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KIDNAPPING Mit und ohne Sirenen

aus DER SPIEGEL 20/1958

Eine Woche lang wußte die Stuttgarter Kriminalpolizei, daß der siebenjährige Joachim Goehner sich in der Gewalt eines Verbrechers befand, der das Kind geraubt hatte, um die Eltern zu erpressen.

Eine Woche lang wußte die Stuttgarter Kriminalpolizei, daß Joachim Goehner in höchster Lebensgefahr war.

Zweimal in dieser Woche hörte die Stuttgarter Kriminalpolizei Telephongespräche des Entführers mit dem Vater des Entführten ab.

Und am Ende jener Woche wurde Joachim Goehner ermordet aufgefunden.

Die Kriminalpolizei hatte das Kind vor diesem Schicksal nicht bewahren können. Während sich die Stuttgarter Kripo bei der Fahndungsarbeit eine - vermeidbare - Panne nach der anderen leistete, geschah der Mord.

Die gewiß nicht leichte Aufgabe, den seit rund 30 Jahren ersten Fall von Kidnapping in Deutschland aufzuklären, war der Dienststelle »D 1« - der Mordkommission - der Stuttgarter Kriminalpolizei zugefallen, die im Seitenteil des Stuttgarter Landtaggebäudes residiert und deren Leiter der Kriminalhauptkommissar Kurt Frey ist.

Kindsräuber bringen die Polizei stets in eine besonders schwierige Situation: Zwar hat die Polizei in solchen Fällen meistens weit bessere Anhaltspunkte für ihre Fahndungsarbeit als gemeinhin bei Kapitalverbrechen, weil der Kidnapper, wenn er zum Ziel - nämlich zum Lösegeld - kommen will, Kontakt mit den erpreßten Eltern halten muß. Andererseits aber ist bei der Verfolgung von Kidnappern besondere Vorsicht geboten, weil diese Verbrecher erfahrungsgemäß dazu neigen, das geraubte Kind zu beseitigen - ob der Erpressungsversuch nun Erfolg hat oder nicht. Das gilt vor allem dann, wenn das Kind alt und intelligent genug ist, um später wesentliche Hinweise zur Auffindung des Täters zu geben.

Der siebenjährige Joachim Goehner war ein aufgeweckter Junge und hätte zweifellos, wäre er am Leben geblieben, zur Auffindung des Täters beitragen können. Hauptkommissar Frey hielt es deshalb für richtig, die Fahndung in aller Stille zu betreiben, nachdem am 16. April durch einen, Telephonanruf bei Joachims Vater, dem Kaufmann René Goehner, klargeworden war, daß sich der tags zuvor verschwundene Junge in den Händen von Erpressern befand.

Der Hauptkommissar veranlaßte die Presse, zunächst über den Fall Goehner nichts zu berichten. Er glaubte, ohne Unterrichtung und Mitarbeit der Bevölkerung schneller und ungestörter arbeiten zu können.

Diese ungestörte, schnelle Arbeit begann damit, daß nach dem ersten Anruf des Erpressers ein Tonbandgerät an René Goehners Telephon angeschlossen wurde. Außerdem wurde Goehners Anschluß 7 32 30 von einem Beamten im Stuttgarter Fernsprechamt ständig überwacht, damit die Herkunft der Erpresser-Anrufe jederzeit ohne Zeitverlust ermittelt werden konnte.

Was die Polizei vermutet hatte, bestätigte sich beim zweiten Anruf des Unbekannten: Er sprach von einer öffentlichen Sprechzelle aus. Es bestand also die Chance, den Sprecher beim nächsten Mal zu fassen - wenn alle öffentlichen Fernsprechzellen überwacht werden würden.

Doch der Mordkommissions-Leiter Frey konnte sich nicht entschließen, einige hundert Fernsprechzellen in Stuttgart von je einem Zivilbeamten beobachten zu lassen. Die geringe Zahl der Stuttgarter Kriminalbeamten hätte allerdings nicht für solch ein Unternehmen ausgereicht, doch wäre es angesichts der Tatsache, daß ein Leben auf dem Spiel stand, zweifellos möglich gewesen, aus anderen Städten oder Bundesländern Verstärkung heranzuschaffen. Hauptkommissar Frey fand sich jedoch nicht zu so aufwendigen und umständlichen Maßnahmen bereit.

