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DDR-FLÜCHTLINGE Mit Pantoffeln

Keiner der mehr als 17 000 Aussiedler dieses Jahres hat sich so schnell in der Bundesrepublik zurechtgefunden wie die Nichte des DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph. *
aus DER SPIEGEL 16/1984

Tut mir leid«, sagt die stämmige junge Frau mit den rotblonden, kurzen Haaren, »aber wenn ich jetzt mit Ihnen rede, kriege ich Ärger.«

Schulterzucken: »Ich kann Ihnen wirklich nichts sagen.« Dann wendet Ingrid Berg sich ab.

So schnell wie die Stoph-Verwandten Ingrid und Hans-Dieter Berg hat sich wohl keiner der inzwischen mehr als 17 000 DDR-Übersiedler dieses Jahres in der Bundesrepublik zurechtgefunden: Vier Wochen nach der Ausreise haben

sie mit ihren Kindern Jens, 7, und Simone, 3, eine hübsche Wohnung am Helgolandring 28 in Ahrensburg gefunden, ein knallroter Mittelklasse-Kombi steht vor der Tür, und einen Job als Installateurmeister im nahen Hamburg hat das 35jährige Familienoberhaupt auch schon.

Überhaupt hat die 28jährige Nichte des DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph schnell begriffen, wie die Mechanismen des kapitalistischen Systems funktionieren. 60 000 Mark für ihre Geschichte boten Journalisten bereits, als die Bergs am 20. März mit ihrem »Wolga« im Aufnahmelager Gießen ankamen. Den Zuschlag erhielt die Springer-Zeitung »Bild am Sonntag« ("BamS"), in der die Familie nun »weltexklusiv« Woche für Woche »allen bisher veröffentlichten Halbwahrheiten und Verdrehungen entgegentreten« darf. Nur für das Schwesterblatt »Bild« fiel noch eine vierteilige Mini-Serie ab, mit anderen Journalisten dürfen die Bergs nicht reden.

Erfahren nun die Leser von Springers Blättern, die den ostdeutschen Staat immer noch mit Tüttelchen schreiben, tatsächlich »die ganze Wahrheit«?

Eine Woche lang quartierte »Bild am Sonntag« die Familie auf Redaktionskosten im Gasthof »Drei Lilien« bei Ahrensburg ein. »Bild« zitiert den Hotelier: »Sie haben den ganzen Trakt für sich, fünf Zimmer.« Und ein Kellner darf über die prominenten Gäste berichten: »Sehr wählerisch sind sie nicht.«

Immerhin: Der Name des Gasthofs stimmt. Der hat fünf Gästezimmer, von denen die Bergs ganze zwei bewohnten. Einen Kellner gibt es nicht. Gastwirt Günter Reichardt: »Das mit den fünf Zimmern habe ich nicht gesagt. Und einen Kellner kann ich mir doch gar nicht leisten.«

Offenbar klappte es auch sonst nicht so recht mit der Koordination bei Springers. In »Bild« berichtet Hans-Dieter Berg, drüben selbständiger Klempnermeister: »Ich selber habe für Schwarzarbeit Westgeld verlangt ... Mit der D-Mark standen mir alle Intershops offen.« Dagegen Ingrid Berg in »BamS": »Wir mußten ganz normal im HO-Laden einkaufen. Für die wenigen Sachen aus dem Intershop mußten wir hart erarbeitetes Ostgeld 1:5 in Westmark umtauschen.«

Doch was machen solche Ungereimtheiten, wo es gilt, das miese sozialistische System drüben mit dem goldenen Kapitalismus hüben zu vergleichen.

Drüben ist es nämlich, nach Ingrid Berg, so: »Für Ostmark gab's in den normalen Läden der DDR nicht mal Unterhemden.«

Oder so: »Auf ein paar einfache Fliesen fürs Bad mußten wir jahrelang warten! Und nach der passenden Wollfarbe für einen Pullover mußte ich sechs Monate lang suchen! Im Badezimmer mußte mein Mann getrennte Hähne für Warm-

und Kaltwasser installieren, weil er bei uns keine Mischbatterie bekam!«

Ihr Mann denkt da synchron: »Was nutzt mir mein Geld in der DDR, wenn ich dafür doch nicht den passenden Anzug und die passenden Schuhe bekomme?«

So spricht einer, der drüben 4000 Mark netto im Monat verdiente (Durchschnittseinkommen 1000 Mark), der nach eigenen Angaben für 400 000 Mark sein Haus umbauen konnte, der seiner Frau einen Weißgoldring mit Brillanten für 17 500 Mark kaufte und neben dem Wolga noch einen Volvo für 42 000 Mark und einen Trabant in der Garage stehen hatte.

Bei soviel A-Sozialismus konnte natürlich auch das Verhältnis zum Onkel Ministerpräsident nicht ungetrübt sein. »Die wenigen Male«, klagt die Nichte, »die wir zusammentrafen, endeten immer mit Mißklang.«

Und die Schilderung vom Morgenmuffel Stoph betitelte »BamS« genüßlich mit »Onkel Willi: Morgens warf er mit Pantoffeln!« Schade, daß er nicht auch noch in den Teppich gebissen hat.

Kein Zweifel, die Stoph-Verwandten waren in der DDR schon ein bißchen gleicher als die anderen, und so empfinden sie sich auch. Typisch: Als sie nach ihrer Flucht in die deutsche Botschaft in Prag mit DDR-Vertretern über die Modalitäten ihrer Ausreise verhandelten, kämpften sie mit Vehemenz dafür, auch ihr Meißner Porzellan und eine alte Standuhr mitnehmen zu dürfen.

So etwas verbittert jene 17 000, die jetzt zwar auch ausreisen durften, aber nur per Bahn und nur mit den nötigsten Dingen in ein paar Koffern.

Der Gießener Neuankömmling Karl Heinz Riedel über das Auftreten der Bergs: »Ich stand gerade an der Telephonzelle bei der Pforte. Da brauste der Wolga an, der Mann stieg aus, toll frisiert, mit Schlips und Kragen, der sah gut aus. Dann ist er in das Pförtnerhäuschen gestürmt, hat irgendwas gefragt, sich wieder ins Auto geschmissen und Vollgas gegeben. Das ist doch ein Flegel.«

Schweigend bestaunten die Lagerinsassen den »Sharp«-Kassettenrecorder im Auto, die Walkman-Hörer auf dem Kopf des siebenjährigen Jens. »Wer so ein dickes Auto fährt, braucht nicht hier rüber«, ärgerte sich Riedel, und ein anderer: »Die haben drüben wie die Maden im Speck gelebt. Die haben hier nichts zu suchen.«

Als sich die Bergs in »Bild« darüber beschwerten, sie müßten für »dieses schäbige Loch« in einem Frankfurter Wohnheim 161 Mark Miete bezahlen, reagierten auch dort die Lagerinsassen sauer. Solche Schilderungen seien eine »Riesensauerei«, fand eine Frau, und ein anderer sprach von »Bonzen«, die man »postwendend zurückschicken« müßte.

Aber da kommen die gerade her.

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