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USA / MILITÄRBERATER Mit Posaune

aus DER SPIEGEL 30/1961

Zur gleichen Zeit, da der amerikanische

Präsident Kennedy die Berlin-Drohungen Nikita Chruschtschows mit militärischen Gegenmaßnahmen kontern will, wird das Prestige jener Institution erschüttert, die im Ernstfall die Einsatzbefehle für die Berliner US -Garnison erteilen muß: des Komitees der Vereinigten Stabschefs.

»Ich bin zu der Schlußfolgerung gekommen, daß wir einen neuen Komitee -Vorsitzenden brauchen«, urteilte jüngst der demokratische Senator Albert Gore, nachdem er von hohen Militärs in die geheime Vorgeschichte des Kuba-Fiaskos eingeweiht worden war.

Stabschef-Kritiker Gore: »Alle Mitglieder des Komitees der Vereinigten Stabschefs müssen durch neue, klügere und fähigere Männer abgelöst werden.« Denn die Stabschefs hätten den Präsidenten über die Siegeschancen einer US-unterstützten Invasion auf Kuba völlig falsch unterrichtet.

Die Ausfälle des Senators gegen die prominentesten US-Militärs alarmierten die amerikanische Öffentlichkeit derartig, daß es Kennedy für geboten hielt, sich schützend vor seine gedemütigten Stabschefs zu stellen.

Während der Präsident die Stabschefs zu einer später gern und oft publizierten Gruppenaufnahme ins Weiße Haus rief, ließ er seinen Verteidigungsminister beteuern, die Stabschefs besäßen nach wie vor das volle Vertrauen der Regierung.

Der Minister mußte freilich zunächst verschweigen, daß der von seinen Stabschefs bitter enttäuschte Präsident längst bei einem Mann Rat gesucht hatte, der über die Fähigkeiten der Vereinigten Stabschefs noch härter als der Senator Gore denkt und notfalls sogar bereit ist, die ganze Institution abzuschaffen.

»Das System der Vereinigten Stabschefs«, hatte der neue Kennedy-Berater geurteilt, »hat sich als unwirksam erwiesen. Wenn ein Krieg kommt, dann wird das Komitee-System für die Führung moderner Operationen in den ersten Stunden oder Tagen zusammenbrechen.«

Und weiter: Die Stabschefs pfuschten wie Kantinenköche herum, die sich über den Speisezettel nicht einigen könnten. »Wenn die Köche nicht zusammenarbeiten können, dann macht den Besten zum Chef und schmeißt die anderen hinaus.«

Seit Ende Juni ist der Verfasser solcher Rezepte in der Lage, den vier Generalstabs-Köchen zumindest die Suppe zu versalzen: Der 59jährige Fallschirmjäger-General Maxwell Davenport Taylor soll als militärischer Chefberater Präsident Kennedys den amerikanischen Wehrapparat nach jenen Grundsätzen reorganisieren, derentwegen der General bis vor kurzem als ein hoffnungsloser Außenseiter galt.

Was indes den vier Stabschefs, bis zur Berufung Taylors die einzigen professionellen Militärberater Kennedys, besondere Pein bereitet, ist die Tatsache, daß der reaktivierte Fallschirmjäger mehr Macht und Einfluß besitzt als jemals ein US-Soldat zuvor. Max Taylor

- ist der wichtigste Berater Präsident Kennedys in allen militärischen Fragen,

- führt die Oberaufsicht über alle militärähnlichen Operationen und Vorbereitungen des US-Geheimdienstes und

- bearbeitet letztverantwortlich sämtliche Operationspläne, die mit der Berlin-Krise zusammenhängen.

Die Funktionen Taylors machen deutlich, was die Stabschefs an der Reaktivierung des Generals so irritiert. Taylor ist zwar nicht formell, aber praktisch zum Super-Generalstabschef Amerikas aufgerückt, einem Posten, der dem Außenseiter Taylor immer vorgeschwebt hat und neben dem die Bedeutung der vier Stabschefs verblaßt.

Damit hat Präsident Kennedy zugleich die Frage, ob das Kommandosystem der US-Wehrmacht noch den Erfordernissen der amerikanischen Weltmacht gerecht werden kann, negativ beantwortet.