So konnte der ebenso simple wie gescheite Plan eines Stuttgarter Kriminalbeamten, der im Rang erheblich unter dem des Hauptkommissars Frey steht, nicht ausgeführt werden: Der Beamte hatte vorgeschlagen, an allen Fernsprechzellen Beamte in Zivil zu stationieren und

in dem Moment, in dem der Erpresser das Gespräch beginnt, die - allesamt noch betriebsbereiten - Alarmsirenen Stuttgarts aufheulen zu lassen. Beim ersten Sirenenton sollte jeder Zellenüberwacher blitzschnell die Person festnehmen, die in der von ihm bewachten Zelle telephonierte. Der Täter wäre mit Sicherheit unter den festgenommenen Telephonzellen -Benutzern gewesen.

Mordkommissions-Chef Frey zog diesem zwar lauten aber narrensicheren Plan ein anderes Verfahren vor: Er beorderte die Funkstreifenwagen der Stuttgarter Schutzpolizei - dort »Uran«-Wagen genannt - in die Südbezirke der Stadt, wo er den Täter vermutete. Die Wagen erhielten Anweisung, im Alarmfall ohne Sirene und Blaulicht zu fahren, um im entscheidenden Augenblick den unbekannten Fernsprecher nicht zu verscheuchen.

Wie der Hauptkommissar auf diese Weise den telephonierenden Erpresser fangen wollte, wird vermutlich sein Geheimnis

bleiben; sein Plan hatte von vornherein nicht die mindeste Erfolgschance, es sei denn, daß ein Zufall den Täter der Polizei in die Hände gespielt hätte. Denn: Vom Beginn des Gesprächs bis zur Feststellung der Sprechstelle vergehen im günstigsten Falle zwei Minuten. Die Übermittlung der Ortsangabe vom Fernsprechamt über die Polizeizentrale an den Funkstreifenwagen dauert mindestens eine weitere Minute. Und die Fahrt des Funkstreifenwagens zum Einsatzort dauert schließlich nochmals anderthalb Minuten - sofern zufällig ein Wagen in nächster Nähe ist.

Insgesamt vergehen also im günstigsten Falle vom Beginn des Gesprächs bis zur Ankunft des Streifenwagens an der fraglichen Fernsprechzelle viereinhalb Minuten. Der Erpresser aber, das wußte man inzwischen aus den ersten beiden Anrufen, gab sich wohlweislich Mühe, die Gespräche kurz zu halten. Hinhaltende Floskeln René Goehners schnitt er brüsk ab, und das längste Gespräch mit ihm dauerte nur anderthalb Minuten. Der Verbrecher hatte also selbst unter für ihn ungünstigen Umständen drei Minuten Vorsprung - allemal genug, um sich nach dem Telephongespräch vor den anrollenden Uran-Wagen der Polizei in Sicherheit zu bringen.

Verdatterte Polizisten

Die Praxis bestätigte diese wahrhaftig nicht schwierige Rechnung in fatalster Weise: Am Abend des 18. April, gegen 18.30 Uhr, rief der Erpresser - ganz wie erwartet - von einer Fernsprechzelle im Südteil der Stadt bei Goehner an. Fünf Minuten nach Beginn des Gesprächs (so lange dauerte in diesem Fall die Ermittlung der Sprechstelle) benachrichtigte der Abhörbeamte im Stuttgarter Fernsprechamt die Funkzentrale der Polizei: Der Erpresser spricht in der linken Zelle des Vaihinger Postamtes.

Nun hätte sich eigentlich nach dem Frey -Plan ein Streifenwagen blitzschnell und leise zum Postamt verfügen müssen. Indes, der Wagen »Uran 19«, der dem Postamt am nächsten war, meldete sich erst nach dreimaligem Anruf der Zentrale. Und dann vergaßen die aufgeregten Schutzpolizisten jegliche Anordnung: Mit Blaulicht und Sirene fegten sie lärmend zum Postamt Vaihingen, schon von weit her für jedermann vernehmbar.

Wenige Augenblicke nachdem der Funkstreifenwagen am Postamt eingetroffen war, meldeten die Beamten über den UKW-Polizeifunk der Zentrale: »Die Zelle ist leer.« Antwortete die Zentrale: »Umgebung absuchen.« Rückfrage der verdatterten Polizisten: »Wonach?« Bescheid der Zentrale: »Weitere Anweisung folgt.« Es folgte jedoch nichts. Eine Suche in der Umgebung hätte in der Tat wenig Sinn gehabt, da der durch das Sirenengeheul gewarnte Unbekannte leicht in der Menschenmenge untertauchen konnte, die sich direkt vor dem Postamt Vaihingen an der Haltestelle der Straßenbahn-Linie 1 staute. - Am nächsten Tage wurde der kleine Joachim Goehner ermordet.

