnam.

Wenn Hanoi eine Strafaktion gegen Thailand plant, muß es sich dennoch beeilen: In Indochina hat die Monsun-Zeit begonnen. Bald bleiben Panzer und Lastwagen im Schlamm stecken -- bis Oktober.

* Vorletzte Woche an der Grenze zu Kambodscha.

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