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FINANZREFORM Mit Löffeln

aus DER SPIEGEL 18/1969

Franz-Josef Strauß feierte sich als Retter der Staatsfinanzen: »Wenn der Bundestag den Vermittlungsausschuß noch einmal angerufen hätte«, so der Finanzminister zum SPIEGEL, »dann wäre ein noch größerer Saustall herausgekommen.«

Stunden zuvor hatten -- am Mittwoch letzter Woche -- 404 der insgesamt 496 stimmberechtigten Bonner Abgeordneten im Hammelsprung die »Ja«-Tür zum Plenarsaal passiert, somit das Grundgesetz geändert und der Großen Koalition einen Arbeitsnachweis beschafft: Die sogenannte Finanzreform« mit deren Hilfe die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden neu verteilt werden sollen, wurde vom Parlament mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit verabschiedet.

Neunmal hatte das Reformwerk, von dem Kanzler Kiesinger 1967 erklärt hatte, sein Gelingen oder Mißlingen entscheide über die historische Berechtigung der Großen Koalition, den Bonner Gesetzgeber Bundestag, Bundesrat sowie deren gemeinsamen Vermittlungsausschuß -- bereits beschäftigt. Seit dem zehnten Durchgang steht fest, daß das Gesetz die elfte Instanz, am 9. Mai im Bundesrat, heil überstehen wird.

Fraglich bleibt, ob es den Namen »Reform« überhaupt noch verdient. Von den ursprünglichen Zielen, etwa alle großen Steuern des Bundes und der Länder (Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuern) in einer Gemeinschaftskasse zu sammeln und streng nach Bedarf zu verteilen, bleiben ebenso komplizierte wie schwer wirksame Kompromißformeln übrig.

Zwar sollen Bund und Länder auch nach dem neuesten Stand theoretisch alle großen Steuern von Einkommen, Ertrag und Umsatz in den Verbund einbringen. Aber sie werden nach vier verschiedenen Schlüsseln weitgehend wieder so verteilt, wie sie ursprünglich auf kamen. Damit bleibt das Gefälle zwischen armen und reichen Ländern erhalten, das zu beseitigen der eigentliche Sinn der Reform war.

Noch am 20. März hatte der Bundestag dem CSU-Chef Strauß eine schmerzhafte Niederlage beigebracht. Damals stimmten 72 CDU-Rebellen, unter ihnen die Minister Katzer und Schmücker, gegen das Gesetz, weil sie die Vorlage für Flickwerk hielten, und verhinderten so eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit.

Um den Nein-Sagern die Umkehr zu ermöglichen, hatte die Bundesregierung den Vermittlungsausschuß Ende März ersucht, seinen bereits einmal von beiden Bonner Kammern abgelehnten Kompromißvorschlag mit kleinen Änderungen abermals dem Parlament vorzulegen. Strauß schlug vor, den Länderanteil an der Körperschaftsteuer, das ist die Einkommensteuer der Kapitalgesellschaften, nicht mehr wie bisher nach dem örtlichen Aufkommen zu verteilen, sondern nach der Einwohnerzahl.

Diese Änderung des Verteilungsschlüssels hätte freilich lediglich Straußens Wahl-Heimat Bayern, dessen Ministerpräsident Alfons Goppel seinen Parteifreund Strauß zum Jahresbeginn bei einem Treffen in Garmisch-Partenkirchen angeknurrt hatte: »Ihr in Bonn glaubt's wohl, ihr hättet die Weisheit mit Löffeln gefressen«, einen finanziellen Vorteil von 188 Millionen Mark pro Jahr gebracht. Die übrigen Länder erklärten daraufhin, sie würden diesem Entwurf im Bundesrat nicht zustimmen.

Nachdem ein weiterer verzweifelter Strauß-Plan die Körperschaftsteuer teils nach dem örtlichen Aufkommen, teils nach der Einwohnerzahl zu verteilen, ebenfalls am Widerstand der Länder gescheitert war, drohte der Großen Koalition abermals -~ und nunmehr endgültig -- der Verlust ihrer Legitimation. In einer Serie finanzpolitischer Diskussionen versuchten die Koalitionspartner, wenigstens den Schein einer Reform zu retten:

* Am Donnerstagmittag vorletzter Woche übte Kiesinger im Palais Schaumburg mit den von der Union regierten Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein;

* am selben Tag abends konferierten in der baden-württembergischen Residenz in Bonn die fünf wohlhabenden Länder Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen sowie Bayern über einen letzten Fluchtweg;

* am Sonntag trainierte SPD-Chef Willy Brandt in seiner Bonner Dienstvilla die SPD-Länder Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Am Ende der Konferenzkette einigten sich Zentrale und Provinzen auf eine höchst komplizierte neue Formel, die bereits nach dem alten Grundgesetz-Artikel 107 möglich gewesen wäre,

In dessen Absatz 1 heißt es, Ländersteuern verbleiben grundsätzlich in jenem Land, von dessen Finanzbehörden sie kassiert werden (örtliches Aufkommen). Mit Zustimmung des Bundesrates aber kann der Bundestag dieses örtliche Aufkommen der Körperschaft- und Lohnsteuer durch Gesetz »zerlegen«.

