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POLIZEI Mogadischu geübt

In Bremen wurde der Chef eines Einsatzkommandos abgelöst, der sich zu oft mit Demonstranten prügelte. *
aus DER SPIEGEL 27/1984

Ulrich Panzer, 39, war zehn Jahre lang der bekannteste Schläger von Bremen, und das von Amts wegen. Begleitet von einem Trupp muskulöser junger Männer, tauchte Panzer überall auf, wo sich Randalierer, zornige Demonstranten oder tobende Fußballfans versammelten. Was dann passierte, beschreibt einer aus dem Pulk so: »Wir springen vom fahrenden Auto, räumen zehn Sekunden auf, dann ist die Platte geputzt.«

Panzers Putz-Kolonne handelte meist auf höhere Weisung. Die Einsatzbefehle kamen aus dem Bremer Polizeipräsidium, mal ging es gegen Geiselgangster, mal gegen Rüstungsgegner. Und Panzers Arbeit wurde angemessen besoldet: Zu den Bezügen eines Polizisten gab es obendrein für jeden zweihundert Mark - Gefahrenzulage.

Mit der Arbeit des »Spezial-Einsatz-Kommandos« (SEK) war nicht nur die Schutzpolizei zufrieden, auch die CDU-Opposition lobte den mutigen Körpereinsatz. Christdemokrat Ralf Borttscheller, Abgeordneter der Bürgerschaft, schreibt es den Panzer-Fäusten zu, »daß mit gewaltsamen Demonstrationen in der Stadt praktisch nichts mehr läuft«.

Vorigen Monat wurde der Polizeihauptkommissar Panzer zum 16. Revier abkommandiert. Fern von seiner Zivileinheit muß er jetzt Wache schieben. Alle anderen SEK-Turnschuhpolizisten, hat Bremens Innensenator Volker Kröning (SPD) verfügt, werden »unter strengste Aufsicht« gestellt.

Der linke Senator, erst seit letztem Herbst im Amt, hat sich vorgenommen, dem selbstherrlichen Auftreten der in Bremen als »Panzer-Truppe« bekannten Sondereinheit ein Ende zu machen: »Die werden sich künftig genau an ihre Vorgaben halten müssen.«

Das waren Panzers Leute bisher nicht gewöhnt. Der SEK-Chef, seit einem Jahrzehnt in Bremer Zivilkommandos tätig, hatte selbstherrlich eine militärisch gedrillte Elite-Einheit aufgebaut, die nach eigenen Gesetzen handelte, zuschlug, wie es gerade paßte. Panzer: »Ich war denen zu hart.«

Als »Vorgabe« galt für das umstrittene Bremer Sonderkommando eigentlich das, was auch in anderen Bundesländern praktiziert wird. Danach sollen die Zivilpolizisten eine »Spezialeinheit zur Bekämpfung der Schwerstkriminalität« sein, bei »Geiselnahmen, Terrorakten und Entführungen«. In Ausnahmen, so regelt es ein Senatserlaß, können die Beamten auch gegen gewalttätige Demonstrationen eingesetzt werden. Kröning: »Aber nur im äußersten Fall.«

Statt in besonders brisanten Ausnahmesituationen wurde das gegen Schwerverbrecher geschulte Kommando regelmäßig für polizeiliche Kleinarbeit eingesetzt: Demonstranten, die Straßenbahnschienen blockierten, wurden weggeräumt, verdächtige Steinewerfer festgenommen. In der Ostkurve des Weser-Stadions, wo die Werder-Fans gelegentlich randalieren, wurde aufgeräumt. Am 1. Mai mischten sich Panzers Männer unter Gewerkschaftsdemonstranten. »Da haben wir nichts zu suchen«, prahlte er, »aber natürlich waren wir da.«

Und wo die SEK-Truppe im Einsatz war, mußten hinterher wiederholt Kollegen der Kripo ermitteln. Bei der Bremer Staatsanwaltschaft laufen gegen Panzer und Kollegen Verfahren wegen »Körperverletzung im Amt«.

Staatsanwalt Hans-Georg von Bock und Polach klärt den Fall des Studenten Helmut Jansen, 30, dem nach einem Panzer-Einsatz ein Schneidezahn aus der Unterlippe operiert werden mußte. Jansen war Zuschauer bei einer Frauen-Demonstration in der Walpurgisnacht am 30. April und wurde von Zivilbeamten abgeführt. Er verließ die Polizeiwache blutverschmiert und mit eingeschlagenen Zähnen.

Jansen gibt an, Zivilpolizisten hätten ihm mit Fäusten ins Gesicht geschlagen; seine Hände seien ihm auf dem Rücken gefesselt und sein Kopf sei auf den Revier-Tresen aufgeschlagen worden.

Die SEK-Beamten haben den Vorfall ganz anders in Erinnerung: Jansen, so behaupten sie, habe sich die Zähne vermutlich beim Einsteigen ins Polizeiauto ausgeschlagen, da sei er gestolpert.

Blutig ging es vor einigen Wochen auch beim Einsatz gegen radikale Türken im Bremer Stadtteil Woltmershausen zu: SEK-Chef Ulrich Panzer griff derart hart zu, daß dem Türken Ismail Göcüm, 27, das Blut zum Ohr herauslief.

Für Demonstrationseinsätze jedenfalls war Nahkampf-Spezialist Panzer gut gerüstet. Er schaffte einen bunt bemalten alten VW-Bus an (SEK-Jargon: »Milchwagen"), mit dem er sich unauffällig in jeden Protestzug einreihen konnte. Abends saß er in Studentenkneipen im Szene-Viertel um das Ostertor und diskutierte beim Bier mit Alternativen über geplante Demos. Panzer: »Ich wußte meist vorher, was passiert.«

Auch die geistige Auseinandersetzung, wie etwa Demonstranten im Disput beizukommen sei, wurde mit den Kommissaren des Bremer SEK eingeübt. »Ich hab' den Jungs aus dem SPIEGEL vorgelesen und aus der 'Zeit'«, erzählt Panzer, doch leider habe »keiner zugehört«. Stärkeres Interesse zeigten sie an »Ideen aus der Fremdenlegion«.

Legionärs-Romantik förderte Panzer, wenn er seine Truppen nachts um zwei aus den Betten kommandierte - zum Gepäckmarsch durch die Stadt. Bei dienstlichen Schießübungen sprach der Chef gern vom »Manöver«.

Daß die »legendäre Panzer-Truppe«, wie Panzer seine Einheit selber nennt, so

ungeniert auf Bremens Straßen agieren durfte, begründet Bremens Polizeipräsident Ernst Diekmann damit, daß Geiseldramen und Terroristen-Jagd in Bremen sehr selten seien: »Mogadischu ist ja nicht alle Tage.« Schließlich »dürfen die nicht aus der Übung kommen«.

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