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Bonn MIT LEICHTEM GELD IST ES NICHT GETAN

aus DER SPIEGEL 52/1966

SPIEGEL: Herr Präsident, die neue Bundesregierung scheint trotz mancher gegenteiligen Äußerung das Hauptgewicht jetzt auf Wirtschaftswachstum zu legen. Gerät nicht dadurch Ihr vorrangiges Prinzip der Währungsstabilität in Gefahr?

BLESSING: In den letzten Monaten ist eine Abschwächung der Konjunktur eingetreten. Es ist natürlich, daß die Bundesregierung den Wunsch hat, diese Abschwächung zu überwinden. Dazu bedarf es gemeinsamer Anstrengungen sowohl auf dem Gebiet des Haushalts, der Sozialpartner als auch der Bundesbank. Mit einer Politik des leichteren Geldes allein ist es nicht getan, das weiß natürlich auch die Bundesregierung. Es bedeutet keine Verletzung des Prinzips der Währungsstabilität, wenn die Bundesbank in der heutigen Konjunkturlage sich anders verhält als in der Zeit der Konjunkturüberhitzung. Die Bundesbank hat erhebliche Lockerungen bereits in den letzten Monaten eintreten lassen, indem sie die Liquiditätsvermehrung aus der Zahlungsbilanz hingenommen hat. Diese den veränderten Umständen entsprechende Haltung bedeutet keine Aufgabe des für die Notenbank vorrangigen Prinzips der Währungssicherung.

SPIEGEL: Teilen Sie die Ansicht, daß die Restriktionspolitik der Bundesbank zu lange anzuhalten droht und dadurch die Gefahr einer ernsthaften Wirtschaftskrise heraufbeschworen wird?

BLESSING: Die Restriktionspolitik der Bundesbank hatte den Zweck, eine drohende Krise, wie sie etwa in England vor einiger Zeit Platz gegriffen hatte, zu vermeiden. Vor ein bis zwei Jahren stiegen die Preise in Deutschland mehr als zu irgendeiner Zeit seit der Koreakrise, die Zahlungsbilanz war stark passiv. Wir wären, hätte sich diese Entwicklung einfach fortgesetzt, mit Sicherheit in eine Krise hineingeraten. Die Bundesbank mußte also eingreifen. Seit etwa Mai dieses Jahres haben sich die Preise beruhigt, wenn sie auch noch nicht ganz stabil sind. Und die Zahlungsbilanz ist ausgeglichen, ja sie zeigt leichte Überschüsse. Ohne Abkühlung konnten die gewollten Wirkungen nicht erzielt werden. Daß sich aus der Abkühlung eine »Krise« entwickelt, will selbstverständlich auch die Bundesbank vermeiden.

Ich bin nicht der Ansicht, daß die Restriktionspolitik der Bundesbank zu lange andauert. Im Grunde kann von einem wirklich restriktiven Kurs der Bundesbank nicht mehr gesprochen werden. Wir stehen bereits seit Monaten, wie ich sagte, im Zeichen einer spürbaren Auflockerung. Der Geldmarkt ist flüssiger geworden. Die liquiden Mittel der Banken haben sich seit der Jahresmitte um etwa sechs Milliarden Mark erhöht. Auch auf dem Kapitalmarkt zeigen sich Ansätze zur Besserung. Hätte die Bundesbank in dieser Jahreshälfte eine gleichstarke Geldverknappung für erforderlich gehalten wie in der ersten Jahreshälfte, so hätten wir diese Verflüssigung nicht dulden dürfen, sondern die einströmende Liquidität absaugen müssen.

SPIEGEL: Auf welchen Gebieten sehen Sie die angestrebte Abkühlung der Konjunktur noch nicht erreicht?

BLESSING: Nicht zufrieden sind wir mit der Lohnentwicklung, die immer noch weit über den Produktivitätsfortschritt hinausgeht, und nicht zufrieden sind wir damit, daß die Ordnung in den öffentlichen Haushalten faktisch noch nicht wiederhergestellt ist. Hingegen sind wir mit der Zahlungsbilanzentwicklung zufrieden und mit der Preisentwicklung einigermaßen.

Was die Lohnentwicklung angeht, gibt es neuerdings immerhin ermutigende Zeichen. Ich denke da an die neueste Erklärung der Industriegewerkschaft Bau, die den realen Verhältnissen mehr Rechnung tragen will als bisher, indem sie eine Lohnsteigerung für 1967 von 4,3 Prozent vorschlägt. Was die Haushaltslage betrifft, so sind die Ausgabenkürzungen und die Steuererhöhungen ein Fortschritt in Richtung auf ein besseres Gleichgewicht; aber es gibt noch immer eine erhebliche Deckungslücke im Bundeshaushalt. Es hängt viel davon ab, ob und wie die Deckungslücke bereinigt werden wird.

SPIEGEL: Im wesentlichen hat die Bundesregierung bis jetzt noch keine der im Stabilitätsgesetz angestrebten Maßnahmen verwirklicht. Würden Sie ihr trotzdem die gewünschte Diskontsenkung konzedieren?

BLESSING: Ein Junktim zwischen Stabilitätsgesetz und Diskontsatz scheint mir etwas schief. Die Bundesbank hätte es zwar sehr gern gesehen, wenn das Stabilitätsgesetz bereits verabschiedet worden wäre, damit die Kreditaufnahmen der öffentlichen Haushalte besser kontrolliert und koordiniert werden. Sie kann aber ihre Maßnahmen nicht einfach von dem Zeitplan des Parlaments abhängig machen, sondern muß der jeweiligen tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung gerecht werden. Im übrigen hat die Bundesregierung die erklärte Absicht, das Stabilitätsgesetz in Kürze durchzubringen.

SPIEGEL: Was läßt Sie mehr zögern »grünes Licht« zu geben, die Inflationsgefahr aus den ungeordneten Staatsfinanzen oder die Lohnpolitik?

BLESSING: Diese Frage läßt sich nicht ohne weiteres beantworten. Ungeordnete und unklare Staatsfinanzen und eine nicht am tatsächlichen Wachstum orientierte Lohnentwicklung sind im Grunde gleich große Gefahrenherde für die Währung. Jede künftige weitere kreditpolitische Lockerung würde der Bundesbank leichterfallen, wenn auf diesen beiden Gebieten tatsächlich eine Wendung zum Besseren eintritt. Die Bundesbank kann im übrigen ihre Entscheidungen immer nur an der Gesamtlage und nicht an einzelnen Faktoren orientieren.

SPIEGEL: Glauben Sie, daß die aktuellen Probleme der Finanz- und Konjunkturpolitik durch die Große Koalition besser gelöst werden können als von der vorherigen Regierung?

BLESSING: Für das Stabilitätsgesetz zum Beispiel ist eine qualifizierte Mehrheit im Bundestag erforderlich. Für die heutige Regierung bestehen daher bessere Chancen zur Verabschiedung dieses Gesetzes als bisher. Auch zur Überwindung der schwierigen Haushaltslage kann eine größere Mehrheit nur willkommen sein. Das gleiche gilt für die Aufstellung von »Lohnleitlinien« und damit für eine realistischere Lohnpolitik.

Währungshüter Blessing in der Bundesbank Frankfurt*: Warten auf grünes Licht

* Mit SPIEGEL-Redakteur Leo Brawand (r.).

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