Obschon der Erpresser auch ohne das Sirenengeheul des Streifenwagens schwerlich gefaßt worden wäre, weil er nämlich mehr als fünf Minuten Zeit hatte, der Polizei aus dem Wege zu gehen, schien Hauptkommissar Frey vornehmlich das Versagen der Schutzpolizisten im Streifenwagen als Ursache des Fiaskos anzusehen. Er beschaffte sich jedenfalls am nächsten Tag von den technischen Werken der Stadt Stuttgart vier Wagen mit Funkausrüstung, um nicht mehr auf die zur Kidnapper-Fahndung anscheinend wenig geeigneten Schutz- und Verkehrspolizisten angewiesen zu sein. Die Wagen erhielten die Bezeichnungen Uran 47, 48, 50 und 51 und wurden mit Kriminalbeamten besetzt.

Sie kurvten emsig im Südteil der Stadt herum, weil Frey immer noch hoffte, dort des Täters habhaft zu werden. Ob das, was sich am Abend des 20. April abspielte, nun eine »Sprechprobe« war, wie Frey es später nannte, oder ob ein Einsatzbefehl vorlag - die Polizeizentrale funkte jedenfalls pausenlos nach den Uran-Behelfswagen.

Das Ergebnis dieser Bemühungen war katastrophal: Die Kriminalbeamten in den Funkwagen waren des UKW-Sprechverkehrs nicht mächtig. Die Zentrale erhielt keine Antwort. Achtzehnmal wurde »Uran 47« angerufen - vergebens. Aus technischer Unkenntnis und wohl auch aus Aufregung vergaßen die fahrenden Kriminalpolizisten, nach Empfang der Zentrale-Botschaften die Sprechtaste der Funkgeräte zu drücken.

Auch bei der Überwachung des Goehnerschen Hauses in der Degerlocher Löwenstraße erlitt die Dienststelle D 1 eine schwere Schlappe. Zwar waren Kriminalbeamte im Hause René Goehners stationiert, doch die Überwachung des Hauses und seiner Umgebung war so unzureichend, daß der Erpresser oder einer seiner Komplicen sozusagen unter den Augen der Polizei am Goehnerschen Gartenzaun einherwandeln konnte: Am 23. April, nachts um zwei Uhr, teilte der Kidnapper dem Vater des ermordeten Jungen - die Leiche war inzwischen gefunden worden - telephonisch mit, er habe soeben einen Stein in den Goehnerschen Garten geworfen, an dem eine Botschaft befestigt sei. Die Botschaft wurde sofort gefunden, der Überbringer hingegen nicht.

Der Mann ist reif

Trotz all dieser Pannen schien dann aber doch die große Stunde der Stuttgarter Kriminalpolizei gekommen: Hinweise aus der Bevölkerung und kühne Kombinationen der Kriminalisten ließen den Arbeiter Heinz Kroneis, 31, dringend der Tat verdächtig erscheinen.

Kroneis, der als asoziales Element bekannt und aus einem Wohnlager verschwunden war, wurde vor allem durch Aussagen seiner Geliebten und seiner ehemaligen Frau schwer belastet, die ihm alles Schlechte zutrauten.

Alsbald wurde der Fahndungsapparat gegen Kroneis in Gang gesetzt. Die Zeitungen veröffentlichten am 25. April in Großaufmachung Bild, Personenbeschreibung und Vorleben des Gesuchten, und Polizeipräsident Rau, Chef der Stuttgarter Polizei, frohlockte: »Der Mann ist der Arbeit nicht gern begegnet. Jetzt ist er reif, überreif. Es kommt nur darauf an, dahinter zu kommen, wo er steckt.«

Die ersten Routine-Recherchen, die bei der Fahndung nach Verdächtigen vorgenommen werden, sind normalerweise Anfragen beim Einwohnermeldeamt, bei der Suchkartei des Erkennungsdienstes und beim Arbeitsamt. Die Aussicht, den Goehner-Kidnapper zu ergreifen, brachte jedoch die Dienststelle D 1 anscheinend derart in Hochstimmung, daß vor lauter freudiger Erregung das Arbeitsamt überhaupt nicht nach dem Verdächtigen gefragt wurde.

