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KLATSCH Mit meinem lieben Publikum

aus DER SPIEGEL 21/1950

(s. Titel)

Der Juwelier am Rodeo Drive in Beverly Hills war überrascht. Den jungen Schauspieler vor ihm im Laden kannte fast niemand in Hoollywood, und von den gelegentlichen Statistengagen konnte er schwerlich reich geworden sein. Trotzdem kaufte er das teure Diamantenarmband. »Da wird sich Ihre Frau aber freuen«, meinte der Juwelier. Der zukünftige Star schüttelte den Kopf. »Für meine Frau wäre ein solches Geschenk zu teuer. Es ist für 'Lolly' Parsons.«

Wie heidnische Völker vor der Göttin, deren Rache sie fürchten, Gaben ausbreiten und Weihrauch verbrennen, so opfert die Filmkolonie auf dem Altar der Louella O. Parsons. Ganz bestimmt verschwenden die Filmleute ihr Geld nicht gern an die dickliche, ältere Frau von 57 Jahren. Aber sie müssen es tun. Die Parsons ist das böseste Klatschmaul in den Staaten. Wer ihr mißfällt, muß befürchten, in 900 amerikanischen Zeitungen von ihr angeschwärzt zu werden.

Louella Parsons teilt sich in den Klatschruhm mit einer ganzen Garde amerikanischer Journalisten. Aber schon die Berufsbezeichnung ist mißverständlich. Die Columnisten gleichen eher hartgesottenen Geschäftsleuten und Nachrichtenfabrikanten als Publizisten. Ihre Ware ist die Meldung, der Klatsch, der Kommentar, das Bonmot, die sie nach streng geschäftlichen Prinzipien an Hunderte von Zeitungen versenden. Ihre Column (Spalte) ist die regelmäßige Lieblingslektüre der Leser in den von ihnen belieferten Zeitungen.

Der Columnisten sind viele. Einige von ihnen wurden die Stars in den Zeitungsspalten. Neben ernsthaften politischen Leitartiklern wie Walter Lippmann in der »New York Herald Tribune« stehen die reinen Klatsch-Spalter. Auch in dieses Genre teilen sich Männer und Frauen. Walter Winchell und Drew Pearson machen ihren weiblichen Artgenossen Louella Parsons, Hedda Hopper und Elsa Maxwell eifrig Konkurrenz.

Walter Winchell pflegt in seinen 1200 Worten, die er sechsmal wöchentlich an die bei ihm abonnierten 800 Zeitungen versendet, Gesellschaftstratsch mit politischen Prophezeiungen und sonstigen Informationen zu einem grausligen Spalten-Brei artig zu verrühren. Damit verdient der einstige drittklassige Varietékomiker jährlich 120000 Dollar. Seine täglichen 15 Minuten im Rundfunk bringen ihm noch einmal 7500 Dollar pro Woche ein.

Sein Konkurrent Drew Pearson hat sich neuerdings mehr auf die Politik gelegt. Er wird in Washington entsprechend gefürchtet. Roosevelt nannte ihn einen »notorischen Lügner«, Truman bedachte ihn kürzlich mit dem bösesten aller amerikanischen Schimpfworte: »son of a bitch« (Sohn einer Hündin).

Pearsons Rubrik »Washington merry-goround« (Washington-Karussell) erscheint trotzdem in 600 Zeitungen und bringt ihm wöchentlich 2000 Dollar ein. Dazu verdient er sich noch einmal 5000 Dollar in der Woche mit seinen Radio-»Prophezeiungen« (my predictions). Drew Pearson ist Quäker. Er organisierte den ersten Freundschaftszug, der Waren im Werte von 40 Millionen Dollar nach dem notleidenden Europa brachte.

Unter den Klatschfrauen hält Louella Parsons immer noch die Spitze. Sie ist die bestbezahlte Journalistin in den Staaten. Ihre Einnahmen werden auf 200000 Dollar jährlich geschätzt. Ohne die Geschenke.

Einmal, vor zwei Jahren, brachte sie auf einen Schlag Gaben im Werte von rund 100000 Dollar mit nach Hause. Das war nach einem Diner, das ihr zu Ehren in dem eleganten Künstlerlokal »Coconut Grove« gegeben wurde. Rund 800 Filmstars waren gekommen. Mit ihnen die Filmproduzenten. Selbst der Gouverneur von Kalifornien, Earl Warren, war vorgefahren, um Louella zu feiern. Am nächsten Tag schrieb sie in ihrer Column: »Ich schwimme immer noch auf einer rosaroten Wolke.«

Sie hat gut schwimmen. Die Frau mit der plärrenden Kinderstimme und dem sentimentalen Gesichtsausdruck einer stark überalterten Naiven ist in Wahrheit eine höchst gerissene, eiskalte Geschäftsfrau. Klatsch, wie sie ihn betreibt, reicht in die Bezirke der großen Geschäfte.

