MLF
Dem SPIEGEL gebührt Dank für seine Darstellung der Problematik einer »Multilateralen Atomstreitmacht« (MLF). Die amerikanische Idee, Handelsschiffe mit Atomkanonen auszurüsten und die Schiffe von einer internationalen Besatzung führen zu lassen, ist doch nur eine Beruhigungspille von Uncle Sam für jene deutschen Politiker, die Atomwaffen für die Bundeswehr fordern. Die Amis lassen uns zwar mitbezahlen, aber beim Einsatz der Waffen wollen sie allein entscheiden. Wenn das MLF-Projekt realisiert wird, ist der deutsche Finanzierungsbeitrag in Höhe von 800 Millionen Mark jährlich nur gerechtfertigt, wenn dann die deutschen Atom-Schreihälse endlich ruhig sind.
Saarbrücken GERHARD SCHÖNEMANN
Die MLF ist doch eine Beruhigungspille der Amerikaner für die nach Atomwaffen lechzende Bundesrepublik. Um eine eventuelle. Zusammenarbeit Deutschlands mit Frankreich an den De Gaulle-Atomprojekten zu verhindern und einige deutsche Politiker, die sich nach Mitverantwortung und atomarer Verteidigung sehnen, zu beruhigen, haben die USA eine multilaterale Flotte geschaffen. Wir Deutschen dürfen zwar erheblich an den Unkosten teilhaben, doch Verfügungsgewalt haben nach wie vor die Amerikaner.
Köln HUBERT WILKENS
Kein Wunder, daß deutsche Politiker an der Erstellung der multilateralen Atomflotte Gefallen finden. Denn man weiß in Bonn zu genau, daß keine Nation der Welt die Bundesrepublik mit Atomwaffen ausrüsten und ihr die dazu gehörende alleinige Verfügungsgewalt überlassen würde. Auch Frankreich, das die MLF-Idee entschieden ablehnt, doch wahrscheinlich eine deutsche Mitarbeit an der, »Force de frappe« erhofft, würde Deutschland zwar zahlen, doch nicht entscheiden lassen.
Kassel RUDOLF BERGER
Wenn von Hassel an den »großen strategischen Entscheidungen« teilnehmen möchte, dann können wir nur hoffen, daß es niemals zu den Entscheidungen kommen wird.
Frankfurt JOSEPH REICH
Als Organ, das Themen von morgen heute ausführlich behandelt, stellen Sie eine Analyse der MLF her. Sie untersuchen die MLF ebenso auf ihre strategische Bedeutung wie auch auf das politische Moment, das mit ihr neu entsteht. Ich möchte mit Ihnen übereinstimmen, daß es sich hier um ein Politikum handelt, der zerrissenen Nato wieder zu ihrer vollen Integrierung zu verhelfen. Kann man sich nicht am Verhandlungstisch besser um eine Neuorientierung bemühen? Ich glaube auch, daß der indirekte Druck der MLF auf General de Gaulle von seiten der Amerikaner nicht besonders geschickt ist. Warum hat man es überhaupt so eilig? Zeigt die augenblickliche Situation im Ostblock nicht an, daß Zeit zum Überlegen gegeben ist? Der Monolith ist doch auch auseinandergebrochen und es bedarf langer Zeit, ihn wieder zusammenschmelzen zu lassen.
Wie unsinnig das Projekt ist, zeigt uns doch die Tatsache auf, daß die Schlagkraft praktisch nur um 0,25 Prozent heraufgesetzt wird.
Dortmund DIRK MAY
Auch eine multilaterale Atomstreitmacht bestehend aus einer Polaris-Raketen-Flotte würde meines Erachtens kaum die westliche Abschreckung stärken. Vernünftiger wäre es dann schon, in der MLF die taktischen Atomwaffen im Bereich der Nato zusammenzufassen. So könnte die MLF nicht nur politisch (als »Gegengift« gegen nationale europäische Atomstreitkräfte), sondern auch militärisch sinnvoll sein, allerdings unter der Voraussetzung, daß es nicht zu einem deutsch-amerikanischen Alleingang kommt.
