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ASYLRECHT Mit Masse Kasse

Um weiteren Mißbrauch zu verhindern, hat der Bundestag das Asylrecht verschärft. Doch trickreiche Anwälte unterlaufen die neue Regelung.
aus DER SPIEGEL 31/1978

Im türkischen Arbeiterverein zu Bonn erhielt der illegal eingereiste Sagit Oczül* eine unerwartete Offerte. Für ein paar tausend Mark, versprach ihm sein Landsmann Ali Tekmat*, ließen sich leicht Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung beschaffen.

Der freundliche Helfer brachte Oczül zu einem Bonner Anwalt. Der legte ihm zwei Blankoformulare zur Unterschrift vor und schickte ihn zum Ausländeramt. Wenig später hatte der Türke rein vorläufiges Bleibe-Placet.

Auf was er sich eingelassen hatte, merkte Oczül erst, als ihn das Zirndorfer Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge »zur Vorprüfung des von Ihnen gestellten Asylantrags« herbeizitierte. Erschreckt gab der Türke dort zu Protokoll, »daß ich so etwas nicht gewünscht habe und betrogen worden bin«.

Daß Anwälte immer häufiger ohne Wissen ihrer Klienten Asylanträge stellen, registrierte in letzter Zeit nicht nur die Zirndorfer Behörde. Auch beim Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) mehren sich die Belege für

* Name von der Redaktion geändert.

solch krumme Touren. Zwar sind die mit falschen Angaben drapierten Gesuche in der Mehrzahl aussichtslos, zum Abkassieren der Rechtsanwaltsgebühren aber langt es allemal. Solange das Verfahren läuft, können die Betroffenen überdies arbeiten oder Sozialhilfe beanspruchen.

Von 1972 bis 1977 stieg die Zahl der Asylbegehren denn auch von 5289 auf 16 410. Verursacht wurde diese Entwicklung vor allem durch Wirtschaftsflüchtlinge aus unterentwickelten Ländern, die selbst als Arbeitslose in der Bundesrepublik noch besser als in ihrer Heimat leben können.

Und weil immer mehr Inder, Pakistani, Afrikaner und Araber einen Antrag auf Asyl stellten, der sie vor dem sofortigen Rücktransport bewahrte, dauerten auch die Verfahren immer länger. Auf acht Jahre ließen sie sich strecken, wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft wurden. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Willfried Penner dazu: »Ein Instanzenzug wie in keinem westeuropäischen Staat.«

Ohne Gegenstimme beschloß der Bundestag deshalb die Beschleunigung der Prozedur, nachdem bereits Anfang des Jahres die drei Fraktionen sich geeinigt hatten, den Asylmißbrauch zu unterbinden. Wer künftig das negative Votum des Zirndorfer Anerkennungsausschusses anfechten will, der muß

weil das bisherige Widerspruchsverfahren abgeschafft wurde -- gleich vor dem Verwaltungsgericht klagen. Verwirft das Asylgremium das Gesuch gar einstimmig als »offensichtlich unbegründet«, ist überhaupt kein Rechtsmittel mehr möglich.

Zeitgewinn erhofft sich der Gesetzgeber auch von der Dezentralisierung der Gerichtsbarkeit. Bislang war allein das Verwaltungsgericht Ansbach, in dessen Bezirk das Ausländer-Sammellager Zirndorf liegt, für Asylanten-Klagen zuständig und entsprechend überlastet. Ab 1980 sollen Verwaltungsgerichte in jedem einzelnen Bundesland entscheiden können, ob politisches Asyl zu Unrecht verwehrt wurde.

Für die nähere Zukunft freilich steht fest, daß die Zahl der Asylanträge auch dann weiter zunimmt, wenn sich Wirtschaftsflüchtlinge durch postwendende Abfertigung abschrecken lassen. Für 1978 erwartet das Bonner Innenministerium insgesamt 25 000 Gesuche und damit fast 10 000 mehr als im letzten Jahr.

Für die Steigerung sorgen trickreiche Anwälte. Statt wie bislang finanziellen Nutzen vor allem aus der Dauer der Verfahren zu ziehen, haben Ausländer-Advokaten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Berlin den Vorteil der großen Zahl entdeckt.

Wie man mit Masse Kasse macht, dafür liefert der Fall des Türken Oczül das Muster. Entweder führen Schlepper den Anwälten Kunden aus dem Kreis der bereits illegal in Westdeutschland arbeitenden Ausländer zu (geschätzte Gesamtzahl mehr als 100 000), oder sie machen sich an ehemals legal angeworbene, aber mittlerweile beschäftigungslose Gastarbeiter heran, denen die Abschiebung droht.

Vor allem Türken sind die Opfer. »Die Türken-Welle rollt«, meldete der Solinger DGB-Vorsitzende Erich Arndt seiner Düsseldorfer Zentrale. Und der Bonner AWO-Referent Erich Dederichs weiß auch wohin: »Der Asylmarkt an Rhein und Ruhr ist fest in der Hand von zwei, drei Anwälten.« Die verdienen an den getürkten Türken wahrlich nicht schlecht. 455,80 Mark mußte Sagit Oczül für den unerwünschten Asylantrag dem Rechtsvertreter zahlen, 5500 Mark nahm ihm Schlepper Ah ab.

Die falschen Asylanträge enthalten, damit sie glaubhaft scheinen, häufig Phantom-Angaben. Dederichs: »Türken werden auf dem Papier zu Kurden, ganze Sippen mit der Schreibmaschine hingemeuchelt.«

Für die ahnungslosen Bittsteller können die Märchen böse Folgen haben. »Wer einen derartigen Antrag auf Anerkennung als politischer Flüchtling stellt und abgeschoben wird«, erläutert ein Sprecher des Innenministeriums, »muß mit Repressalien in der Heimat rechnen.«

Weil dem Mißbrauch durch die Asylanwälte mit der Gesetzesänderung nicht beizukommen ist, haben sich jetzt DGB und Arbeiterwohlfahrt etwas einfallen lassen. Ihre Beratungsstellen für Ausländer sollen bundesweit Dokumente gegen Schlepper und deren juristische Hintermänner sammeln.

Wenn das Material ausreicht, wollen Wohlfahrt und Gewerkschaft die Anwaltskammer einschalten. DGB-Mann Arndt: »Es tauchen immer wieder die gleichen Namen auf. Da muß doch was zu machen sein.«

Ob wirklich etwas zu erreichen ist, beurteilen die Experten vom Zirndorfer Bundesamt skeptisch. Auch ihnen sind die schwarzen Schafe unter den Juristen bekannt, ohne daß sie ihnen das Handwerk legen könnten. Die Erfolgsaussichten für Ehrengerichtsverfahren schätzt Behördensprecher Valentin Hoffmann deshalb auch nur gering ein: »Versuchen kann man es ja mal.«

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