Das Komitee der Vereinigten Stabschefs (Joint Chiefs of Staff) war im Zweiten Weltkrieg entstanden. Als die Japaner 1941 Pearl Harbor bombardierten, setzten sich die Stabschefs der Waffengattungen zusammen und bildeten eine Art Generalstab, den sie Komitee der Vereinigten Stabschefs nannten.

Der den meisten US-Generalen gemeinsame Horror vor dem preußischen Generalstab verhinderte jedoch die Bildung eines Großen Generalstabs oder Führungsstabs, der - losgelöst von den Interessen der einzelnen Waffengattungen - das Gesamtinteresse der Wehrmacht wahrt.

Lediglich das fünfte Mitglied des Komitees, der Vorsitzende* des Gremiums, bemühte sich notdürftig, auch anderen Waffengattungen gerecht zuwerden. Die Stabschefs dagegen waren und blieben Interessenvertreter ihrer Wehrmachtsteile.

Angesichts des unvermeidlichen Hick -Hacks unter den Stabschefs bauten sich schließlich die Präsidenten als Oberbefehlshaber der Wehrmacht ihren eigenen Generalstab auf, der die Streitkräfte vor den gröbsten Folgen der ständigen Interessenkonflikte im Komitee der Stabschefs schützen sollte.

Bald nach Gründung des Komitees berief Weltkrieg-II-Präsident Roosevelt den pensionierten Admiral William D. Leahy als militärischen Chefberater ins Weiße Haus, der zwar offiziell nur Verbindungsoffizier zu den Joint Chiefs of Staff war, in Wirklichkeit jedoch bald die Stabschefs an Macht weit übertraf.

Chefberater Leahy, von den eifersüchtigen Stabschefs stets als »graue Eminenz des Weißen Hauses« apostrophiert, wurde später auch von dem Roosevelt-Nachfolger Truman übernommen. Nach dem Ende der Truman -Ära erlosch zwar der Posten des militärischen Chefberaters, dafür aber war Präsident Eisenhower im Grunde sein eigener Generalstabschef.

Daß nun ein ehemaliger Armee-General auf dem Präsidentensessel saß, entwertete das Komitee noch mehr: Die Vereinigten Stabschefs, laut Gesetz »militärische Hauptberater des Präsidenten«, wurden zu Befehlsempfängern des Weißen Hauses degradiert und verloren damit immer mehr den Charakter

eines autonom denkenden Generalstabs.

Das soll auch dem Mann schmerzlich bewußt werden, der sich im Juli 1955 als neuer Stabschef der Armee an dem ovalen Beratungstisch des Komitees der Vereinigten Stabschefs im zweiten Stock des Pentagon niederließ. Max Taylor stieß denn auch bald wegen seines strategischen Nonkonformismus mit dem Militärpolitiker im Weißen Haus zusammen.

Dabei brachte der vieldekorierte Fallschirmjäger-General manche Voraussetzungen mit, die ein gutes Auskommen mit Ike hätten gewährleisten können. Eisenhower hatte den gelernten Pionier und Artilleristen Taylor stets für einen der brillantesten Offiziere des Heeres gehalten und ihn zuweilen sogar seinen Freund genannt. Taylors Leistungen waren in der Tat eindrucksvoll:

Er war 1944 an der Spitze seiner 101. Luftlandedivision als erster alliierter General während der Frankreich-Invasion abgesprungen, hatte in der Ardennen-Offensive Bastogne gegen die Deutschen gehalten, als amerikanischer Stadtkommandant in Berlin (1949 bis 1951) und als Befehlshaber in Korea militärische und diplomatische Fähigkeiten bewiesen.

Memoirenschreiber Eisenhower bescheinigte in seinem »Kreuzzug in Europa« dem Kameraden Taylor, die »gefährlichste Mission des Zweiten Weltkriegs« ausgeführt zu haben: ein militärisch-diplomatisches Stoßtrupp-Unternehmen, das Taylor am 7. September 1943 in das deutschbesetzte Rom zu geheimen Verhandlungen mit dem italienischen Kapitulations-Marschall Badoglio führte.

