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AFFÄREN / SAAR Mit Vergnügen

aus DER SPIEGEL 14/1971

Seit über einem Jahr steht Oskar Lafontaine, 27, SPD-Fraktionsvize im Saar-Landtag, unter Anklage. »Mit Vergnügen und Zuversicht« wartet der Jung-Politiker auf seinen Prozeß -- bislang freilich vergebens.

Zweimal schon ist das 1969 von der damaligen CDU/FDP-Landesregierung wegen Beleidigung angestrengte Verfahren gegen Lafontaine geplatzt. Denn stets waren Zeugen verhindert -- einige möglicherweise, weil sie befürchten müssen, daß vor Gericht ihr eigenes Ansehen eher Schaden nehmen würde als das Lafontaines.

Angeklagt ist der SPD-Politiker wegen der Behauptung, Landes-Prominente hätten sich im Herbst 1969 »die Stimmen einzelner Abgeordneter des Landtags durch Zusicherung lukrativer Positionen ... erkaufen« wollen. Lafontaine damals: »Ein solches Vorhaben nenne ich Korruption« (SPIEGEL 22/1970).

Gemeint waren die vier saarländischen FDP-Landtagsabgeordneten, die der knappen CDU-Minderheit im Landtag bei der Abstimmung über eine umstrittene Transaktion zum Sieg verholfen hatten: Die FDP-Fraktion stimmte mit den Christdemokraten für die Veräußerung von 49 Prozent des Stammkapitals der landeseigenen »Saarbrücker Zeitung« ("SZ") an den schwäbischen Buchkonzernherrn und »Christ und Welt«-Mitverleger Georg von Holtzbrinck -- obwohl FDP-Landesvorstand und FDP-Jungdemokraten den Verkauf abgelehnt hatten.

Was die FDP-Volksvertreter zu ihrem Votum für den CDU-Plan und zugunsten Holtzbrincks bewogen haben könnte, enthüllten die Jungdemokraten damals in einem Brief an den FDP-Landtagsvizepräsidenten Karl Wust. Die FDP-Junioren teilten mit, sie hätten von FDP-Fraktionsmitgliedern erfahren, den Freidemokraten seien »mehrere 100 000 Mark« zur »Finanzierung ihrer Wahlkämpfe von Herrn von Holtzbrinck« sowie »Posten und damit Machtpositionen« zugesagt worden, falls sie für den Verkauf an Holtzbrinck stimmten.

Der erste Verhandlungstermin gegen Lafontaine, der unter anderem diese Vorwürfe aufgegriffen und CDU- wie FDP-Politikern »vielschichtige Verknüpfungen von privaten und öffentlichen Interessen« vorgeworfen hatte, scheiterte im April 1970, weil mehrere Zeugen verhindert waren -- darunter der Landtagsdirektor Dr. Hansherbert Wobido, der gerade auf Teneriffa kurte.

Ein Teneriffa-Urlaub ließ auch die daraufhin auf den 4. Februar 1971 neu festgesetzte Hauptverhandlung platzen: Zeuge Georg von Holtzbrinck mußte just an diesem Tage mit einer Chartermaschine der Fluggesellschaft »Atlantis« auf die kanarische Insel fliegen. Den Charter-Trip, für die Zeit vom 4. bis 18. Februar, hatte der Grollverleger am 14. November gebucht -- elf Tage nachdem der Saarbrücker Schöffengerichtsvorsitzende Rolf Kalbhenn den neuen Termin gegen Lafontaine für den 4. Februar anberaumt hatte.

Als Holtzbrinck im Januar die Zeugenladung erhielt, entschuldigte er sich. Richter Kalbhenn fragte zurück ob die Reise nicht verschoben werden könne. Doch Holtzbrinck konnte nicht: Der nächste Charterflug, teilte er mit, finde erst eine Woche später statt und sei schon ausgebucht.

Kalbhenn insistierte schriftlich: Ob Holtzbrinck denn nicht zwei oder drei Tage später mit einer Linienmaschine fliegen könne. Der Zeuge bedauerte abermals: Das scheitere, so ließ er Kalbhenn wissen, an dem noch andauernden Lufthansa-Streik.