Glücklicherweise waren die Beamten des Stuttgarter Arbeitsamtes hinreichend aufmerksam: Als sie morgens die Zeitungen mit den Angaben über Kroneis gelesen hatten, riefen sie von sich aus die Mordkommission an und teilten mit, daß Kroneis unter seinem richtigen Namen einige Tage zuvor an eine Baustelle nach Marbach am Neckar vermittelt worden war, wo er wohl auch arbeite.

Die Stuttgarter Polizei rückte eilends nach Marbach aus - mit einer Streitmacht, als gelte es, ein Nest von bewaffneten Gangstern auszuheben. Mit mehreren Wagen pirschten sich die Beamten an die Baustelle heran und ließen Kroneis vom Maurerpolier unter einem nichtigen Vorwand herbeiholen. Dann schlossen sich die Handschellen um die Gelenke des überraschten Mannes. Nach stundenlangen Verhören teilte Hauptkommissar Frey der Presse augenzwinkernd mit: »Der Mann redet schon, aber nicht das, was wir hören wollen.« Abends gab die Mordkommission bekannt, Kroneis sei dringend der Tat verdächtig.

Am Tage darauf lautete das polizeiliche Presse-Kommunique schon gedämpfter: »Eine Teilnahme (von Kroneis) an der Mordtat kann ... noch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden.« Wieder einen Tag später mußte die Kriminalpolizei gestehen: »Entgegen den umfangreichen Belastungspunkten ... dürfte Heinz Kroneis als Teilnehmer an der versuchten Erpressung und am Mord ausscheiden.« Kommentierte die »Stuttgarter Zeitung« lakonisch: »Die Polizei hat eine Schlacht verloren.«

Drei Tage lang hatten sich Polizei und Öffentlichkeit dem Glauben hingegeben, Kroneis müsse der Täter sein. Alle Anstrengungen der Mordkommission waren auf die Überführung des völlig verdatterten Arbeiters gerichtet. Fragte die »Stuttgarter Zeitung« eine Woche später in einem kritischen Rückblick: »Warum hatte man sich verrannt - und wer hatte sich so schrecklich verrannt? Die Antwort wird einmal fällig sein. Denn sie wird auch die Antwort auf die quälende Frage sein, ob etwa ... bei der Verfolgung der falschen Fährte und bei dem Mißerfolg, mit dem sie geendet hat, nicht bloß eine Schlacht verlorengegangen ist, sondern die entscheidende Schlacht - deswegen, weil viel wertvolle Zeit vertan worden war.«

Verzerrte Töne

Einer entscheidenden Chance begab sich die Stuttgarter Kriminalpolizei auch beim Abhören der Telephongespräche zwischen René Goehner und dem Unbekannten. Als die Tonbandaufnahmen nach mehrfachem Drängen der Tageszeitungen endlich gesendet wurden - erstmals am 30. April, fast zwei Wochen nach den Gesprächen -, waren die Hörer, und vor allem die Techniker unter ihnen, entsetzt über die miserable Wiedergabe. Ein dauernder Brummton, eine Verzerrung in den Hoch-Tief -Tönen und die zu laute Stimme Goehners, die den Anrufer fast übertönte, machten es den Hörern - und der Polizei - äußerst schwer, sich die Stimme des Erpressers einzuprägen, sie gar zu erkennen und Schlüsse aus Tonfall und Sprechweise zu ziehen.

Schuld an der schlechten Qualität des entscheidenden Fahndungsmittels war ebenfalls die Dienststelle D 1 der Stuttgarter Kripo. Sie hatte geglaubt, mit den eigenen unzulänglichen Mitteln und Kräften die Telephongespräche aufnehmen zu können, statt sofort Fachleute der Bundespost oder einer Spezial-Firma heranzuziehen. Die Sachverständigen des Süddeutschen Rundfunks, denen es oblag, das Bestmögliche aus den ungenügenden Tonbandaufnahmen herauszuholen, deckten die Fehler der Stuttgarter Kriminalpolizisten auf:

Das Brummen sei durch unsachgemäßes Ankoppeln des Tonbandgerätes an das Telephon hervorgerufen worden. Dabei gebe es in jedem Fachgeschäft Geräte, die - frei von sogenanntem Netzbrummen -

Telephonanrufe auf Band nehmen, wenn die Leitung zwischen Telephon und Bandgerät durch geeignete Erdung genügend abgeschirmt ist. Das war bei der polizeilichen Apparatur im Hause Goehner nicht der Fall.