Düsseldorf JOHANNES MÜLLER
Nun hat auch der SPIEGEL die für bundesdeutsche MLF-Erwägungen fast obligatorischen (und bequemen) Scheuklappen angelegt, die mindestens drei wesentliche, wenn nicht lebenswichtige Gesichtspunkte abdecken:
- MLF und die Folgen tragen gewaltig
zur Zementierung der deutschen Spaltung bei.
- Die MLF zieht schon angedrohte östliche Gegenmaßnahmen nach sich und gibt so dem Wettrüsten neue, kaum übersehbare Impulse.
- MLF und die ihr in Deutschland zugrundeliegende Mentalität der Stärke machen alle Aussichten auf baldige Abrüstungsschritte zunichte.
Hanau (Hessen) KARLHEINZ GOLL
In Ihrem ebenso technisch aufschlußreichen wie politisch wichtigen Artikel über die »multilaterale« Atom-Flotte haben Sie einen wichtigen Punkt nicht berührt: den geplanten Einsatz dieser von Washington geforderten Atomflotte vor der chinesischen Küste. Gerade die von Ihnen veröffentlichte Skizze über das »Operationsgebiet der MLF-Raketenfrachter und Reichweite ihrer Atomraketen« macht klar, daß hier ein Täuschungsmanöver der Amerikaner vorliegt. Das Nördliche Eismeer ist von allen Meeren der Welt das am wenigsten für Handelsschiffe geeignete, und das Mittelmeer bietet die geringste Sicherheit für eine atomare Flotte. Dort sind es die Naturverhältnisse, die die Operationsfähigkeit einschränken, hier ist es die leichte überschaubarkeit dieses »kleinen« Meeres und die jeder Spionage offene Küstenlinie,
deren Bewohner im ganzen Südrand und im ganzen Ostteil des Mittelmeeres feindlich gegenüber der amerikanischen Atomflotte eingestellt sind.
Aber dieser Raum ist ja auch nur der kleinste Teil des vorgesehenen Operationsgebietes der »multilateralen« Atom-Flotte. Die Haupt-Operationsbasis dieser Atom-Hiwi-Flotte sollen die ausgedehnten Küsten Chinas sein, wo zugleich fast alle Großstädte Rotchinas liegen, weil dort die gewaltigen Flüsse münden. Nur als mobile Atom-Basen in den Gewässern um China hat diese Atom-Flotte aus schnell fahrenden, aber ungeschützten Handelsschiffen so etwas wie einen Sinn. Mir scheint gerade dieser chinesische Aspekt für uns Deutsche ein Hauptargument gegen jede deutsche Beteiligung an dieser »multilateralen Atomflotte« zu sein, die man in Erinnerung an das »multilaterale« Expeditionskorps im Boxer-Aufstand am besten »die amerikanische Boxer-Flotte« nennen sollte.
München DR. OTTO STRASSER
Der SPIEGEL hat nie viel von Abrüstung gehalten, auch gegen Zivilverteidigung und Notstandsgesetze haben Sie nichts einzuwenden, so wundert man sich nicht, wenn Sie bemüht sind, die Vorzüge der MLF gebührend herauszustreichen.
Lindenberg (Bayern) RICHARD HOLTZBERG
Das Argument der MLF-Strategen, die Atomflotte sei »lebenstüchtig, schlagkräftig und eine glaubhafte Abschrekkungsmacht«, beruht wohl auf der Hoffnung, daß die Sowjets aus Angst, ein MLF-Kahn könnte sich aus Unachtsamkeit selbst in die Luft jagen und damit alles Leben in weitem Umkreis vernichten, die multilateralen Schiffe nicht ständig beschatten?
Hannover FRITZ KOBERLING
Was ist, wenn neben jedem atombestückten MLF-Frachter ein torpedobestückter Sowjet-Frachter fährt?