Trotz des Lufthansa-Ausstands hätte Georg von Holtzbrinck freilich sowohl am 11. als auch am 7. Februar von Frankfurt mit einer »Caravelle« der spanischen Gesellschaft »Iberia« nach Teneriffa reisen können. Doch, so der Bücher-Millionär:« Ich wollte, wenn schon später, dann spätestens am 5. Februar fliegen, und zwar ab Stuttgart. Da flog aber niemand.«

Das Dunkel um die »SZ«-Affäre hat sich mittlerweile allerdings auch ohne Lafontaine-Prozeß zu lichten begonnen. Nachdem die FDP trotz eines 400 000-Mark- Wahlkampffonds im Juni 1970 aus dem Saar-Landtag katapultiert worden ist (4,4 Stimmen-Prozent), sind die einstigen Mitglieder der FDP-Fraktion. die noch 1969 Meldungen von Posten-Versprechungen dementiert hatten, wohlversorgt.

Fraktionschef Kurt John, von Beruf Chemotechniker, vor der Wahl beschäftigungslos, kam nach der Wahl in der Staatskanzlei unter und arbeitet heute, da die CDU an der Saar allein regiert, in der Planungsgruppe des Ministerpräsidenten Röder. Mitstreiter Paul Simonis, zuletzt Arbeitsminister, verlebt seine Staatspension.

Parteifreund Dr. Reinhard Koch, zuletzt FDP-Landesvorsitzender, legte sein Parteiamt nach der Wahl nieder und vertauschte den Sessel des Wirtschaftsministers mit dem eines Vorstandsmitgliedes der Saar-Gummiwerk GmbH, einer Tochter der staatseigenen Saarbergwerke. Kollege Kurt Wolf, der Ex-Parteischatzmeister, verdient sein Brot als Leiter der freidemokratischen »Friedrich-Naumann-Stiftung«, Filiale Saar.

Der Ex-Landtagsvize Karl Wust schließlich, der noch 1969 jedem mit Strafanzeigen gedroht hatte, der behaupte, Verleger Holtzbrinck habe FDP-Leuten Posten versprochen, ist mittlerweile im Holtzbrinck-Konzern mit einer »Spezialaufgabe in Verbindung mit Anzeigenblättern« betraut. Holtzbrinck über den einstigen Möbelfabrikanten:« Herr Wust ist ein hervorragender Mann.«

Der hervorragende Mann macht sich mittlerweile auch im Aufsichtsrat der »Saarbrücker Zeitung« für seinen neuen Dienstherrn nützlich. Denn während Holtzbrinck 49 Prozent der »SZ«-Anteile hält, teilen sich die restlichen 51 Prozent drei saarländische Banken, die »SZ«-Belegschaft und eine Inkasso-Gesellschaft der Parteistiftungen von CDU, SPD und FDP -- darunter die von Ex-FDP-MdL Wolf dirigierte »Friedrich-Naumann-Stiftung«, die sich im »SZ«-Aufsichtsrat ausgerechnet durch den Holtzbrinck-Bediensteten Wust vertreten läßt. Folge: Die 49-Prozent-Mannschaft Holtzbrincks, verstärkt durch Wust und »SZ«-Belegschaftsvertreter, gibt im Aufsichtsrat den Ton an.

Bei der Festsetzung des Jahresabschlusses für 1969, das letzte »SZ"Jahr unter Regierungskontrolle, erzielte die Holtzbrinck-Riege im Dezember 1970 ihren ersten Erfolg: Aus dem 1969er »SZ«-Gewinn fließen statt der erwarteten rund vier Millionen Mark nur 23 000 Mark in die Staatskasse: Die Aufsichtsratsmehrheit hatte Sonderabschreibungen und Rückstellungen in Höhe von 5,2 Millionen Mark beschlossen.

Der neue FDP-Landesvorstand kam nicht umhin, von Parteifreund und Holtzbrinck-Vertreter Wust abzurücken und zu monieren, »daß der in der Bilanz 1969 ausgewiesene Gewinn durch bewußt überhöhte Abschreibungen manipuliert wurde, um damit nachträglich eine indirekte Minderung des Kaufpreises für die jetzigen Anteilseigner herbeizuführen.

Angesichts dieser Entwicklung kann SPD-Fraktionsvize Lafontaine von seinem Beleidigungsverfahren eher Bestätigung denn Bestrafung erwarten. Ob es allerdings Richter Kalbhenn gelingen wird, die Zeugen für den Lafontaine-Prozeß noch vor den Sommerferien in Saarbrücken zu versammeln, ist noch offen.

»Nach ständigem Brauch aller saarländischen Gerichte«, verlautbarte die Saarbrücker Justizbehörde, werde die bereits festgelegte Urlaubsreise eines Zeugen weiterhin als ausreichende Entschuldigung angesehen: »In solchen Fällen erfolgt, wenn ohne den Zeugen nicht verhandelt werden kann, regelmäßig eine Aufhebung des Termins.

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