Nutznießer der Körperschaft- und Lohnsteuer waren bisher jene Länder, die die Verwaltungszentrale des Steuerschuldners beherbergt. Die Deutsche Bank (Stammsitz Frankfurt) beispielsweise zahlte die Abgaben nur in Hessen. Nach der Neufassung des Artikels 107 aber muß sie, da sie Filialen in allen Bundesländern unterhält, ihre Steuersumme in zehn verschiedene Teilbeträge zerlegen.

Um zu verhindern, daß der Verwaltungsaufwand, den die Zerlegung für Firmen und Finanzbehörden mit sich bringt, ins Uferlose wächst, will der SPD-Finanzexperte Alex Möller nur jene Steuern aufspalten, die auf Firmengewinne von mehr als einer Million Mark anfallen. Trotzdem rechnet Möller damit, daß jährlich allein bei der Ermittlung der anteiligen Körperschaftsteuer 6000 Firmengewinne atomisiert werden. Sein Parteifreund, der Hamburger Bevollmächtigte beim Bund Senator Ernst Heinsen, sagte voraus, die Zerlegung der Lohnsteuer werde sogar einen millionenfachen Aktenschub in Bewegung setzen.

So müssen die Abgaben aller Arbeitnehmer separiert werden, die in einem Bundesland wohnen, das nicht zugleich Verwaltungssitz ihres Arbeitgebers ist. Allein das Land Hamburg, dessen Firmen außerhalb der Stadtmauern viele Zweigwerke und Filialen betreiben und in das mehr als 100 000 Pendler aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein einkehren, muß nach Heinsens Vorhersage 35 Steuerbeamte zusätzlich beschäftigen, für ein lächerliches Ergebnis«. In der Tat wird die Steuer-Zerlegung nach Abzug der sonst notwendigen Ausgleichszahlungen der Länder untereinander jährlich nur schätzungsweise 60 Millionen Mark über die Landesgrenzen bewegen. Das sind nicht einmal zweieinhalb Prozent jener 2,85 Milliarden Mark, die auch in Zukunft zwischen armen und reichen Ländern umverteilt werden müssen. Der Bund Deutscher Steuerbeamter rügte denn auch, Strauß habe eine »einmalige Chance« vertan, das Steuerrecht zu vereinfachen.

Den armen Ländern verschafft das Reformwerk nur geringfügig höhere Steuereinnahmen aus dem eigenen Hoheitsgebiet und bescheinigt ihnen überdies, nicht länger arm zu sein. Statt bisher »leistungsschwach« heißen sie im neuen Grundgesetz-Artikel 107 »ausgleichsberechtigt«.

Hamburgs Senator Heinsen überraschte den saarländischen Finanzminister Helmut Bulle mit dem Ergebnis jenes Gesetzes, das Franz-Josef Strauß ein »Reformwerk von grundsätzlicher Bedeutung« genannt hatte. Danach kommt das traditionell finanzschwächste Saarland bei der Neuverteilung am schlechtesten weg. Insgesamt steigen seine Einnahmen nur um 49 Millionen Mark. das sind knapp 50 Mark je Einwohner und Jahr. Die gesamte Finanzreform verändert die Einnahmen aller Bundesländer lediglich um 700 Millionen Mark, das sind nur 1,5 Prozent ihrer Finanzmasse.

Lediglich politisch hatte die Revision des Artikels 107 einen Sinn. Jenen 72 CDU-Abgeordneten, die am 20. März gegen die Reform gestimmt hatten, sollte nunmehr, nachdem sie ihr Urteil über den Wert des ganzen Unternehmens abgegeben hatten, die Chance eingeräumt werden, anhand einer neuen Gesetzesvorlage Partei- und Koalitionsdisziplin zu üben.

Senator Heinsen seufzte nach der Abstimmung im Bundestag: »Ich sehe die Zeit kommen, da wir alle zusammen sagen: Was für einen Unfug haben wir damals bloß gemacht! Und wir werden ihn nicht mehr los.«

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