Der neue Stabschef der US-Armee hatte nun freilich ein Manko, das ihn allmählich bei Eisenhower recht suspekt machte: Maxwell Taylor dachte selbständig. Diese bei Militärs ungewöhnliche Eigenschaft behagte dem Staatschef um so weniger, als sich Taylors Kritik gegen Eisenhowers heiligste Überzeugung richtete: das Dogma der atomaren Vergeltung.

Eisenhower hatte aus Budget-Rücksichten und in der Überzeugung, jeder Krieg werde unweigerlich in einen Atomkrieg ausarten, den Grundsatz festgelegt, Amerika müsse sich vornehmlich auf seine Atomwaffen stützen. Als Ike im Juli 1956 zum erstenmal seinen »New Look«-Plan den Stabschefs vorlegen ließ, begehrte Taylor gegen da Projekt auf.

»Diese Konzeption bereitet uns au einen unwahrscheinlichen Krieg vor' monierte er, »während sie die Vereinigten Staaten für einen sehr wahrschein lichen Kriegsfall schwächt. Sie legt die Form der militärischen Aktion star fest und beraubt uns jeglicher Flexibilität. Dieses Programm ist völlig unannehmbar.«

Je mehr aber Eisenhower drängte, die neue Strategie zu akzeptieren, desto leidenschaftlicher predigte Taylor, die starre Atomstrategie werde Amerika nicht stärken, sondern schwächen.

Vergebens mahnte Taylor, die Armee für begrenzte Kriege auszurüsten, vergebens warnte er vor dem »großen Trugschluß, daß die atomare Vergeltung eine Allwetter- und Allzweckstrategie ist, mit der jeder militärischen Situation begegnet werden kann«.

Taylors Gegenvorschlag: Schluß mit der traditionellen Aufgliederung der Wehrmacht in Armee, Marine und Luftwaffe, dafür eine Gruppierung in Verbände für den Atomkrieg und in solche für den begrenzten Krieg.

Indes, Präsident Eisenhower ließ den General belehren, ein Stabschef habe nicht zu rebellieren, sondern die Politik der Regierung auszuführen. Im Sommer 1959 zog Taylor die Konsequenzen und ging vorzeitig in Pension.

Der malträtierte Stabschef rächte sich wenige Monate später mit der Veröffentlichung seines Buches »Die undeutliche Posaune« ("The uncertain Trumpet"), in dem er Eisenhower bescheinigte, seine Strategie werde »von nichtmilitärischen oder militärischen Faktoren bestimmt, die völlig veraltet« seien. Taylor: »Wir spielen ein von vornherein verlorenes Spiel und sollten damit aufhören.«

John F. Kennedy, der ein anderes Spiel beginnen wollte, las das Taylor -Buch und erwärmte sich für die Ideen des Generals derartig, daß er nicht nur Partien des Taylor-Konzepts in sein Programm, sondern schließlich auch den Verfasser in seine Dienste nahm.

Seit aber in Washington bekannt ist, daß Chefberater Taylor die militärischen Berlin-Pläne Amerikas bearbeitet, horchen die Experten Taylors »Undeutliche Posaune« nach allen Berlin-Tönen ab. Ergebnis der Nachforschungen: Stratege Taylor hält wohl einen konventionellen, nicht aber einen atomaren Krieg um Berlin für wahrscheinlich.

Das Dogma der atomaren Vergeltung, so hatte sich Autor Taylor gesorgt, könne geradezu den »vernünftigen Plan« sabotieren, »amerikanische Bodenstreitkräfte mit der Absicht einzusetzen, die sowjetischen Ambitionen zu testen und damit die Möglichkeit zu verhindern, daß wir durch einen Bluff aus Berlin hinausmanövriert werden«.

* Seit 1947 bestand das Komitee nur aus den Stabschefs der Armee, Flotte und Luftwaffe. Der Posten eines Vorsitzenden wurde erst 1949 geschaffen, später trat als weiteres Mitglied noch der Kommandant des Marinekorps hinzu.

Präsident Truman (l.) Chefberater Leahy (r.): Bodentruppen statt Atom-Vergeltung...

... gegen Moskaus Berlin-Bluff: Kennedy, Chefberater Taylor (2. v. I.)*

* Mit Außenminister Rusk und Verteidigungsminister McNamara (v. l. n. r.).

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