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WOHNEN / ERBBAURECHT Mörderischer Zins

aus DER SPIEGEL 18/1969

Johann Fröhlich aus Karlsfeld bei München erhielt von seinem Grundherrn einen Zahlungsbefehl; am Tag darauf mußte er ins Krankenhaus eingeliefert werden. Diagnose: Schlaganfall.

Rentner Fröhlich, 65, der vom Staat monatlich 189 Mark bezieht, soll dem Eigentümer seines Grundstückes, dem Viktualienhändler Josef Stampfl, pro Monat 147 Mark Erbbauzinsen zahlen. Bis 1966 noch war Stampfl mit 14 Mark Zins zufrieden gewesen.

Der ehemalige Landwirt fordert auch von der Rentnerin Anna Donner, die ein Monatseinkommen von 256 Mark hat, von der Kriegerwitwe Berta Urban (390 Mark Rente) und weiteren 34 Haus- und Häuschenbesitzern der nach ihm benannten »Stampfl«-Siedlung mehr Geld für seinen Boden.

Den »mörderischen Erbbauzins«, so der Bayerische Rundfunk, kann Stampfl Rechtens verlangen, weil seine Pächter, als sie 1958 das Land auf 99 Jahre pachteten, arglos auch eine sogenannte Wertsicherungsklausel unterschrieben.

Danach ist es dem Grundstückseigentümer erlaubt, den Erbbauzins -- in der Regel jährlich drei Prozent vom Grundstückswert -- alle zehn Jahre »den derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen«. Bei einem »außergewöhnlichen Anlaß« darf die Gleitklausel auch in der Zwischenzeit in Anspruch genommen werden. Zins-Bemessungsgrundlage ist der jeweilige gemeine Grundstückswert.

Stampfl ("Mein Kapital muß sich verzinsen") kann sich sogar auf ein Urteil des Bundesgerichtshof es stützen. Karlsruhe entschied am 28. November 1956 in einem Prozeß, die Wertsicherungsklausel sei unbedenklich. Immer häufiger bauten seitdem Grundstückseigentümer den gleitenden Passus in ihre Erbbaurechtsverträge ein.

Dank der rapide steigenden Bodenpreise vor allem in den Ballungszentren (im Gebiet von München bis 1965 pro Jahr 100 Prozent), konnten deshalb die Landeigner immer höhere Zinsen kassieren; immer häufiger jedoch protestierten die Pächter gegen das Preis-Diktat.

»Das Erbbaurecht rückt in den Problemkreis der Bodenspekulation und der ungerechtfertigten Planungsgewinne«, kommentierte Geschäftsführer Robert Birnbacher vom Bayerischen Siedlerbund den Anstieg. Betroffen seien meist Menschen, deren Ersparnisse wohl dazu ausreichten, ein Haus zu bauen, nicht aber, auch noch Grund und Boden zu erwerben.

Versuche des Siedlerbundes und seiner Mitglieder, die Gleitklausel durch Gerichtsverfahren zu Fall zu bringen, sind bisher gescheitert. So wies das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg die Klage eines Lehrers ab, der für ehemaliges Heideland zunächst monatlich zwölf Mark Erbbauzins, später 160 Mark bezahlen mußte. Das Gericht nannte die Erhöhung »allerdings beträchtlich«, sie sei aber »noch zumutbar«.

Ein Augsburger Gericht befand in einem ähnlichen Rechtsstreit, »ein Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben liegt nicht dann schon vor, wenn jemand ein billig erworbenes Grundstück gewinnbringend verwertet«.

So argumentiert auch Josef Stampfl, 70, in Karlsfeld. Sein Boden war einst mageres Ackerland, und Stampfl vereinbarte mit seinen Pächtern pro Jahr und Quadratmeter einen Zins von 20 Pfennig. Die Siedler -- meist Heimatvertriebene -- errichteten ohne Baugenehmigung und in Feierabend-Arbeit ihre Behelfsheime. Erst Jahre danach wurde auf ihr Betreiben hin der »wilde Ortsteil« zu Bauland erklärt und dann von ihnen selbst mit Strom- und Wasser-Anschlüssen ausgestattet.

Damit stiegen auch die Bodenpreise, und Josef Stampfl kalkulierte, daß der Quadratmeter in seiner Siedlung nunmehr 40 Mark wert sei. Davon drei Prozent ergaben für den Quadratmeter einen Erbbauzins von 1,20 Mark.

Unterstützt vom Bayerischen Siedlerbund gingen auch die Karlsfelder vor Gericht, aber bei dem Prozeß stellte ein Sachverständiger fest, daß der Stampfl-Boden nicht 40 Mark, sondern sogar 100 Mark pro Quadratmeter wert sei. Stampfl erklärte: »Mit mir kann man reden«, und das Gericht setzte 70 Mark fest.

Die 37 Hausbauer auf seinem Grund müssen nun entweder zahlen oder das auf 99 Jahre festgelegte Erbbauverhältnis lösen. Vom Gesetzgeber haben sie keine Hilfe zu erwarten.

Zwar hatte eine Reihe von CDU-Abgeordneten am 25. Januar 1967 im Bundestag einen Antrag gegen die Stampfl-Methode eingebracht. Danach sollte der Zins nur noch so weit erhöht werden dürfen, wie auch die Lebenshaltungskosten steigen. Aber der Antrag blieb im Bonner Rechtsausschuß stecken.

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