Oberlahnstein (Rheinl.-Pfalz) W. ADELL
Es ist anzunehmen, daß hinter jeder Barke ein roter Atomhaifisch schwimmt mit einer länglichen Bohne, sobald die einzelne Feuerwerksbarke in See sticht. Wachablösung folgt. Die Direktion des Atomnarrenhauses wird wohl oder übel eines Tages die Erde zugrunde richten. Vielleicht handelt es sich jetzt schon in den Köpfen, die es angeht, um Strahleneinwirkungen, die Mißbildungen der Gehirne verursachen.
Würzburg NICOLAUS KAUFER
Die MLF ist keine »harte« Atomwaffe: Sie ist bereits so lange im Gespräch, daß die Russen bis zum fertigen Aufbau der MLF im Jahre 1972 auch ein funktionsfähiges Abwehrsystem installieren können. Hierzu gehören: Ausbau der U-Boot-Flotte (bisher 500 Boote) plus Aufklärung durch Flugzeuge, Satelliten usw.; zusätzlich schon in Friedenszeiten laufende Standortüberwachung durch Hafenspionage und »Fischereidampfer«. Wer sagt, man binde gegnerisches Abwehrpotential, muß auch erwägen, wieweit man selber gebunden wird. Gegen Thresher -U-Boote wäre die MLF jetzt schon hilflos. Überwasserschiffe können bereits
in den ersten Tagen eines bewaffneten Konfliktes mit konventionellen Waffen in solche Bedrängnis gebracht werden, daß man sich zum Abfeuern der Polarisraketen entschließt, bevor es die übrige militärische Lage an sich erfordert. Damit würde aber die sogenannte »Strategie der gestuften Abschreckung«, die nach Maßgabe politischer und militärischer Entscheidungen die Atomkriegsschwelle heraufsetzen und während einer konventionellen Kampfperiode von 30 bis 90 Tagen Verhandlungen ermöglichen soll, illusorisch werden. Illusorisch würden auch die Zivilschutzpläne der Bundesregierung, die annehmen, daß Megatonnenwaffen (wie die Polarisrakete) nicht zum Einsatz kommen. Militärsachverständige wie Buch,an und Windsor bezeichnen die MLF als »entstabilisierendes Waffensystem« und als »nutzloses und gefährliches Statussymbol«. Die politischen Argumente strafen sich Lügen: In der geplanten Form zersprengt die MLF die Nato, statt sie zu einigen, und es bleibt nur die, »nukleare Erziehung« des Gegners: die Herausforderung zu neuem Wettrüsten.
Göttingen CARL ROLAND RABL
Wenn es sinnvoll wäre, mit Atomraketen bestückte Frachtschiffe einzusetzen, würden die USA nicht über die MLF verhandeln, sondern hätten längst eine derartige Flotte.
Regensburg HARALD KOSS
Ich möchte als letzte Rettung für unser armes Volk und die übrige Welt vorschlagen, alle deutschen Raketenrassler schleunigst als Besatzung für die erwähnten Raketen-Frachter-Attrappen zu rekrutieren und diese Leichtmatrosen des Abendlandes für mindestens 100 Jahre, bei strengstem Landeverbot, auf alle sieben Meere zu verschicken.
Stuttgart DR. W. JOPPIG
Falls sich die MLF-Verantwortlichen nicht über das Ziel ihrer Jungfernfahrt und ein geeignetes Gebiet für atomare Schießübungen einigen können, schlage ich vor, die MLF-Flotte soll das Ungeheuer im schottischen Loch Ness bombardieren.
Köln HORST K. WOLFF
Frankfurter Allgemeine
Der multilaterale Atom-Frachter: »Alle Mann an Bord«
Otto Strasser *
Die Zeit
»Zwei Seelen, ein Gedanke:
Wenn es doch unterginge!«
* Bruder des ehemaligen »Reichsorganisationsleiters« der NSDAP Gregor Strasser und Verfasser der Bücher »Wir rufen Deutschland, und »Hitler und Ich«.