SCHECK-VERKEHR Mit Selbstvertrauen
Die drei westdeutschen Großbanken wollen rund eine Million Arbeitnehmer der Bundesrepublik am 1. Oktober mit einem Hilfsmittel feiner Lebensart ausstatten, das diesen gemeinhin nur vom Hörensagen bekannt ist. Dresdner Bank, Deutsche Bank und Commerzbank dienen ihrer Kundschaft, soweit sie ein Lohn- und Gehaltskonto bei ihnen unterhält, an diesem Tag ein Scheckbuch neuen Typs an. Ihm ist eine Ausweiskarte beigefügt, die jenes Selbstvertrauen vermitteln soll, das heute auch noch in Großstadt-Läden nötig ist, um mit dem Scheckbuch einzukaufen.
Diesem im bargeldlosen Zahlungsverkehr bisher unbekannten Ausweispapier hat auch Westdeutschlands Zentraler Kreditausschuß zugestimmt, dem die Spitzenverbände des gesamten Kreditgewerbes angehören. Der Ausschuß war am 16. August in Bonn zusammengekommen, um eine Entwicklung abzubremsen, die im Zusammenhang mit den Lohn- und Gehaltskonten den Unkostenetat von Banken und Sparkassen über Gebühr hat anschwellen lassen.
In steigender Zahl nämlich überweisen Firmen der Großindustrie, unter ihnen zum Beispiel die Badische Anilin- und Sodafabrik und die Hüttenwerke Oberhausen, ihren Arbeitnehmern die Gehälter auf Konten: Bei den westdeutschen Sparkassen werden schon 2,6 Millionen, bei den Banken rund 1,4 Millionen Lohn- und Gehaltskonten* geführt.
Die Überweisungen mittels automatisch arbeitender Lochkartenmaschinen anstelle des mühevollen Eintütens erspart den Großbetrieben manchen Buchhalter. Die Ruhrindustrie errechnete die Faustregel, daß von den 30 Buchhaltern und Kassenwarten, die durchschnittlich für je tausend Beschäftigte nötig sind, 22 eingespart werden können, wenn sich die Arbeitnehmer ihr Entgelt am Bank- oder Sparkassenschalter auszahlen lassen.
Die Kreditinstitute jedoch hatten bisher von den in ihre Kassen fließenden Lohn-Millionen praktisch keinen Nutzen. Die Ehefrauen der Arbeitnehmer erschienen meist pünktlich zum Monatsersten am Bankschalter und ließen sich das überwiesene Geld in voller Höhe auszahlen. Auch das Zehntelprozent Provision, das die Banken den Firmen für die Kontenführung und Auszahlung zuweilen abverlangten, machte den erhöhten Arbeitsaufwand nicht wett. Um diese wenig ersprießliche Situation in ein Geschäft umzumünzen, faßte der Zentrale Kreditausschuß den Beschluß, künftig den bargeldlosen Zahlungsverkehr unter der Arbeitnehmerschaft populär zu machen.
Die drei Großbanken wollen zu diesem Zweck jeden Inhaber eines Lohn- oder Gehaltskontos mit Scheckbuch und Ausweiskarte versehen und ihm empfehlen, nicht schon am Zahltag sein Geld abzuheben, sondern seine über den ganzen Monat verteilten Einkäufe jeweils mit einem Scheck zu bezahlen. Der Vorteil für die Institute: Während sie selbst für Lohnkonten keine Zinsen zahlen, können sie die länger auf dem Konto verbleibenden Lohnsummen zinsbringend arbeiten lassen.
Unter diesem Blickpunkt sahen zunächst auch die Sparkassen die Lohn- und Gehaltskonten als »eine Möglichkeit zur Förderung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs« an. Als sie jedoch feststellen mußten, daß die Banken dabei dem Scheck die Hauptrolle einräumen wollen, beeilten sie sich, die Pläne in Mißkredit zu bringen. Denn eine Ausweitung des Scheckverkehrs etwa auf die Gebräuche in den USA hin, wo 40 Prozent aller Einzelhandels-Einkäufe durch Scheck beglichen werden, wäre einem ihrer lukrativen Geldgeschäfte abträglich, dem Überweisungsverkehr.