Die Dämpfungsverzerrung der hohen und tiefen Töne sei durch ungenügende Strom-Anpassung des Tonbandgerätes an das Telephon entstanden. Auch die viel zu starke Wiedergabe der Stimme René Goehners wäre zu vermeiden gewesen, wenn die allein wichtige Stimme die des Anrufers - durch entsprechende Ankoppelung des Bandgerätes verstärkt worden wäre.

Das Versagen der polizeilichen Tonband -Amateure beurteilte die »Stuttgarter Zeitung« so: »Man ist versucht, sich an den Kopf zu greifen, wenn man bedenkt, wie mangelhaft die Aufnahme der Anrufe auf das Tonband vorgenommen worden ist.« Rekapitulierend fährt das Blatt fort: »Und wieder greift man sich an den Kopf, wenn man bedenkt, wie alle Versuche, den Erpresser bei einem seiner Anrufe in die Hand zu bekommen, mißglückt sind«. Solche und ähnliche Bemerkungen der Zeitungen veranlaßten Frey, sein photographisches Konterfei nur noch solchen Reportern zu überlassen, die einen Revers unterschrieben, in dem sie sich verpflichteten, das Bild nur mit Genehmigung des Herrn Hauptkommissars zu veröffentlichen. Voraussetzung für die Genehmigung: Der zum Bild gehörige Bericht müsse für Frey »positiv« sein

Zwei Wochen nach der Entführung Joachim Goehners hoffte Hauptkommissar Frey erneut, den Täter zu fassen: Es gelang, zwei Personen ausfindig zu machen, die am Tag vor der mutmaßlichen Ermordung des Jungen mit einem Sack in der Richtung zum späteren Fundort der Leiche gegangen waren. Doch auch diese Fährte war falsch: Die beiden Verdächtigen entpuppten sich als Mitglieder einer Jugendorganisation, die eine Schnitzeljagd vorbereitet hatten.

Drei Wochen nach der Entführung Joachim Goehners war die Kriminalpolizei immer noch nicht nennenswert weiter als am Anfang. Zwar lagen nun etliche tausend Hinweise aus der Bevölkerung vor, doch noch immer wußte man nicht, ob es sich um einen oder mehrere Täter handelte, ob vielleicht eine Frau darunter war und welcher Nationalität der oder die Täter waren.

Im Netz: Nur kleine Fische

Die letzte Frage liegt vor allem insofern nahe, weil in der Umgebung der Goehnerschen Wohnung und auch in der Gegend, in der das Kind gefunden wurde, viele Amerikaner wohnen. Außerdem befinden sich in Vaihingen - wo der Täter telephonierte - und bei Möhringen umfangreiche Kasernenkomplexe der amerikanischen Armee.

Trotz dieser Umstände und obwohl sogar die Möglichkeit besteht, daß Amerikaner an diesem Verbrechen beteiligt sein könnten, zog die Stuttgarter Kriminalpolizei weder die amerikanische Kriminalpolizei zu Rate, noch bediente sie sich bei der Fahndung der »Stuttgarter Post News«, des Blattes der in Stuttgart lebenden Amerikaner. Erklärte Kommissar Frey: »Von der Existenz des Blattes war uns nichts bekannt.«

Als die Amerikaner sich nach drei Wochen schließlich aus eigener Initiative einschalteten, lautete der Kommentar der Stuttgarter Kripo einigermaßen unfreundlich, daß die Beteiligung der Kriminalisten aus dem Stammland des Kidnapping lediglich eine Routine-Sache sei, weil sich die deutsche und die amerikanische Polizei »bei solchen schweren Verbrechen immer verständigen«.

Als Ergebnis ihrer vielfältigen Aktionen hat die Stuttgarter Polizei inzwischen vermeldet, daß eine Anzahl Personen festgenommen wurden, die zwar nichts mit der Ermordung des kleinen Joachim Goehner zu tun haben, aber im Zuge der Fahndung wegen Betrugs, Urkundenfälschung oder anderer kleinerer Delikte im Netz der Polizei hängenblieben. Beruhigte Polizeipräsident Rau die Bevölkerung: »Wir sind auf das äußerste entschlossen, diese Sache aufzuklären, ohne Rücksicht auf Material und Mitteleinsatz, und ohne Feierabend der Beamten. Unser Wunsch ist, daß der Kidnapping nicht in Deutschland einzieht.«

Kidnapper-Opfer Joachim Goehner

Tod nach dem dritten Anruf

Kidnapper-Jäger Frey

Falsche Maßnahmen...

Gejagter Bauarbeiter Kroneis

... auf falscher Fährte

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