In Wahrheit heißt sie Mary Ann Oettinger. Sie ist deutscher Abstammung. Das hat sie allerdings, besonders während des Krieges, sorgfältig zu verbergen gewußt. Im Telefonbuch steht sie unter dem Namen ihres augenblicklichen Gatten, des Arztes Dr. Harry W. Martin. Der freundliche Urologe, der seine Patienten vor allem unter den Filmleuten hat, scheint sich damit abgefunden zu haben, Prinzgemahl der Königin des Klatsches zu sein.

Wie es sich für eine Berufsklatscherin geziemt, begann Louellas Karriere mit einer handfesten Indiskretion. Durch Zufall hatte sie erfahren, daß Randolph William Hearst, Herr über 100 amerikanische Zeitungen, heimlich eine Affäre mit der mittelmäßigen Filmschauspielerin Marion Davis hatte. Dem Konzernherrn Hearst wäre es damals sehr peinlich gewesen, wenn die Davis-Kunde in die Oeffentlichkeit gekommen wäre. Es hätte seinen politischen Ehrgeiz stören können. Er erkaufte sich Louellas Schweigen, indem er ihr eine Spitzenstellung in seinem Konzern einräumte. So wurde aus der kleinen Reporterin aus Dixon (Illinois) fast über Nacht ein Spalten-Star von Hearst.

Eigentlich paßten sie auch recht gut zueinander. Der Name Hearst steht in Amerika für die rücksichtsloseste der rücksichtslosen Sensationspresse, der sogenannten »yellow press«. Mit Seriosität haben die Hearst-Blätter, tägliche Auflage 20 Millionen Exemplare, nicht sehr viel zu tun.

Louella ist bei Hearst geblieben. Sie gliederte ihrem Abnehmerkreis nur noch eine große Zahl bescheidener Provinzblättchen an. Heute wird ihr täglicher Leserstamm auf 30 Millionen Menschen geschätzt. »Sie ist eine der stärksten publizistischen Mächte auf der Erde« (Time).

Als sie Hearst erpreßte, rühmte sie sich ihres Tuns mit dem Satz: »Glücklicherweise weiß ich zu schweigen, wenn es sein muß.« Bald darauf formulierte sie einen anderen Leitsatz: »Es gibt für mich kein Geheimnis, und ich teile jedes Geheimnis mit meinem lieben Publikum.«

Zuträger ihres privaten Spionageapparats sind Friseure, Kellner, Dienstmädchen, Pressereporter. Ihre besten Agenten hat sie unter den Sprechstundenhilfen, den Laboranten und den Krankenhausschwestern. Alle tragen ihr Indiskretionen zu und geben ihr Informationen über das, was sie neckisch das »Storchenrennen« nennt.

Lollys Netze reichen weit ins Ausland. Im letzten November konnte sie »mit größtem Bedauern« der Oeffentlichkeit mitteilen, daß Ingrid Bergman bald in Rom ein Baby erwarte. Niemand wollte es ihr glauben Aber die Parsons war bereit, mit dieser unzarten Information das ganze Ansehen ihrer 25jährigen Laufbahn aufs Spiel zu setzen. Vier Monate später bekam sie recht. »Beschämt« vergoß sie jetzt wehmütige Krokodilstränen, daß sie leider gezwungen gewesen sei, das Privatgeheimnis Ingrids - sie nennt alle Stars wie Kinder beim Vornamen - auszuschwätzen.

1949 war überhaupt ein Triumphjahr für Louella Parsons. Als einzige amerikanische Journalistin durfte sie am Hochzeitsdiner von Rita Hayworth teilnehmen. Dabei hatte sie noch wenige Wochen vorher über Rita Moralreden gehalten und ihr Unheil für die Ehe mit Ali Khan prophezeit.

Aber Rita konnte es sich nicht leisten, darum mit Lolly zu schmollen. Um der Parsons willen mußte sie sogar ihre Freundin Elsa Maxwell ausladen, obwohl sie in deren Haus einst Ali kennengelernt hatte. Elsa Maxwell bekam eine Herzattacke und blieb in London.