Während beispielsweise eine Münchner Bank den Überweisungsauftrag eines Kunden durch die Post direkt an die Bank des etwa in Hamburg wohnenden Empfängers schickt und dafür sorgt, daß der Betrag schon einen oder zwei Tage später seinem Konto gutgeschrieben werden kann, lassen sich die Sparkassen länger Zeit. Bei ihnen läuft die Überweisung auf dem Dienstweg gemächlich über die Girozentralen in München und Hamburg, bevor sie - nach etwa vier Tagen - auf dem Konto des Hamburger Empfängers zu Buche schlagen und abgehoben werden könnten.
Unterdessen verbleibt das Geld zinsentragend innerhalb der Sparkassenorganisation, was den Kassen bei den täglich bewegten Millionenbeträgen - 1959 wurden von den Sparkassen 451 Millionen Überweisungsaufträge ausgeführt - einen ansehnlichen Zusatzgewinn sichert. Im Scheckverkehr sind dagegen die Sparkassen im allgemeinen genauso flink wie die Banken.
Kaum war nach dem Treffen des Kreditausschusses die Absicht der Großbanken publik geworden, ihre neuen Scheckbuchkunden mit einer in den jeweiligen Hausfarben gehaltenen Ausweiskarte zu versehen, da bezeichnete der Deutsche Sparkassen- und Giroverband e. V. in Bonn derartige Bestrebungen denn auch schon als eine »Fehlentwicklung«.
Die Ausweiskarte, so argumentierte der Verband, kompliziere unnötig den Zahlungsverkehr. Außerdem könne beim Einzelhandel der irrige Eindruck entstehen, als garantiere die Bank die Einlösung des Schecks auch in allen den Fällen, in denen der Kunde sein Konto überzogen hat. Das aber sei ungesetzlich, weil garantierte Schecks den Charakter von Bargeld hätten.
Paragraph 35 des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank bedroht in der Tat denjenigen mit Gefängnis und mit Geldstrafe in unbeschränkter Höhe, der »unbefugt Geldzeichen (... oder andere Urkunden, die geeignet sind, im Zahlungsverkehr an Stelle der gesetzlich zugelassenen Münzen oder Banknoten verwendet zu werden) ... ausgibt«.
Überdies warnte der Sparkassenverband vor der Gefahr des Kreditmißbrauchs, der »in einer Zeit, die ohnehin zu übersteigertem Verbrauch und zu einer sozialpolitisch unerwünschten Verschuldung breiter Kreise« neige, besonders bedenklich erscheine. Hingegen sei, so ließen die Sparkassen- und Giromänner wissen, eine Pflege des Überweisungsverkehrs sinnvoller als die Propagierung des Schecks, weil ein Kreditmißbrauch bei Überweisungen ausgeschlossen sei.
Trotz der Attacken haben sich indes die Großbanken als Vorreiter ihrer Artgenossen nicht von ihren Plänen abbringen lassen, sondern die Ausgabe der Scheckbücher und Ausweise vorbereitet. Ihre Kollegen von den Sparkassen hingegen bleiben der Aktion fern, nicht ohne Unkenrufe von sich zu geben, daß mit der Ausweitung auf die von den Banken vorgeschlagene Weise vermutlich auch die Kriminalität im Scheckverkehr ansteigen werde.
Um einen solchen Mißbrauch des unter Westdeutschlands Lohn- und Gehaltsempfängern in der Tat noch recht ungebräuchlichen Scheckverkehrs auszuschließen und den skeptischen Einzelhandel zu gewinnen, haben die Großbanken vorsorglich einige Sicherungen eingebaut. Überzieht ein Lohn- oder Gehaltskontoinhaber sein Scheckkonto das erste Mal, so wird der Scheck zwar eingelöst, der Kontoinhaber aber mit drei Mark Strafgebühr belastet. Schon beim zweiten Mal wird ihm das Zahlungsportepee der großen Welt, Scheckbuch samt Ausweiskarte, unwiderruflich abgenommen.
* Umsätze auf den Lohn- oder Gehaltskonten sind - bis auf Daueraufträge - für den Kontoinhaber gebührenfrei.