Die Maxwell hat eben niemals völlig mit der Parsons konkurrieren können. Zwar erscheinen auch ihre Klatschspalten in einer großen Zahl von Zeitungen, und ihre parties, auf denen sie Welt und Halbwelt geschmackvoll miteinander vereinigt, genießen nicht nur in Hollywood Berühmtheit. Aber Elsas höherer Ehrgeiz war ihrer publizistischen Wirksamkeit nicht eben förderlich. Die 67jährige Frau, die als Musikschriftstellerin begann und 80 Kompositionen veröffentlichte, hat philosophischen Ehrgeiz. Wenn es ihr gerade einfällt, doziert sie über den Marxismus. Sie nennt ihn »eine Erfindung für arme Leute«.

Solcher Ehrgeiz liegt Lolly fern. Sie will nur klatschen. Ihre Leser sollen glauben, hinter alle Schlafzimmergeheimnisse Hollywoods zu kommen, wenn sie die Parsons-Spalten lesen.

Um diesen Effekt zu erzielen, ist sie nicht eben furchtsam. Sie arbeitet schrecklich ungenau. Sie verwechselt die Namen. Sie bringt die Ereignisse durcheinander.

Rücksicht oder Scheu kennt die Parsons nicht. Sie kann für sich den Ruhm in Anspruch nehmen, Dutzende von Ehen in Hollywood zerstört zu haben. Hat etwa ein Star einer Kollegin Blumen geschickt, so phantasiert Lolly schnell einen Roman zusammen. Auf die Gefühle der immerhin auch existierenden Ehefrau nimmt sie keine Rücksicht. Mehr als einmal wurde ein Gerücht Wirklichkeit, weil die Klatscherei der Parsons eine Versöhnung unmöglich machte.

Lolly ist grenzenlos ungebildet und vulgär. Manche der Informationen, die sie sich, wie fast ausnahmslos, telefonisch heranangelt, versteht sie gar nicht.

Aber an einen letzten Rest von Vorsicht hält sie sich doch. Wenn sie eine Nachricht bekommt, die ihr gefährlich erscheint, läßt sie sie nachprüfen. Ihrem hellen, sachlichen Büro mit Klimaanlage hat sie eine Rechtsabteilung angegliedert. Sie geht immer nur so weit, wie die festangestellten Rechtsberater eben noch glauben, der Oeffentlichkeit und den Betroffenen zumuten zu können.

In diesem Rest von Vorsicht vor Beleidigungsklagen unterscheidet sie sich grundsätzlich von ihrer Hauptkonkurrentin Hedda Hopper. Die schreibt alles, was sie nur hört, und gefällt sich hinterher als vollendeter Unschuldsengel. Trotzdem ist Hedda niemals verklagt worden. Sie behauptet es jedenfalls.

Hedda Hopper, selbst ehemalige Filmschauspielerin, wurde 1936 bewußt als Konkurrenz gegen Louella Parsons gestartet. Sie hat es inzwischen auf täglich 800 Klatschworte und 22 Millionen Leser in rund 400 Zeitungen gebracht.

Der Wettbewerb der beiden Tratschtanten ist eine Quelle steten Aergernisses für alle Veranstalter in Hollywood. Werden beide. Damen zu der gleichen Gesellschaft eingeladen, müssen sie gleich nahe dem Gastgeber gesetzt werden. Soll über beide irgendeine Nachricht in die Klatschwelt gesetzt werden, so ist es jedesmal ein aufregendes Rechenexempel, welche der Damen zuerst bedient wird. Im allgemeinen behält Louella ihr Erstgeburtsrecht. Ihr Klatschmaul ist zu wichtig geworden.

Ein Film, der in Louellas Column oder Radiosendung erwähnt wird, bringt sofort viele tausend Dollar mehr ein. Die Produzenten haben das durch ihren eigenen Meinungsforscher feststellen lassen. An einem Montag fragten 78 von 100 Menschen an der Kinokasse, ob dort der Film gespielt werde, den Louella in ihrer Sonntagssendung erwähnt habe. In einem anderen Falle kletterten die Filmeinnahmen von 17000 auf 37000 Dollar von einem Tag zum anderen, nachdem die Parsons auch nur den Titel des Streifens in einem Nebensatz angeführt hatte

Vor kurzem haben die beiden Rivalinnen Louella und Hedda miteinander Frieden gemacht. Seitdem herrscht die Parsons nahezu diktatorisch. Niemand wagt noch, ihr eine Information vorzuenthalten. Vor ihr gibt es kein Geheimnis. Trotz aller Geschenke, die ihr gebracht werden, trotz aller Schmeicheleien, die ihr in ihren breiten Mund geschmiert werden, ist sie die meist gefürchtete Frau in Hollywood. Sie ist auch die meist gehaßte.

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